Dieter Trautmann liegt in einem Krankenbett in einer Klinik am Rande Berlins. Er hat mal die Grünen in Berlin mitgegründet, er ist 78 Jahre alt und hat keine Verwandten. Trautmann ist dement. Und er besitzt eine Immobilie im angesagten Stadtteil Kreuzberg, die Millionen wert ist. Das, so sieht es aus, ist Trautmanns Problem.
Die Schauspielerin Elga Sorbas, 69, war ein Star des deutschen Autoren-Kinos der frühen 70er Jahre. Seit Jahrzehnten ist sie mit Dieter Trautmann befreundet. Die Museumsbetreiberin Marianne Wagner schließlich, 40, sollte der Schauspielerin Elga Sorbas helfen, sich um Dieter Trautmann zu kümmern.
Generalvollmacht für zwei Frauen
So fing alles an, bei einem Notar in Berlin, Februar 2013. Trautmann erteilte beiden Frauen eine Generalvollmacht. Damit konnten sie geschäftlich für ihn tätig werden. Und damit, dachte Trautmann, seien die Dinge geregelt.
Heute trägt er einen offenbar resistenten Krankenhauskeim in seinem Körper. Seine Geschäfte verlaufen alles andere als geregelt. In den vergangenen Monaten wurden von seinem Konto regelmäßig Summen abgezweigt. Trautmann kann das nicht verhindern.
Die Schauspielerin Elga Sorbas und die Museumsbetreiberin Marianne Wagner sagen beide, sie wollten nur das Beste für Dieter Trautmann. Der prominente Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, der sich in den Fall eingeschaltet hat, sagt, er habe dem Mann helfen wollen. Doch man nimmt das nicht jedem der drei ab, wenn man die Geschichte genauer anschaut.
16.000 Euro Miete durch ein unsaniertes Haus
Zum Notar war Dieter Trautmann mit den beiden Frauen auch gegangen, weil es Georg H. gab, ein Mann mit schwieriger Vergangenheit, vor dem Elga Sorbas Angst hatte. Dieter Trautmann hatte H. eine zweite Chance gegeben: den Job des Hausmeisters seiner Immobilie in der Reichenberger Straße im Stadtteil Kreuzberg. Früher lag das grau verputzte Haus, zu dem auch Teile einer alten Klavierfabrik zählen, im Revier der Hausbesetzer, heute kassiert man hier für sanierte Altbauwohnungen Höchstmieten.
Trautmanns Haus ist unsaniert, die monatlichen Einnahmen summieren sich aber dennoch auf knapp 16.000 Euro. Als sich Georg H. allerdings vor den Bewohnern auch als Hausverwalter ausgab, wollte Dieter Trautmann ihn loswerden. Doch er traute sich nicht recht an Georg H. heran. Von seiner Sorge erzählte Trautmann auch seiner Freundin Elga Sorbas.
Angst vor Hausmeister Georg H.
Elga Sorbas, hennarotes, hochtoupiertes Haar, Zigarette, Rückenschmerzen, sitzt in ihrer Erdgeschosswohnung in Berlin-Schöneberg. Dieter Trautmann wohnte ein Stockwerk höher. "Dieter war immer bei uns, nur zum Schlafen ging er hoch", sagt Elga Sorbas.
Sie hatte für den Regisseur Werner Faßbinder gespielt, in den Filmen "Katzelmacher", "Der amerikanische Soldat" und "Niklashauser Fahrt", dann auch neben Marius Müller-Westernhagen. Später reiste sie herum, machte kleinere eigene Projekte, verdiente wenig. Für die Wohnung zahlen sie und ihr Mann 440 Euro.
Weil aber auch sie sich Georg H. nicht gewachsen fühlte, bat sie eine Frau um Hilfe, in deren "Freiem Museum" sie gerade "Elgas Kultursalon" mit Lesungen und künstlerischen Darbietungen ausrichtete: Marianne Wagner. Diese Frau schien auf Elga Sorbas couragiert und durchsetzungsstark. Marianne Wagner kannte sich mit Immobilien aus und hatte auch mit Rechtsanwältinnen zu tun, etwa über die "Lawyers for the arts". Dieser Verein trägt das Freie Museum.
Nach Marokko ins Hippie-Dorf
Laut Vereinsregister ist Marianne Wagner die 1. Vorsitzende. Marianne Wagner versprach, sich für die Geschäfte Dieter Trautmanns und gegen Georg H. engagieren. Als Werkzeug bekam sie die Generalvollmacht.
Dieter Trautmann selbst, da waren sich Marianne Wagner und Elga Sorbas einig, sollte mit der Auseinandersetzung mit dem ja nicht zu unterschätzenden Georg H. nicht belastet werden. Im Februar 2013 reiste er deshalb mit Elga Sorbas nach Sidi Ifni, einen Ort im Süden Marokkos, den viele Hippies bewohnen. Die Freundin kennt sich dort aus. Trautmann soll sich in dem Städtchen mit 20.000 Einwohnern frei bewegen und einen würdigen Lebensabend verbringen können. Die Mieteinahmen aus der Reichenberger Straße gaben das ja her.
Neues Hüftgelenk in Agadir
Elga Sorbas schildert die Monate in Marokko als eine glückliche Zeit. Sie zeigt Fotos und Filmchen, die Dieter Trautmann verwirrt, aber immer unter Leuten zeigen. Der demente Deutsche mit dem wehenden weißen Haar und den drei Zähnen, der auf seine Prothese verzichtete, weil sie ihm auf den Kiefer drückte, er war schnell bekannt in dem Hippie-Ort.
Irgendwann allerdings konnte Dieter Trautmann nicht mehr aufstehen. Er hatte sich offenbar die Hüfte gebrochen. Elga Sorbas fuhr mit ihm in das Militärkrankenhaus Guelmin, das 50 Kilometer von Sidi Ifni in der Wüste liegt. Dort allerdings wollten die Ärzte Trautmann nicht operieren. Sie scheuten die Nebenwirkungen, die eine Anästhesie bei dementen Patienten hervorrufen kann, und empfahlen ein Krankenhaus in Agadir. Dort setzte man Trautmann ein neues Hüftgelenk ein.
Komplikationen und Unklarheiten nach OP
Was danach geschah, stellen Elga Sorbas und Marianne Wagner unterschiedlich dar. Unstrittig ist, dass es Komplikationen gab. Dass der demente Dieter Trautmann sich die Kanüle rausriss, sich weder waschen und noch Windeln anlegen ließ. Dass er mit seinen Exkrementen spielte und sich in einem unansehnlichen Zustand befand.
Unstrittig ist auch, dass Elga Sorbas nach Berlin reiste, weil sie Termine beim Augenarzt wahrnehmen musste. Und dass daraufhin Marianne Wagner Mitarbeiter ihres Museums für Wochen nach Marokko schickte und auch selbst nachflog. Dieter Trautmann sollte nicht allein bleiben. Doch das war nicht der einzige Grund für ihre Anreise.
Sollte Trautmann in Marokko sterben?
Am 7. April legte Marianne Wagner Dieter Trautmann einen "Widerruf der Generalvollmacht" für Elga Sorbas vor. Auf dem Papier stand auch, dass es keinerlei Verfügung oder Testament zugunsten Elga Sorbas' gebe. Trautmann unterschrieb. Damit sollte Elga Sorbas nichts mehr zu melden haben. Auch was Marianne Wagner mit den Mieteinahmen aus der Reichenberger Straße anstellte, würde Elga Sorbas nicht mehr erfahren.
Marianne Wagner sitzt in ihrem "Freien Museum" in der Bülowstraße in Schöneberg, hohe Erdgeschossräume, Hinterzimmer, auch Räume im Hinterhaus hat sie angemietet. Sie raucht Kette, ihre Hand zittert leicht. Sie hat bei Hans-Christian Ströbele anrufen lassen, um zu fragen, ob sie sich gegenüber dem stern äußern solle, erreicht ihn aber nicht. Nun erzählt sie einfach ihre Version.
Zwei Versionen der Geschichte
Der Kern dieser Version ist: Elga Sorbas habe sich in Marokko ein schönes Leben gemacht und Dieter Trautmann verkommen lassen. Immer wieder habe sie um mehr Geld gebeten. Elga Sorbas sei spielsüchtig und auf Trautmanns Geld aus. Sie habe Dieter Trautmann extra lange in Krankenhäusern gelassen, damit er dort sterbe. Wenn ein Patient im Krankenhaus stirbt, gibt es in Marokko in der Regel keine Obduktion. Marianne Wagner sagt, der Dieter sei vielleicht etwas verwirrt, habe aber doch viel mitbekommen. Man habe ihn unbedingt aus den Krankenhaus in Agadir herausbekommen müssen.
Elga Sorbas schildert die Dinge in ihrer kleinen Wohnung anders. Die Demenz habe Dieter in jenen Tagen schwer zugesetzt, sagt sie. Schon wegen der Wunde der Operation, deren Narbe er sich wieder aufgekratzt hatte und die noch längst nicht verheilt war, sei er auf keinen Fall reisefähig gewesen. Elga Sorbas zeigt den Befund eines Arztes in Agadir, der genau das besagt. Dann erzählt sie, was mit dem Widerruf der Generalvollmacht geschah, der ihr einen exklusiven Zugang zum Geld des Millionärs bringen sollte.
Zuerst stellte sich der deutsche Honorarkonsul in Agadir quer, weigerte sich, das Dokument zu beurkunden. Der Honorarkonsul kannte Dieter Trautmann, besuchte ihn regelmäßig - und hielt ihn für geschäftsunfähig. Am 25. April entschied in Berlin das Amtsgericht Schöneberg, dass der Widerruf der Generalvollmacht für Elga Sorbas ungültig sei. Es sei davon auszugehen, "dass der Betroffene zu einem rechtswirksamen Widerruf kognitiv nicht in der Lage war", heißt es in dem Beschluss.
Um Dieter Trautmann nach Deutschland zu holen, brauchte Marianne Wagner seinen Pass, und der war nicht aufzufinden. Der deutsche Honorarkonsul aber war ihr nicht behilflich. Er kannte ja den Befund des Arztes, dass Trautmann nicht reisetüchtig war.
Ströbele macht Diplomaten Dampf
Marianne Wagner wandte sich an Hans-Christian Ströbele. Der einflussreiche Grünen-Politiker befasste sich tagelang mit dem Fall, "an manchen Tagen waren es zehn bis 15 Telefonate, die ich gemacht habe", sagt er. Er wirkte über das Außenministerium auf die deutsche Botschaft in Rabat ein. Die hielt jedoch erst einmal zum Honorarkonsul, mit dem sie seit vielen Jahren zusammenarbeitete.
"Das Verhalten des Auswärtigen Amtes war mir über weite Strecken nicht nachvollziehbar", sagt Ströbele. "Das trieb mich zu dem großen Engagement." Er habe in der Angelegenheit sehr heftig mit dem Auswärtigen Amt diskutiert. "Ich hatte sogar schon überlegt, selbst nach Marokko zu fliegen."
Marianne Wagner konnte nun auf den vollen Einsatz eines erfahrenen Parlamentariers zählen, und das, obwohl Ströbele sie vorher gar nicht kannte. Bis heute hat er sie nie gesehen. Ströbele erreichte, dass Marianne Wagner Dieter Trautmann nach Deutschland bringen konnte. "Ohne ihn hätten wir es nicht geschafft", sagt Marianne Wagner.
Ströbele selbst findet allerdings nicht, dass es Dieter Trautmann in Marokko so gut gegangen sei. In einer Mail an Elga Sorbas bezeichnet er Trautmann als "schwerkranken Mann". Die Rückkehr nach Deutschland, so Ströbeles Befund in einer anderen Mail, habe Trautmanns psychische Befindlichkeit gebessert. Gesehen hat Ströbele Trautmann allerdings auch in Deutschland nicht.
Heimliche Überweisungen an eigenen Verein
Trautmann lag ein paar Wochen lang auf der Intensivstation der Charité. Ärzte entfernten ihm die verrutschte Hüftprothese. Und sie stellten einen Krankenhauskeim fest. Marianne Wagner besuchte ihn, Elga Sorbas ebenfalls.
Marianne Wagner allerdings leistet Trautmann nicht nur Gesellschaft am Krankenbett. In den zurückliegenden Wochen und Monaten tätigte sie mithilfe ihrer Generalvollmacht auch Überweisungen von Trautmanns Konto bei der Commerzbank.
Von Februar bis April bekam ihr Verein "Lawyers for the arts" mehr als 32.000 Euro überwiesen. Ein Mann namens Peter J. erhielt seit vergangenem Sommer rund 17.000 Euro. Und an Wagners Vertrauten Nader C. gingen seit September 2013 mehr als 7000 Euro.
Dass die Überweisungen zu Vertrauten und zum eigenen Verein bekannt wurden, kann Marianne Wagner kaum gefallen. Vielleicht teilte sie deshalb am 24. April den Mietern der Reichenberger Straße 125 per Brief eine "Änderung der Bankverbindung zur Zahlung der Miete" mit, "mit sofortiger Wirkung". Sie legte eine Vollmacht Dieter Trautmanns bei, versehen mit einer falschen Meldeadresse.
Das Haus verfällt, die Mieter sind unzufrieden
Die Mieter, insgesamt sind es 30 Mietparteien, setzten sich zusammen und die Mehrheit beschloss, der Anweisung nicht zu folgen. Viele von ihnen sind ohnehin sauer, weil das Haus, um das Marianne Wagner sich seit mehr als einem Jahr kümmert, zunehmend verfällt.
Man kann das schon von außen sehen. Manche mindern bereits die Miete. Unter den Unzufriedenen ist auch Peter H. Den Mann los zu werden, vor dem Elga Sorbas Angst hatte, war vor 15 Monaten eigentlich das Ziel gewesen, als Dieter Trautmann Elga Sorbas und Marianne Wagner Generalvollmachten erteilte.
Im Moment liegt Dieter Trautmann im Wichern-Krankenhaus am anderen Ende der Stadt. Dort halten sich die meiste Zeit des Tages Marianne Wagner und ihr Vertrauter Nader C. bei ihm auf. Wenn Elga Sorbas es aus Schöneberg bis hierher nach Spandau schafft, kracht es, nicht nur verbal. Der Chefarzt sieht sich mit der eher ungewöhnlichen Aufgabe konfrontiert, normalen Zugang zum Krankenzimmer zu schaffen.
Nächtlicher Telefonterror und Türklopfen
Marianne Wagner sagt, dass sie noch keinen Rechtsbeistand gefunden habe, der den ganzen Fall für sie aufrollen wolle. Der Rechtsanwalt, den Hans-Christian Ströbele ihr empfohlen hat, habe abgelehnt.
Hans-Christian Ströbele wirkt im Gespräch mit dem stern zufrieden mit seinem Einsatz. Er bezeichnet ihn als seine "Verpflichtung als Bundestagsabgeordneter". Elga Sorbas erzählt von nächtlichem Telefonterror. Und dass jemand öfter kräftig bei ihr anklopfe. Sie fühlt sich bedroht und will ihn anzeigen.
Der Mann, um den es eigentlich geht, weiß wahrscheinlich nicht, was mit und um ihn herum geschieht, und das ist vielleicht noch das Beste an dieser Geschichte.
Marianne Wagner hat für Dieter Trautmann vor einiger Zeit schon mal eine Verfügung aufgesetzt. "Zeit meines Lebens war es mein Wunsch, mit meinem Vermögen eine Stiftung zu gründen und falls ich dazu nicht mehr in der Lage bin, übertrage ich im Falle meines Ablebens mein vollständiges bestehendes Vermögen an unseren Verein: Lawyers for the Arts e.V.", heißt es darin.
Für Marianne Wagner als eingetragene Vorsitzende der "Lawyers for the Arts" wäre das sicher eine gute Sache. Doch Dieter Trautmann hat das Papier bislang nicht unterschrieben.