Produktpiraterie Die Jäger des geklonten Produktes

Von Matthias Schepp
Produktpiraten verdienen Milliarden und vernichten damit zehntausende von Jobs. Im Interview mit stern.de sagt Anti-Piraterie-Experte Marcus von Welser, was gegen die boomende Fälscherbranche getan werden kann.

Wie groß ist das Problem der Produktpiraterie?

Produktpiraterie richtet weltweit erhebliche Schäden an. Nach Schätzungen der internationalen Handelskammer liegt der Anteil der Produktpiraterie an der Weltwirtschaft mittlerweile schon bei 600 Milliarden Dollar jährlich. Die Situation verschärft sich von Jahr zu Jahr. So haben beispielsweise die deutschen Zollbehörden im Jahr 2004 genau 8564 Fälle von Beschlagnahmungen an der Grenze gemeldet. Dabei wurden über 15 Millionen Artikel mit einem Wert von über 145 Millionen Euro beschlagnahmt. Im Vorjahr (2003) waren es demgegenüber 3461 Fälle. Die Anzahl der Fälle hat sich also verdoppelt.

Sind unsere Nachbarländer auch betroffen?

Ja, diese Zunahme ist auch auf europäischer Ebene zu verzeichnen. 2004 wurden 103 Millionen nachgeahmter Waren an den Außengrenzen der Europäischen Union beschlagnahmt. Dies entspricht einer Steigerung um 1000 Prozent gegenüber 1998.

Was ist so schlimm daran, auf einem Polenmarkt oder in Paris eine billige Gucci-Brille zu kaufen?

Von den wirtschaftlichen Schäden mal ganz abgesehen, ist zu bedenken, dass sich Hersteller von Piraterieware nicht um Arbeitssicherheit oder Umweltschutz kümmern. Piraterieware wird häufig unter übelsten Bedingungen hergestellt. Es handelt sich um schwere, organisierte Kriminalität, nicht um ein Kavaliersdelikt.

Welche Produkte sind besonders betroffen?

Früher ging es vor allem um Luxusartikel, also Designerkleidung, Uhren, Schmuck, Parfum und Handtaschen. Heute ist das Problem weitaus größer. Gefälscht werden nahezu alle Produkte, bei denen die Gewinnspannen für die Fälscher lohnend erscheinen. Neben Unterhaltungselektronik auch Spielzeug, Sportartikel, Autozubehör und -ersatzteile, Kosmetik und Arzneimittel. Die Liste lässt sich leider beliebig fortsetzen. Im Jahr 2004 hat die Fälschung von Lebensmitteln im Verhältnis zum Jahr davor um fast 200 Prozent zugenommen. Das ist besorgniserregend.

Vereinigung zur Bekämpfung von Produktpiraterie (VBP)

Die VBP ist der älteste deutsche Verband, der sich den Kampf gegen die Produktpiraterie zum Ziel gesetzt hat. Er wurde 1994 gegründet. Seine Mitglieder, bekannte deutsche und internationale Marken, wollen anonym bleiben, weil sie eine Rufschädigung fürchten, wenn bekannt wird, dass gefälschte Waren unter ihrem Namen kursieren. Die VBP vermittelt auch Kontakte zu ausländischen Ermittlungsorganisationen und spezialisierten Anwaltskanzleien, beispielsweise in China und in der Türkei.

Was bedeutet das für Deutschland?

Produktpiraterie vernichtet viele Arbeitsplätze in Deutschland. Man schätzt, dass deshalb jährlich rund 70.000 Jobs in unserem Land verloren gehen. Produktpiraterie schädigt die betroffenen Unternehmen erheblich, auch wenn sich nicht jeder Käufer statt einer billigen Fälschung auch das teurere Original leisten würde. Wenn der Markt mit Fälschungen überschwemmt wird, mag niemand mehr das teure Original kaufen. Der Glanz, den eine Marke unter Umständen durch erhebliche Werbeanstrengungen im Laufe der Zeit erlangt hat, verblasst, wenn billige Fälschungen an jeder Ecke erhältlich sind. Die Marke wird verwässert und schließlich zerstört. Zudem führt der Handel mit Fälschungen auch zu verminderten Steuereinnahmen und schädigt damit das Gemeinwesen.

Aber die Verbraucher freuen sich über Schnäppchen ...

Das ist ein Trugschluss. Auch die Verbraucher werden erheblich geschädigt. Da die Ware illegal produziert wird, werden häufig Inhaltstoffe verwendet, die nicht zugelassen sind, etwa beim Färben von Textilien. Das kann dann auch gesundheitliche Folgen haben. Bei Arzneimittelfälschungen liegt das Problem auf der Hand. Auch wenn keine Gesundheitsgefahren drohen, verlieren die Verbraucher ihr Geld ohne einen angemessenen Gegenwert zu erhalten.

Die Bundesregierung hat nun einen Referentenentwurf für ein neues Gesetz vorgelegt, um gegen Produktpiraten vorzugehen. Sind Sie zufrieden?

Nein. Denn geplant ist unter anderem, die Berechnung des Schadensersatzes anhand der üblichen Lizenzgebühr im Gesetz zu verankern.

Was heißt das?

Produktpiraten müssen nur den Betrag als Schadensersatz erstatten, den Unternehmen bezahlen, die ganz normal und legal eine Lizenz zur Produktion einer Ware erworben haben. Das wäre so, als müsste ein ertappter Schwarzfahrer nur die Fahrkarte nachlösen. Da würde doch kaum jemand noch ein Ticket vor der Fahrt kaufen. Diese unzureichenden Schadensersatzregelungen im Referentenentwurf stellen geradezu eine Einladung dar, illegal Produkte nachzuahmen und Marken zu fälschen.

Was sollte stattdessen getan werden?

Wir wollen eine Verdoppelung des Schadensersatzanspruches. Viele Unternehmen verwenden Sicherheitstechnologien, wie Hologramme. Sie unterhalten zudem einen aufwendigen Überwachungsapparat mit Rechtsanwälten und Detektiven, um den Produktfälschern auf die Spur zu kommen und um den Verkauf dieser gefälschten Produkte verbieten zu lassen. Schon um solch kostspielige Maßnahmen finanzieren zu können, ist ein Zuschlag von hundert Prozent zum Schadensersatz gerechtfertigt.

Denken Sie, dass Sie das bei der Bundesregierung durchsetzen können?

Jedenfalls gibt es ein gutes Vorbild für eine solche Regelung, den Gema-Zuschlag. Jeder Betreiber eines Lokals mit Musik kennt die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (Gema). Bei Entdeckung von nicht angemeldeten Musikaufführungen muss ein Zuschlag von hundert Prozent zur üblichen Lizenzgebühr gezahlt werden. Dieser Zuschlag dient der Finanzierung des Überwachungsapparates der Gema.

Welche Maßnahmen sollten Politiker ergreifen, um die Produktpiraterie einzudämmen?

Unabhängig von der notwenigen Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen ist die Erhöhung der personellen Ressourcen bei den Strafverfolgungsbehörden erforderlich. Der Zoll braucht mehr Beamte, die gegen Produktpiraterie vorgehen. Außenpolitisch muss zudem der Druck auf China erhöht werde, damit China seinen Verpflichtungen nachkommt, die es zum Schutz von gewerblichen Schutzrechten übernommen hat.

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