Als Mercedes-Benz auf der diesjährigen Detroit Motor Show die Studie eines viertürigen Luxuscabriolets vorstellte, war der Name Programm: Ocean Drive. Auf kaum einer anderen Straße auf der Welt werden Autos derart aufdringlich zur Schau gestellt. Wer in den einschlägigen Art-Deco-Hotels wie dem erst jüngst renovierten Victor oder Pelican am Strip in "SoBe" (South Beach) absteigt, oder einen "Caesars Salad" im legendären News Café oder dem Mangos zu sich nimmt, lässt seine Luxuskarosse gerne vor der Tür posieren. Bei einem zehnminütigen Spaziergang sieht man die aktuellen Luxuspaletten von BMW, Aston Martin, Rolls Royce, Bentley und Lamborghini. Man zeigt gerne was man hat und das Publikum dankt es einem.
Pablo ist seit über fünf Jahren Valet-Parker vor dem Mango’s. Gerade hat ein Gast lässig seinen Mercedes S 550 abgestellt und sein Kollege holt gerade eine silberne G-Klasse vom nahe gelegenen Sammelparkplatz. "Wir haben zwei Arten von Gästen", erzählt Pablo, "zum einen Stammgäste, die ihr teures Auto gerne von uns parken lassen. Und dann sind da auch die Touristen, die gerne bei uns Essen, weil sie Ausblick auf die schönen Sportwagen haben." Als Mercedes Anfang des Jahres auf der NAIAS seine viertürige Cabrioletstudie Ocean Drive vorstellte, unkten viele, dass man hier wohl den neuesten Maybach bestaunen dürfte. Über Wohl und Wehe des Ocean-Drive-Concepts ist im Hause Mercedes-Benz bis heute nicht endgültig entschieden. Doch fraglos trägt er seinen Namen mit Recht und würde grandios auf die automobile Prachtmeile in der Florida-Metropole passen.
Ohrenbetäubenden Klang
Ist schon tagsüber einiges auf dem Ocean Drive, der bekanntesten Straße von Miami Beach, los, so wird es ab Sonnenuntergang turbulent. Die schmale Straße direkt am Strand ist heute überfüllt, wie jeden Abend. Sanft schimmern die zarten Pastelllichter der Art-Deco-Hotels herüber und verbreiten einen ganz besonderen Charme. Kaum ein Auto, das einem hier nicht mit lichtstarken Xenon-Scheinwerfern entgegen kommt. Aufgrund der laschen Richtlinien haben viele vier oder gar sechs davon. Der Hummer H2, der kurz nach Mitternacht von der Collins Avenue Richtung Ocean Drive Boulevard abbiegt, taucht die umliegende Welt in ein gleißendes Licht und erntet dafür böse Blicke. Würde man die Kaufpreise der Fahrzeuge addieren, die gerade auf der Meile unterwegs sind, man läge in den Millionen - egal in welcher Währung. Mit einem Rolls Royce Phantom ist einem vor dem Cacablanca noch eine gewisse Aufmerksamkeit gewiss und auch der orangefarbene Lamborghini Murcielago erntet schon durch seinen ohrenbetäubenden Klang visuellen Applaus, aber nach der leistungsgesteigerten G-Klasse, dem schneeweißen Mercedes SL oder einem dunkelblauen Porsche 911 Cabriolet dreht sich hier in der Welt von Miami Vice kein Mensch mehr um.
Da ist die Aufmerksamkeit für den bärtigen Hemmingway-Verschnitt mit seinem rund 30 Jahre alten VW Bully schon größer. Der gerade in den USA beliebte T1-Bus mit seinem verblichenen roten Lack und dem weißen Dach spotzt und spuckt. Viele Vergnügungssüchtige schauen fast beschämt zu Boden, als der grauhaarige Straßenhändler einparkt, um seinen Kram einzuladen. Aber ein paar Sekunden Aufmerksamkeit waren ihm gewiss. Darüber hätte sich die Fahrerin des dunkelgrauen Range Rover vor dem Colony Hotel sicher gefreut. Doch ihre polierten Felgen fallen ebenso niemandem auf ihr eigenes, generalüberholtes Äußeres. Zusammen mit ihrer Freundin hat sie heute scheinbar noch großes vor. Der Ocean Drive ist eben insbesondere eines: eine Traumfabrik.
Stefan Grundhoff/Pressinform