Wir nehmen über die Nahrung Substanzen auf, die die Körperchemie beeinflussen, weil sie wie Hormone wirken - diese Erkenntnis ist nicht neu. Milch und Milchprodukte gelten als die Lebensmittel mit der stärksten Belastung; denn in ihnen befinden sich von der Kuh ausgeschiedene Östrogene, weibliche Sexualhormone. Dass noch ganz andere Lebensmittel mit hormonell aktiven Substanzen verunreinigt sein können, zeigte vor kurzem eine Studie von Frankfurter Forschern: 12 von 20 Mineralwasser-Sorten, die Ökotoxikologe Martin Wagner untersuchte, waren mit Umwelthormonen (siehe Kasten) verunreinigt - und zwar deutlich.
Ein möglicher Grund dafür könnten PET-Flaschen sein, meint Wagner, der im Experiment Wasser aus Glas- und PET-Flaschen sowie aus Getränkekartons untersucht. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das jetzt eine Stellungnahme zum Thema veröffentlicht hat, bezweifelt das: Aus den Daten ließen sich keine Unterschiede in Bezug auf die Verpackung (Glas gegenüber PET) ableiten, heißt es dort.
Hefe, Schnecken und die menschliche Gesundheit
Laut der im Fachjournal "'Environmental Science and Pollution Research'" veröffentlichten Studie war in einem ersten Experiment die östrogene Belastung in drei von neun Wassern aus Glasflaschen erhöht, sowie in sieben von neun Proben aus PET-Flaschen. Dazu kamen noch zwei Wassersorten, die in Getränkekartons verkauft werden: Sie waren beide mit Umwelthormonen belastet. Bei dem Versuch hatte Wagner die Östrogen-Wirkung mithilfe einer genetisch verändertet Hefe, die stark auf Östrogen anspricht, gemessen.
Umwelthormone
Als Umwelthormone oder "endokrine Disruptoren" bezeichnet man alle Chemikalien, die wie Hormone wirken. Darunter fallen zum Beispiel Bisphenol A, das in Kunststoffen steckt, verschiedene Flammschutzmittel, Duftstoffe und Weichmacher.
Sie wirken nicht nur auf den Menschen, sondern auch in der Umwelt. Bekannt ist etwa, dass Fische verweiblichen - der Effekt beruht wohl auf den künstlichen Östrogenen in der Antibabypille, welche zum Teil von Frauen wieder ausgeschieden werden und so über die Kläranlagen wieder in die Umwelt gelangen.
Die Wirkungen auf den Menschen sind zum großen Teil noch unerforscht. Diskutiert wird etwa ob die Abnahme der Spermienanzahl der Männer in den westlichen Ländern, die seit Jahrzehnten beobachtet wird, mit solchen Chemikalien zusammenhängt. Vorstellbar ist auch, dass die Chemikalien durch ihre Hormonwirkung das Krebsrisiko erhöhen.
In einem zweiten Versuch züchtete Wagner Schnecken in Glas - bzw. Plastikflaschen. Die so genannten neuseeländischen Deckelschnecken reagieren sehr empfindlich auf Östrogene und vermehren sich dann stärker. Alle Schnecken bekamen in diesem Experiment das gleiche Wasser, nur die Flaschen unterschieden sich. Hier zeigte sich: In sämtlichen Einweg-PET-Flaschen vermehrten sich die Tiere stärker, in den Glasflaschen sowie in wieder verwendbaren PET-Flaschen stieg die Vermehrungsrate dagegen nur leicht an. "Ob dieses Testsystem überhaupt relevante Aussagen zum gesundheitlichen Risiko des Verbrauchers zulässt, ist eher zweifelhaft", heißt es dazu beim BfR. "Natürlich hat die Vermehrungsrate von Schnecken wenig mit der menschlichen Gesundheit zu tun. Aber der Versuch zeigt eine erhöhte Hormonbelastung des Wassers in PET-Flaschen im Vergleich zu dem in Glasflaschen", sagt Wagner.
Möglicherweise kommen die Verunreinigungen auch während des Herstellungs- und Abfüllprozesses in das Wasser - das zieht das BfR ebenso in Betracht wie Wagner in seiner Studie.
Vertrauen in die Grenzwerte
Bislang hat der Toxikologe nicht untersucht, welche Chemikalien für die Hormon-Wirkung verantwortlich sind, sondern eben nur wie stark diese ist. In einer weiteren Studie will er klären, was für Substanzen dort am Werk sind. Dann erst kann man abschätzen, ob ein Risiko für den Menschen besteht. "Ich nehme an, dass wir keine große Menge einer einzelnen Chemikalie finden werden", meint Wagner. "Wahrscheinlich sind es mehrere, die jeweils nur in geringer Konzentration vorhanden sind." Dass diese zusammen eine durchaus messbare Wirkung entfalten, ist als "Cocktail-Effekt" bekannt. Ein chemisches Phänomen, das die Behörden vor eine knifflige Situation stellt. "Die Behörden vertrauen auf ihre Grenzewerte, doch wir haben es hier mit Effekten zu tun, die sich außerhalb dieser Grenzwerte bewegen. Man sollte mehr auf Kombinations-Effekte achten", meint Wagner.
Er stellt sich auch die beunruhigende Frage, ob das Studienergebnis vielleicht nur die Spitze des Eisbergs darstellt. "Andere Lebensmittel-Verpackungen sind zwar nicht aus PET, aber es finden sich überall Kunststoff-Additive - Weichmacher, Konservierungsstoffe usw. -, über die wir vergleichsweise wenig wissen."
Welche Wassersorten wurden getestet?
Für Verbraucher stellt sich indes eine dringendere Frage: Welche Wassersorten schnitten eigentlich gut oder schlecht ab? Das verrät Martin Wagner jedoch nicht. "Mich haben die Marken aus wissenschaftlicher Sicht überhaupt nicht interessiert. Aus Verbraucherschutzsicht ist das relevant, aber wir können nach einer Studie mit zwanzig Wassersorten keine generellen Aussagen treffen. Das ist dann Aufgabe der Behörden oder der Verbraucherzentralen." Laut BfR muss man sowieso nicht anders einkaufen. "Aus den Ergebnissen der Studie ergibt sich nach Ansicht des BfR für die Verbraucher keine Notwendigkeit, auf Mineralwasser aus PET-Flaschen zu verzichten und auf glasverpackte Produkte auszuweichen."