PKW-Kraftstoff aus der Formel 1 Champagner für den Tank

  • von Sebastian Huld
Kaum ein Kraftstoffhersteller investiert so viel in den Motorsport wie Shell. Das gesammelte Know-how fließt in das Premiumbenzin "V Power". Der Mehrwert für die Kunden bleibt indes fraglich.

Acht Quadratmeter ist das Labor groß, mehr als drei Personen finden hierin keinen Platz. Drei kleine Bildschirme sind ebenso platzsparend untergebracht wie ein Massenspektrometer und ein paar andere kleine Laborgerätschaften. Es ist denkbar eng hier, doch Gareth Lowe ist sichtbar stolz, in diesem Labörchen zu arbeiten. Der untersetzte Chemiker und ist einer von drei Shell-Wissenschaftlern, die als Teil des Ferrari-Formel-1-Teams mit dem Rennzirkus von Strecke zu Strecke um den Globus wandern. Immer den nächsten Sieg vor Augen, immer auf der Suche nach Perfektion. In der Schule wirkte Chemie doch deutlich unspektakulärer.

Ein Gigant im Rennsport

Die Formel 1 ist ein kurioser Betrieb. Eine gigantische Vermarktungsmaschinerie, die vom Veranstalter Bernie Ecclestone durch und durch kommerzialisiert wurde. Sie ist ein Circus Maximus, in dem sich Stars und Sponsoren im Licht der tollkühnen Rennfahrer sonnen. Und sie ist eine Plattform für Spitzentechnologie. Egal ob Motoren, Reifen, Benzin oder Softwaresysteme: Alles muss hier extremen Belastungen standhalten. Auch die scheinbar banalste Komponente eines Formel-1-Rennwagens wird bis zum Maximum ausgereizt. Hundertstelsekunden sind in diesem Sport Welten. Und genau deshalb sitzt Gareth Lowe im Zweiwochentakt in seinem engen Labor direkt hinter der Box des Ferrari-Teams und betreut und analysiert mit seinen Kollegen Sprit und Motoröl, das Shell exklusiv für Ferrari bereitstellt.

Mehrere Dutzend Chemiker und Ingenieure befasst das Unternehmen damit, den Kraftstoff für das Ferrari-F1-Team zu entwickeln und zu überwachen. 18.000 Arbeitsstunden fließen jedes Jahr in den Hochleistungskraftstoff. So einen Service bekommt kein anderes der elf Formel1 -Teams von seinem Kraftstofflieferanten geboten. Schon 1950 begann die Zusammenarbeit beider Unternehmen in der Formel 1. Seitdem wurden in 452 gemeinsamen Rennen 152 Siege verbucht. Für Ferrari zahlt sich diese Partnerschaft offenbar aus, doch was hat der Shell-Kunde davon? Shell gibt die Antwort in Form seines so genannten Premiumkraftstoffs namens V-Power.

Formel-1-Benzin für die Straße

Das 2003 in Deutschland eingeführte V-Power-Benzin verspricht dem Kunden, die Technologie der Formel 1 für jedes Straßenauto nutzbar zu machen. Das Auto soll dadurch schneller sein, weniger verbrauchen, und der Motor soll weniger schnell verschleißen – mehr noch: V-Power reinige sogar den Motor. Soweit das Versprechen. Doch Experten unken, dass vor allem Shell selbst profitiert: Denn ein Liter V-Power-Benzin kostet deutlich mehr als der Standardkraftstoff. Geld für ein Produkt, dessen Mehrwert umstritten ist. Denn auch Shell hält sich mit konkreten Zahlen bedeckt.

Erzielt werden die versprochenen Ergebnisse durch drei Komponenten: Erstens, eine besonders hohe Oktanzahl, die es ermöglichen soll, dass das Benzin im Augenblick der Zündung im Brennraum gleichmäßig abbrennt. So würde eine optimale Leistungsentfaltung ermöglicht und der Kraftstoff effizienter genutzt. Zum Zweiten würde die sogenannte "Reibungs-Modifizierungs-Technologie" die Reibung zwischen Kolben und Brennraum reduzieren und so mehr Leistung bei weniger Verbrauch ermöglichen. Besonders stolz aber sind die Techniker auf die waschmittel-ähnlichen Additive, die die Einspritzventile während der Verbrennung reinigen. "Wir bewirken dadurch nicht nur einen niedrigeren Verschleiß, sondern vor allem auch eine dauerhaft bessere Leistungsentfaltung", erklärt Chemiker John Lambert, der für die Entwicklung der Shell-Kraftstoffe mit verantwortlich zeichnet.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum sich das Premiumbenzin V-Power nur bedingt lohnt.

Ernüchternde Testergebnisse

Die Begeisterung der Shell-Verantwortlichen für den V-Power Sprit teilen unabhängige Experten nur bedingt. Sowohl das Benzin V-Power 95, also das Premiumbenzin, als auch der V-Power-Dieselkraftstoff wurden zur Markteinführung unter anderem vom ADAC getestet. Beim V-Power Benzin hingen die erzielten Vorteile stark vom jeweils verwendeten Auto ab. Vor allem Hochleistungsmotoren wie der des getesteten Porsche Boxster und der mit einem Klopfsensor ausgerüstete Golf 1.4 konnten die höhere Oktanzahl auch in mehr Leistung umsetzen. Allerdings liegen die Zugewinne bei Leistung und Elastizität mit einstelligen Prozentwerten innerhalb der Messtoleranz. Ähnlich verhält es sich mit V-Power-Diesel. Ein deutliches Leistungsplus, das den Mehrpreis rechtfertigen würde, wurde bislang jedenfals von keinem Test nachgewiesen.

Was sich eher bemerkbar macht, ist die reinigende Wirkung der Additive. Allerdings ist der Verschleiß durch Verbrennungsrückstände an den Ventilen, dem V-Power vorbeugt, erst nach vielen Zehntausend Kilometern spürbar. Da aber Andreas Schäfer vom Shell-Entwicklungszentrum verspricht, dass "Shell V-Power auch bei älteren Gebrauchtwagen nach wenigen Tankfüllungen die Ventilöffnungen reinigt und Rückstände verbrennt", ist es offensichtlich ausreichend, dem Motor nur gelegentlich eine Kur mit Premiumsprit zu gönnen. Beim Wiederverkauf macht sich die geleistete Investition in die Haltbarkeit des Motors so oder so nicht bemerkbar.

Aus Liebe zum Auto

Shell als Erfinder der Premiumsprit-Nische gibt sich dennoch zufrieden mit dem Erfolg seines Produkts. Sowohl in Deutschland als auch in allen weiteren 59 Ländern, in denen Shell V-Power anbietet, wachse der Absatz Jahr für Jahr. Genaue Zahlen gibt das Unternehmen aber nicht bekannt. Ein Chart über den jährlichen Absatz von V-Power zeigt aber, dass 2008 auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise der Verkauf des Premiumsprits deutlich eingebrochen ist. Da die Menschen kaum weniger Auto gefahren sind, deutet alles darauf hin, dass V-Power-Kunden es vor allem genießen, ihrem geliebten Automobil 'etwas Gutes zu tun'. Premiumsprit als Champagner in einer Autowelt voller Sektzapfer sozusagen. So macht V-Power aus einem alten Toyota zwar noch lange keinen F1-Renner, verleiht aber manchem das erhebende Gefühl, dem großen Formel-1-Zirkus ganz nah zu sein.

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