Porsche 911 Turbo Der Grenzgänger

  • von Michael Specht
Wohl kein Sportwagen steckt so voller elektronischer Hilfen wie die nunmehr siebte Generation des Porsche 911 Turbo. Gemacht für das perfekte Fahren im Grenzbereich - wo immer dies noch möglich ist.

Eigentlich könnte man sie ja als ein wenig "verhaltensgestört" bezeichnen, die Porsche-Turbo-Besitzer. Weil doch schon ein "normaler" 911 Carrera alle Wünsche nach Fahrdynamik und Image übererfüllt. Aber es sind nicht rationale Beweggründe, warum Männer zum Turbo greifen, seit 1974 immerhin über 80.000 weltweit. Der Turbo stand in jeder seiner sechs Generationen für Spitzentechnik und Spitzenfahrleistungen. Das lockt die Alphatiere unter den Porsche-Fans. Nichts anders will der Zuffenhausener Sportwagenbauer auch mit Generation Nummer Sieben erreichen, die am 21. November zu Preisen ab 145.871 Euro zu den Händlern rollt.

Motorlager mit Magnetspannung

Mit dem Dreh des Zündschlüssels - er steckt wie gewohnt links vom Lenkrad - nehmen im 911 Turbo nicht nur 500 PS im Heck ihre Arbeit auf, sondern es beginnen auch immer mehr Sensoren, Steuergeräte und Computer ihr geheimnisvolles Spiel. Nie zuvor verbaute Porsche so viele elektronische Helferlein in ein Auto. Schon eine zügige Kurve oder ein Richtungswechsel reicht und das System merkt beinahe im Voraus, was der Fahrer beabsichtigt. Nur einen Wimpernschlag später ist die Antriebskraft exakt dosiert an alle vier Räder verteilt. Blitzschnell wird auch die passende Magnetspannung an die erstmals eingesetzten "dynamischen" Motorlager gelegt, damit das Heck "nicht nachdrängelt", wie Porsche es ausdrückt. In den Hightech-Lagern, die es nur in Verbindung mit dem Sport Chrono Paket für 4034,10 Euro gibt, fließt ein metallhaltiges Öl, das je nach Stromzufuhr in Millisekunden seine Zähigkeit ändert. Ist zudem das optional erhältliche Porsche Torque Vectoring PVT (1309 Euro) an Bord, bremst der Computer sogar das kurveninnere Rad ein wenig ab, um dem gegenüber liegenden Pendant mehr Power zur Verfügung zu stellen. Dem Turbo soll dadurch die Tendenz genommen werden, geradeaus zum Kurvenrand zu drängen (untersteuern).

Das Turborevier heißt Rennpiste

Zu spüren ist von all der neuen Elektronik nichts. Jedenfalls nicht im normalen Autoalltag. Wenn überhaupt, dann könnte höchstens ein Vollprofi wie Walter Röhrl auf einem Rennkurs Unterschiede herausfahren. Doch auch er gesteht: "Auf trockenem Asphalt merken sie nichts davon." Man registriert lediglich, dass der Turbo wie auf Schienen ums Eck fegt und auch bei Geschwindigkeiten am Asphalt kleben bleibt, die weit jenseits aller Straßenverkehrsordnungen liegen. Nicht ohne Grund mietete Porsche für die Präsentation seines Turbo-Tiers die Rennpiste von Estoril nahe Lissabon. Hier herrschen auch im Herbst noch sommerliche Temperaturen und perfekte Bedingungen, um ans Limit zu gehen - an die des Autos und an die eigenen.

Beschleunigung wie ein Kampfjet

Auch der Macho-Kavalierstart fällt hier auf fruchtbaren Boden. Linker Fuß auf der Bremse, rechter Fuß Vollgas. Eigentlich sperrt sich unser Gehirn gegen so etwas und es kostet Überwindung. Der Motor schreit kurz auf und dreht dann konstant 5000/min, geregelt über die so genannte Launch Control. Der Turbo giert nach Vortrieb wie ein Kampfjet beim Katapultstart von einem Flugzeugträger. Sobald der Fuß von der Bremse geht, schieß der Porsche derart nach vorn, dass einen mächtig in die Lehnen presst und die Gesichtshaut deformiert. Man hat Mühe, das Lenkrad gerade zu halten. Kein Gummi quietscht, keine weißen Rauchfahnen bleiben zurück. Ohne durchdrehende Räder und mit maximalem Grip sind nach nur 3,4 Sekunden Tempo 100 erreicht, nach 11,3 Sekunden passiert die Nadel bereits die 200-km/h-Marke. Und wäre die Start- und Zielgerade länger, ist im Turbo erst bei 312 km/h Schluss mit lustig. Starts dieser Art, so meint man, gingen vielleicht drei oder vier Mal, dann fliegt einem garantiert irgendetwas um die Ohren. Doch Carrera-Baureihenleiter August Achleitner beruhigt: "Die Bauteile sind so dimensioniert, das Sie Launch Control theoretisch 4200 Mal nacheinander abrufen können."

Endlich: Schaltpaddles und Doppelkupplung

Erstmals kann auch der Turbo mit dem Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe PDK ausgerüstet werden, das voriges Jahr im Carrera sein Debüt hatte. Nicht nur diese Ausgabe (3915,10 Euro) lohnt, sondern auch jene für das neue Sportlenkrad (416,50 Euro), bei dem die Gänge endlich über richtige Schaltpaddles anstelle über die viel kritisierten Wippen gewechselt werden können - rechts hoch, links runter, nichts einfacher als das. 2010 wird es das Paddle-Lenkrad auch für die restlichen Carrera-Modelle geben.

Trotz der Leistungssteigerung von 480 auf 500 PS und Turbo-Tiefflieger-Qualitäten bleibt Porsche beim Spritkonsum auf dem Boden. Die Ingenieure schafften es, den Verbrauch um 16 Prozent gegenüber dem Vorgänger zu senken. "Im Cruising-Modus fahren Sie sogar unter dem Normwert von 11,4 Liter je 100 Kilometer", sagt Achleitner. Wer es mit dem Turbo jedoch ambitionierter angehen lässt und sein Wochenende mit ihm auf der Rennstrecke verbringt, darf sich nicht wundern, wenn mehr als die doppelte Spritmenge durch die Einspritzdüsen gedrückt wird.