Scheibes Kolumne Nie wieder Pornos!

Seit dem 1. April 2003 gilt der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Kolumnist Scheibe diskutiert mit den Freunden Cookie, Jörgi und Robert, wie sich der Staatsvertrag auf die deutsche Erotikszene im Internet auswirkt. Die Jungs sehen schwarz: Nie mehr Pornos im Netz!

Heute treffen wir uns einmal beim Türken Hasir in der Berliner Altstadt Spandau. Neben mir sitzen Cookie, Robert und Jörgi mit am Tisch. Es gibt Kebab mit Joghurt-Soße, deftig gewürztes Hühnchen und viel Fladenbrot. Das türkische Bier schmeckt besonders gut. Doch das Essen ist bei den Jungs kein Thema. Es geht um permanent verfügbaren Sex - um Pornos aus dem Internet.

Heißes Thema: Naddel

Jörgi hebt die Gabel, das aufgespießte Stück Hühnchen zappelt hin und her: "Habt ihr schon gehört, dass Naddel nackt im Internet aufgetaucht ist? Irgendso ein Betreiber einer Porno-Homepage hat lauter Nacktfotos von ihr ins Netz hochgeladen - und jetzt tobt die Gute im Quadrat."

Cookie winkt ab: "Klar, hab ich schon gehört. Das sind doch nur alte Playboy-Fotos, die irgendwie ins Netz entwichen sind. Schlimmer ist doch, dass es auf der Homepage angeblich auch scharfe Pornofotos mit Naddel geben soll."

Robert fragt neugierig nach, plötzlich wach geworden: "Mit Dieter Bohlen im Duett - und mit geknickter Nudel?"

Im Web

Weiterführende Informationen bei der KLM

Cookie verdreht die Augen: "Das würdest du dir glatt angucken, oder? Igitt. Nein, das sind keine echten Pornofotos, sondern gefälschte. Kennst du doch, die schnippeln einfach Naddels Kopf aus einem Bild heraus und kleben das dann in ein Gruppensexfoto ein. Und schon sieht es aus, als ob Naddel ihr blendaxweißes Gebiss in die Körperanhänge williger Männer schlägt."

Alles alte Hüte

Ich mische mich ein: "Diese getürkten Bilder gab es doch schon immer im Internet. Jeder bekannte Star wurde auf diese Weise schon einmal zum Pornosternchen. Da ist Naddel nicht die erste. Und bestimmt nicht die letzte."

Ein Kellner aus dem Hasir mischt sich ein. Er meint, dass die Türken in Deutschland den negativ gefärbten Begriff "getürkt" nicht eben schätzen würden. Könnte ich in meiner Wortwahl auf ein "gefälscht" umschwenken, würde er mir auch ein Bier spendieren. Ich nicke. Gerne.

Pornografen im Exil

Ich hebe das Glas und proste allen Anwesenden theatralisch zu: "Das mit der Pornografie im Internet, das ist eh bald komplett vorbei. Der Jugendschutz ist wieder aktiv. Der neue Jugendmedienschutz-Staatsvertrag vom 1. April sorgt jetzt dafür, dass die komplette deutsche Sexszene ins Ausland abwandern wird." Jörgi schüttelt den Kopf: "Was? Warum denn das? Wir sind doch schon so extrem abgesichert. Es gibt doch im deutschen Internet kaum noch eine Sexseite, die auf ihrer Startseite offen mehr zeigt als nackte Möpse. Erst wenn ich einen komplizierten Altersnachweis absolviert habe, darf ich mir schärfere Sachen anschauen. Das ist doch absolut vorbildlich. Häng mal ein .com an eine beliebige Adresse an. Im amerikanischen Bereich des Internets kann sich jedes kleine Kind die schärfsten Pornos ansehen. Und das ohne jedes Hindernis. Es muss nur auf den Ich-bin-alt-genug-Link klicken."

Nummer des BPA reicht nicht mehr

Ich hebe die Schultern: "Alles wurscht. Es gibt jetzt eine 'Kommission für Jugendschutz', die sich KJM nennt und dafür Sorge tragen möchte, dass der neue Staatsvertrag auch wirklich eingehalten wird. Die Verantwortlichen haben bereits klar gemacht, dass die alten Jugendschutzverfahren im Internet nicht ausreichen und dass vor allem die gültige Praxis, sich mit der Nummer des Personalausweises als volljährig zu deklarieren, nicht länger toleriert wird."

Robert wird drastisch: "Am Arsch hängt's Bein. Und was geht mich das an?"

Cookie ahnt es schon: "Wahrscheinlich droht man den Betreibern damit, sie zu verklagen. Wer Angst vor Geldstrafen oder gar Gefängnis hat, der wird schon spuren."

Jörgi stellt die Fragen aller Fragen: "Wie wird sich denn dann der Online-Sex für mich ändern?"

Gesichtskontrolle

Ich muss wieder passen: "Leider gibt es keine gesetzlich vorgeschriebene Methode der Alterskontrolle. Wichtig ist der KJM anscheinend ein persönlicher Face-to-Face-Altersnachweis. Unter der Hand scheint man sich auf das folgende Prozedere zu einigen. Der Anwender, der sich Sexseiten im Internet anschauen möchte, steckt seine Nudel wieder ein und übt sich in Geduld. Dann geht er zur Post und füllt hier ein Formular zum PostIdent-Verfahren aus. Mit dem Ausweis beweist er dem Postler, dass er alt genug zum Sexeln am Bildschirm ist. Der setzt seinen Stempel unter das Formular. Das Formular ist dann abzuschicken, um bei einem Altersnachweisdienst einen USB-Dongle zu bestellen. Der muss dann wie ein Schlüssel in den Rechner gesteckt werden, um die Sexangebote freizuschalten."

Cookie entrüstet sich: "Aber ich nutze die Sexangebote im Netz doch nur völlig spontan - wenn mich beim Surfen die Lust übermannt. Dann möchte ich aber sofort scharfe Tatsachen auf meinem Bildschirm sehen und nicht erst zur Post rennen und dann auch noch auf einen Dongle warten."

Ich nicke: "Was wird also passieren?"

Geht der Schuss nach hinten los?

Cookie weiß es: "Die Onliner lassen die deutschen Sexseiten links liegen und schauen lieber gleich bei den amerikanischen Sexclubs vorbei, die nicht so kompliziert aufgebaut sind. In der Folge ziehen auch die deutschen Anbieter ins Ausland um und machen von dort aus weiter. Nur ohne den Jugendschutz, den sie bislang bereits angeboten haben. In der Folge erhöht die Maßnahme den Jugendschutz im Netz nicht, sondern höhlt ihn aus. Und Eichel wundert sich über neue Steuerausfälle, weil die Unternehmen ihre Sex-Euros jetzt im Ausland versteuern."

Nichts Genaues weiß man nicht

Ich süffele mein Bier aus und bestelle noch eins: "Wer weiß schon genau, wie es kommt. Alles nur Vermutungen. Die Szene ist jedenfalls in Panik und jeder wartet auf die ersten Anklagen, denn noch hat sich im Netz nichts geändert. Ich würde mir nur wünschen, dass die Gesetzgeber nicht immer nur Verbote erlassen, sondern auch mal ganz klar formulieren, wie sie umzusetzen sind. Denn ganz egal, ob es um das Verbot zum Knacken von Kopierschutzsystemen, um den Jugendschutz auf den Heft-CDs von Computermagazinen oder jetzt um den Online-Sex geht: Alles ist schwammig formuliert und niemand kapiert so richtig, um was es geht."

Jörgi winkt ab: "Mir ist die Lust auf Cybersex jetzt eh vergangen. Kommt, lasst uns lieber ins Kino gehen. 'Findet Nemo' ist grade" angelaufen."

Wir zahlen, packen zusammen und ziehen weiter. Heißes Popcorn klingt jetzt verlockender als nackte Pixelbrüste.

Eine Glosse von Carsten Scheibe

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