Zukunftsstudie Voll unter Strom

Von Helmut Werb
In zwölf Jahren läuft nichts mehr ohne Batterien und Hybridantrieb. Das sagt eine IBM-Studie zur Entwicklung der Automobilindustrie voraus. Nebenher werden die Autos direkt miteinander kommunizieren, um den menschlichen Risikofaktor am Steuer zu entschärfen.

Im Jahr 2020 sind wir alle unter Strom. Jedenfalls wenn es nach einer Studie von IBM geht, dem ehemaligen Computer-Riesen und heutigem Thinktank. In ihrem Report "Automotive 2020: Clarity beyond the Chaos", was man locker als "Nach dem Chaos klares Denken" übersetzen könnte, beschreiben Drei der Denk-Tanker von Big Blue, was so alles auf uns Autofahrer zukommen wird im nächsten Jahresdutzend. Alle Neuwagen auf dem Markt würden in der einen oder anderen Form elektrisch vorangetrieben, sagt Benjamin Stanley, einer der drei Autoren des Reports in einem Interview mit stern.de . Und – man hört es gerne – die durchschnittlichen "CO2 Emissionen werden bei rund 97 Gramm pro Kilometer liegen."

Hybride regieren die Straßen

Benjamin Stanley, Kalman Gyimesi und Sanjay Rishi, der den hochtrabenden Titel des "Automotive Industry Leader for IBM" trägt und bekannt ist für vorauseilende Studien, befragten 125 automobilistische Weise, von Auto-Managern in den USA, Asien und Europa bis hin zu Verkehrswissenschaftlern und viele, die sich dafür halten, über ihre Meinung zur Zukunft des Automobils. Man erfährt zwar nichts unbedingt Revolutionäres, wenn gesagt wird, dass 2020 nur noch 65 Prozent des Brennstoffs aus fossiler Energie gewonnen wird. Aber die von IBM befragten Weisen und Schaffenden prophezeiten nicht nur, dass im Jahr 2020 alle Fahrzeuge mehr oder weniger als Hybride auf den Markt kommen würden, sondern dass die Technologie des Informationsaustausches zwischen den individuellen Verkehrsteilnehmern und der Strasse perfektioniert würde, und schließlich, dass wir Verbraucher in der baldigen Zukunft so clever geworden sind, dass uns ganz gewiss kein Gebrauchtwagenverkäufer mehr übers Ohr hauen kann.

Stillstand ohne Strom

Die zukünftige Elektrifizierung des Individualverkehrs ist nach einhelliger Meinung unausweichlich. Batterietechnologie wird bis zum Jahr 2020 weitgehend perfektioniert sein, da die Industrie – sowohl Hersteller als auch Zulieferer - schon heute ihre Energien und Investitionen in entsprechendes Research & Development stecken. Dieser Entwicklungsschwerpunkt ginge allerdings zum großen Teil auf Kosten der Entwicklung von Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Technologie, und zu einem gewissen Teil auch auf Investitionen bei den Bio-Treibstoffen, wobei deren derzeitige Generation eine Sackgasse sei, und nur die Entwicklung von auf Zellulose basierendem Ethanol verspreche eine Zukunft.

Wenn Autos kommunizieren

Die Entwicklung intelligenter Kommunikationsformen zwischen Autos im Verkehr und der Strasse würde laut IBM-Report zu größerer Sicherheit und deutlichen Energieeinsparungen führen. BMW experimentiert seit Jahren schon an Automobilen, die untereinander Straßenzustandsberichte und Unfallmeldungen austauschen und dürfte innerhalb der nächsten Modellgenerationen die ersten Prototypen einsetzen. Der Report der drei Wissenschaftler deutet auch auf die Notwendigkeit interdisziplinärer Zusammenarbeit hin. Von den bisher praktizierten Alleingängen der Automobilhersteller zum Beispiel in Sachen Technologieentwicklung wird in den nächsten Jahren nicht viel übrig bleiben. "Eine engere Zusammenarbeit zwischen Autoproduzenten, der Consumer Electronics-Industrie, der Telekommunikationsbranche und den Energielieferanten wird zunehmend dringlicher werden", sagt Benjamin Stanley.

Weg vom Eigentum

Und schließlich werden wir Verbraucher so viel gelernt haben, so umweltbewusst sein, so kritisch ausgerichtet sein, dass wir die Industrie ganz einfach zum Wandel zwingen werden. Das ginge laut der drei Weisen bis hin zu vollkommen neuen Eigentumsmodellen im Verkehr. Unter anderem könnten Car Sharing, in welcher Form auch immer, neuartige Leasing-Modelle und öffentlicher Nahverkehr in Individual-Kapsulen den Besitz eines Kraftfahrzeuges in vielen Fällen überflüssig machen.

Ausblicke statt harter Fakten

Da lässt es sich lauschig plaudern, sollte man meinen, denn wie die drei Forscher genau zu den vielen – und vielversprechenden –Schlussfolgerungen gekommen sind, ist nicht leicht nachzuvollziehen, denn in der Studie wird kein Einziger der Befragten mit Namen genannt, sondern nur die globale Verteilung spezifiziert. "Ungefähr siebzig Prozent der Befragten stammt direkt aus der Industrie", dezidiert Mr. Stanley, der seit neun Jahren bei IBM tätig ist und auf eine 33jährige Berater-Karriere zurückblicken kann. "Runde dreißig Prozent stammen aus den USA und Kanada, zwanzig Prozent aus Europa, fünfundzwanzig aus Japan und Korea, und der Rest aus sogenannten Schwellenländern." Konkrete Produktionsschritten wurde gar nicht nachgefragt. "Uns interessierte nur die Meinung der Industrie", fuhr er fort. Allerdings wurden sehr wohl auch erste Entwicklungsschritte in Anbetracht gezogen - so hat Autoriese General Motors Abkommen mit 34 Energieproduzenten in den USA getroffen, um eine Infrastruktur für sogenannte Plug-In-Hybrid-Fahrzeuge zu schaffen, und sowohl Nissan und NEC, als auch Toyota und Panasonic arbeiten schon seit geraumer Zeit zusammen an der Entwicklung hocheffizienter Batterien.

"Automotive 2020" ist sicherlich nichts grundlegend Neues, aber zusammengenommen verspricht die Studie endlich mal ein paar rosigere Ausblicke, bevor man mit zugekniffenen Lippen die nächsten Tankstelle anfahren muss.