Abgas-Affäre Wie die Politik jahrelang vor VW gekuscht hat

Von Tim Sohr
Es ist nicht so, dass keiner über die illegalen Machenschaften bei Volkswagen Bescheid wusste. Aber von Berlin bis Brüssel wurde lieber weggeguckt. Die Rolle der Politik im Manipulationsskandal ist beschämend.

Offenbar war Volkswagen in der Manipulationsaffäre noch früher informiert als bisher angenommen: Laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" hat ein VW-Techniker bereits 2011 auf die Manipulationen bei den Abgaswerten hingewiesen. Und "Bild am Sonntag" zufolge hat der Autozulieferer Bosch den VW-Konzern sogar schon 2007 in einem Schreiben vor der illegalen Verwendung seiner Technik zur Abgasnachbehandlung gewarnt.

Auch in politischen Kreisen sind die Gepflogenheiten von VW (beziehungsweise der gesamten Autoindustrie) ein offenes Geheimnis - wenn überhaupt. In einem Interview mit tagesschau.de beklagt Autoexperte Stefan Bratzel eine jahrelange Kultur des Wegschauens: "Das ist in Deutschland für mich einer der eigentlichen Skandale, denn im Prinzip ist das Kraftfahrtbundesamt ganz nah dran an diesen Themen. Es ist für die Genehmigung zuständig und weiß natürlich über seine Spezialisten, was Sache ist." 

"Zum Schaden der Gesundheit der Bevölkerung"

Das Umweltbundesamt weise seit Jahren auf diese Themen hin. Es habe also genug Hinweise gegeben, denen man hätte nachgehen können und denen man nicht nachgegangen sei: "Das Verkehrs- und das Umweltministerium haben hier weggeguckt und nicht mal den eigenen Behörden geglaubt, zum Schaden der deutschen Industrie und bereits vorher zum Schaden der Gesundheit der Bevölkerung", sagt Bratzel.

Damit wolle er zwar nicht sagen, dass der Kontakt zwischen Politik und Industrie in Deutschland zu eng sei - aber man habe eben nicht richtig kontrolliert. Der Experte fordert nun einen Paradigmenwechsel, einen Kulturwandel in den deutschen Behörden und der Politik.

 Wie auf Bratzels Kommando äußert sich Umweltministerin Barbara Hendricks und übt im "Handelsblatt" scharfe Kritik an VW: "Wenn ein deutscher Weltkonzern sich so eklatant über Umweltregeln hinwegsetzt, dann wirft das einen Schatten auf die Umweltversprechen deutscher Unternehmen", so die SPD-Politikerin. "Die Glaubwürdigkeit der deutschen Industrie ist ein hohes Gut. Die Marke 'Made in Germany' darf deshalb nicht in Mitleidenschaft gezogen werden." Deshalb fordert Hendricks nach den personellen Konsequenzen nun eine rasche inhaltliche Aufklärung.

Auch in Brüssel sind die Machenschaften der Autoindustrie schon länger bekannt, weshalb EU-Kommissionsvize Frans Timmermans nun so hastig wie öffentlichkeitswirksam eine lückenlose Aufklärung des Skandals fordert: "Wir müssen Betrug unterbinden, und deshalb müssen wir der Sache auf den Grund gehen", sagt Timmermans im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". "Es ist sehr wichtig, dass die Bürger wissen, was im Fall Volkswagen passiert ist."

Die Bundesregierung verzögert Einführung neuer Tests

Große Worte, leere Versprechen? In der "Welt am Sonntag" ist bereits von einem "Diesel-Komplott" die Rede. Demnach soll die Bundesregierung eben nicht um Großreinemachen bemüht sein, sondern vielmehr die Einführung des neuen Abgastests durch die Europäische Union verzögern. Aus einem internen Positionspapier soll hervorgehen, dass der neue Testmodus nicht wie geplant Ende 2017, sondern erst 2021 eingeführt werde.

Rasche inhaltliche Aufklärung sieht anders aus.