Wer nicht schnell genug ist, den überholt das Leben. Letztens wollte ich mir ein neues Handy kaufen. Ich dachte, das wäre eine Angelegenheit von nur wenigen Minuten. Denkste. Anscheinend habe ich in zwei, drei Jahren mehr verpasst als Robinson Crusoe auf seiner Insel. Der Handyzug ist an mir vorbeigerauscht, und ich kann nicht einmal mehr die Rücklichter sehen.
Alles fing damit an, dass Robert sich kurz mein Handy ausborgen wollte. Ich fischte es aus der Jackentasche und warf es ihm zu. Nachdem Robert sich wieder vom Boden aufgerappelt hatte, schaute er mein Handy mit dem ehrfürchtigen Respekt eines Notebook-Besitzers an, der unverhofft auf einen der ersten Konrad-Zuse-Rechner gestoßen ist. »Das ist ja ein dickes Ding«, murmelte Robert und wog mein Handy in der Hand. »Damit kann man sicher Schaufenster einwerfen. Oder in Alaska einen angreifenden Bären stoppen.«
Mein Handy war mal der letzte Schrei...
Nun ist mein Handy so groß nun wieder auch nicht. Das alte Nokia war damals auf der CeBIT Anno dazumal der letzte Schrei. Leider hält der Akku nicht sehr lange, weswegen am Bauch des Handys der Ersatzakku klebt. Allein der wiegt mehr als ein Straßenpflasterstein, aber bislang habe ich das als so gegeben hingenommen wie den Heuschnupfen im Frühling.
Am nächsten Tag zeigt mir Robert sein Handy. Es ist nur so groß wie eine Zigarettenschachtel, leicht wie eine Feder und sehr hübsch im Design. Ich wundere mich, ob man mit so einem kleinen Ding überhaupt telefonieren kann. Staunend schaue ich auf die vielen Befehle im winzigen Menü. Erschrocken spucke ich mein halbes Frühstück aus, als Robert die Standby-Zeit und die reine Sprechzeit ohne neues Akku-Aufladen nennt. So lange halten die Akkus inzwischen?! Auch meine Frau lässt eine Augenbraue nach oben wandern: »Ich kann das dicke Ding auch nicht mehr ab. Alle meine Freundinnen haben inzwischen ein kleines modernes Handy.« Ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl.
Ein Tausender als Freundschaftspreis
Ich erzähle Jörgi, dass ich für mein altes Handy noch einen Tausender Freundschaftspreis bezahlt habe, als ich es meinem damaligen Lektor abgekauft habe. Jörgi muss so doll lachen, dass ich ihm auf den Rücken hauen muss. Lange hätte er nicht mehr so etwas Komisches gehört. Heute würde man doch sein Handy eigentlich fast umsonst bekommen, wenn man mit einem Mobilfunk-Anbieter einen Vertrag abschließt. Und ich von der Presse erhalte doch eh einen Rabatt. Sofort lasse ich mir die Sonderkonditionen eines großen Providers schicken. Ich staune. Es gibt inzwischen zig hundert Tarife. Es gibt Tarife für bestimmte Uhrzeiten, für das Telefonieren in bestimmten Ortschaften und für das Telefonieren in bestimmten Netzen. All diese Tarife variieren von Grundmodell zu Grundmodell – und bei Presseleuten ist noch mal alles anders. Ein neues Handy bekomme ich nicht geschenkt, aber immerhin sehr billig vermittelt. Nur variieren auch die Handy-Preise von Tarifmodell zu Tarifmodell. Ich versteh gar nix mehr und geh? lieber in ein Handy-Geschäft.
Im Handy-Laden blinken mich Dutzende winziger Handys in den Auslagen an. Der Verkäufer fängt mich ab. »Wie sieht es mit Bild-SMS aus? Soll das Handy auch als WAP-Browser zu verwenden sein? Wie viele Klingeltöne darf das Gerät beherrschen? Möchten Sie es auch als Organizer zum Aufklappen verwenden? Brauchen Sie die Infrarotschnittstelle für den PDA-Rechner?« Ich höre noch irgendwas von Roaming, Handy-Logos und »bald kommt UMTS«, dann schaltet sich in meinen Ohren ein gnädiger Tinnitus ein und verdeckt all die Fachbegriffe, von denen ich keine Ahnung habe. Ich will doch nur unterwegs telefonieren und dabei keine Romane auf der Handy-Tastatur schreiben. Der Verkäufer nickt verständig – und macht seinem Kollegen Zeichen: Was ist das denn für einer?
Ich habe die Nase voll und mache im Handy-Technik-Rave nicht mit. Unter den entsetzten Blicken des Personals stelle ich mich vor die Handy-Auslage und mache: »Ene-Mene-Muh, mein neues Handy, das bist du!« Und schon habe ich ein neues Handy. Wie lange es am Stück auf Standby sein kann, weiß ich nicht. Auch von den Feinheiten meines Tarifmodells habe ich keine Ahnung. Dafür sieht das Handy aber sehr hübsch aus. Und meiner Frau gefällt es auch.
Carsten Scheibe