Mitte der 80er erhielten Mathehefte endlich eine Existenzberechtigung. Auf dem Computer, der C64, Amiga, Atari ST oder Apple II hieß, lockte ein Spiel namens "The Bard's Tale" in eine mittelalterliche Welt voller Drachen, Zauberer und Verliese. Um sich bei der Erkundung letzterer nicht zu verlaufen, verbrachte der Spieler Stunden um Stunden damit, Karten zu zeichnen. Ein Schritt vor, links eine Wand, vorne weiter geradeaus, rechts eine Tür. Ein Schritt vor... Da alle Wände immer in rechten Winkeln angeordnet waren - mehr war grafisch nicht zu realisieren - wurde Karopapier zum unverzichtbaren Helfer. "The Bard's Tale" war eine der ersten digitalen Rollenspiel-Adaptionen, versammelte um sich eine große und loyale Fangemeinde und ist heute eine Legende unter den Computerspielen.
Verarscht vom Vater
20 Jahre nach seinem ersten Auftritt kehrt der Barde mit seiner Geschichte jetzt zurück - entsandt von seinem Vater: Brian Fargo war maßgeblich an der Entwicklung der "Bard's Tale"-Reihe beteiligt und schuf später mit "Baldur's Gate" einen weiteren Rollenspielmeilenstein. Ein Experte also - der in der Neuinterpretation des Klassikers all das demontiert und verhöhnt, was typisch für das Genre ist. "Comedy statt Klischees", lautet das Motto.
Der Feldzug gegen die manchmal recht bleierne Ernsthaftigkeit und epische Breite der Fantasy-Rollenspiele beginnt bei der Hauptfigur. Der Barde, dessen Rolle der Spieler einnimmt, ist kein keuscher Retter jungfräulicher Prinzessinnen, kein selbstloser Verteidiger der Armen und Schwachen, kein Erwählter, der sein Schicksal erfüllen muss. Der Barde schlägt sich mehr mit Schläue als mit Intelligenz durchs Leben. Sein Einkommen bestreitet er als Rattenfänger - wobei die Ratte allerdings Teil des abgekaterten Spiels ist. Sarkasmus beherrscht der Bänkelsänger besser als den Umgang mit Schwert und Schild. Das ABC des Antihelden lautet BBB: Bier, Bares und Bräute.
The Bard's Tale
Hersteller/Vertrieb | inXile/Ubisoft |
Genre | Rollenspiel |
Plattform | Xbox, PS2; PC (ab 5. Mai) |
Preis | 50 Euro (Xbox), 55 Euro (PS2), 45 Euro (PC) |
Altersfreigabe | ab 12 Jahren |
Fies oder freundlich, das ist die Frage
Dass der Barde im Verlaufe des Spiels dennoch viele Abenteuer erlebt, quittiert er mit widerwilligem Gezeter, fiesen Kalauern und Streitereien mit dem Erzähler. Denn "The Bard's Tale" springt in der Perspektive hin und her, erlaubt sich immer einen boshaften Blick auf das eigene Geschehen und gönnt sogar der Hauptfigur eine ironische Distanz zur Welt um sie herum. Der Erzähler, dessen Stimme aus dem Off ertönt, ist auch ein Kommentator. Zwar bringt er die Geschichte voran, doch ebenso häufig verspottet er den Barden, woraus sich nicht selten giftige Wortgefechte entwickeln. Überhaupt: Die Dialoge sind großartig. Kostprobe: Der Barde benötigt Informationen von einem tödlich verletzten Dorfbewohner. Er beugt sich ans Ohr des Sterbenden, der ihm etwas zuflüstert. "Was hat er gesagt?", fragt der Erzähler. "Zuerst hat er mich gebeten, mein Knie von seinem Brustkorb zu nehmen, aber dann hat er doch noch den Weg zu den Wikingergräbern herausgerückt." Nicht alle Gespräche laufen passiv ab. Häufig muss der Spieler entscheiden, ob der Barde freundlich oder bösartig antworten soll, was den Spielablauf beeinflusst.
Sing, Kobold, sing!
Die Gamedesigner von inXile entertainment schrecken vor keinem Witz zurück und decken von albern bis subtil die ganze Bandbreite ab. Bei erschlagenen Wölfen findet man schon mal einen Picknickkorb und einen roten Umhang. Böse Druiden verlieren gelegentlich ein Stonehenge-Souvenir. Als der Barde die Leiche eines Bürschleins entdeckt, das als "Auserwählter" eine Prinzessin retten wollte, springen drei Kobolde aus dem Gebüsch - und fangen an zu singen. Sie schmettern ein Lied darüber, wie blöd es ist, der Erwählte zu sein. Veredelt werden musikalische Höhepunkte wie dieser durch den eingeblendeten Songtext - komplett mit einem über die Silben hüpfenden Karaokepunkt.
Comedy geht vor Charakterentwicklung
Spielerisch ist "The Bard's Tale" gemessen an anderen Genrevertretern ein Leichtgewicht. Der Barde verfügt über verschiedene Eigenschaften wie Stärke, Charisma und Rhythmusgefühl, die der Spieler beeinflussen kann, wenn der Barde im Verlaufe des Spiels an Erfahrung gewinnt. Dieses Organisieren - das gilt auch für die Besitztümer und magischen Fähigkeiten des Lautenspielers - ist betont einfach gehalten und wird Freunde ausführlicher Charakterbögen und langer Inventarlisten enttäuschen.
Der Barde ist eigentlich ein Einzelgänger, kann aber mithilfe seiner magischen Laute bis zu vier Begleiter herbeizaubern, die ihm gute Dienste leisten. Die entsprechenden Beschwörungslieder sammelt der Antiheld im Laufe der Zeit. Dass die magischen Hilfskräfte allesamt sehr merkwürdige Gestalten sind, versteht sich von selbst. Der Fallenentschärfer zum Beispiel hat offensichtlich irgendetwas falsch verstanden, denn er entschärft Fallen, indem er sich auf diese fallen lässt. Und hinterher ist das Geschrei groß...
Humor auf der Überholspur
Bei dieser Humoroffensive kann der Rest des Spiels nicht mithalten. Die Welt wird von oben gezeigt und ist frei drehbar, sodass der Barde mit seiner Bande problemlos herumwandern kann. Grafisch ist das alles solide Kost, aber nicht wert, in einem Lied besungen zu werden. Zur Orientierung lässt sich eine Umgebungskarte einblenden, in der Freunde und Feinde angezeigt werden - auch wenn diese sich weit außerhalb des sichtbaren Spielfeldes befinden. Gibt man dem selbstständig zielenden Barden einen Langbogen in die Hand, kann man ganze Horden von Gegner besiegen, ohne sie je gesehen zu haben. Das ist nicht nur unrealistisch, sondern langweilt auch gehörig, zumal die Gegner auch unter Beschuss erst zurückschlagen, wenn man sich auf gewisse Distanz genährt hat.
Die "The Bard's Tale"-Serie
"The Bard's Tale: Tales of the Unknown": erschien 1985 für Apple II und Commodore 64, 1986 für den Amiga und 1987 für Atari ST und PC (DOS).
"The Bard's Tale II: The Destiny Knight": erschien 1986 für Apple II und Commodore 64, 1987 für PC und 1988 für Amiga und Apple IIGS.
"The Bard's Tale III: Thief of Fate": erschien 1988 für Apple II und Commodore 64, 1991 für Amiga und PC.
"The Bard's Tale IV: Castle of Deception": wurde angekündigt, aber nie veröffentlicht.
Und dann wäre da noch die deutsche Synchronisation des Barden: Der TV-Komiker Oliver Kalkofe ist kein guter Sprecher. Das hat er schon in "Die Siedler 5" bewiesen. So kommt es, dass ausgerechnet der Sänger gegenüber dem Chor der Profis in den Nebenrollen die schwächste Stimme hat.
Mit seinem simplen, kampforientierten Spielprinzip, schlichten Verwaltungs- und Organisationmöglichkeiten und durchschnittlicher Präsentation kommt "The Bard's Tale" über die Mittelklasse des Genres nicht hinaus. Als Satire und Parodie allerdings ist es großartig. Auch des Spielers ABC lautet BBB: Biestige Barden bringen's.