Ich arbeite selbstständig von zu Hause aus. Ich habe Glück: Habe ich eine tolle Idee, gehe ich ins andere Zimmer zu meinen beiden Mitarbeitern und erzähle ihnen das. Die sagen dann gleich, ob es Murks ist oder nicht. Die meisten meiner Geschäftspartner hingegen haben Pech. Die arbeiten in einer großen Firma. Und müssen fast täglich ihre Zeit bei einem Meeting vertrödeln.
Die Wirtschaft stagniert. Woran liegt's? An den Meetings. Nirgends sonst wird auf so schwachsinnige Weise Zeit vertan wie auf einem Meeting. Ein Beispiel: Vor sieben, acht Jahren habe ich für einen Verlag Software-Handbücher geschrieben. Sechs im Monat, das war reiner Akkord. Doch der Handel brauchte die Stückzahlen, und er verkaufte sie auch. Sechs Bücher im Monat, da musste alles flott gehen. Alle drei Monate kam deswegen mein Lektor nach Berlin geflogen, oder ich düste nach München. Dann schlug ich ihm 20, 30 Titel vor, er strich aus dem Bauch heraus die Hälfte weg und wir hatten unser Programm für die nächsten drei Monate im Sack. Das dauerte eine Viertelstunde, dann ging es zum Essen und wir lästerten über Gott und die Welt und vor allem über die Konkurrenz.
Meetings zerstörten uns Bestseller
Bis mein Lektor eines Tages am Telefon meinte, er könne nicht mehr nach Berlin kommen. Jetzt wäre ein Controller im Verlag und außerdem lauter neue Leute mit englischen Titeln auf den Visitenkarten. Er könnte nicht mehr alles allein entscheiden. Ich müsse nun schriftliche Exposés für jeden vorgeschlagenen Titel abliefern, die auch auf die Konkurrenten am Markt eingehen und eine übersichtliche Funktionsliste enthalten. Das würde dann im Meeting von ihm vorgestellt werden, damit die Geschäftsführung, der Vertrieb und alle anderen Stellen noch ihren Senf dazu abgeben können. Ich schrieb also mit tausend Flüchen auf den Lippen Dutzende von Exposés, die dann im Meeting vorgestellt wurden. Gleich nach dem ersten Meeting rief ich neugierig an, wie es denn gelaufen war. »Du«, meinte mein Lektor, »wir haben das noch gar nicht besprechen können. Es stand zu viel anderes auf der Tagesliste«. Zum Glück gab es im Verlag inzwischen drei Meetings in der Woche. Doch auch beim nächsten Meeting war das Ergebnis nicht besser. »Du«, sagte mein Lektor. »Von den 20 Titeln sind 19 von den anderen abgeschmettert worden. Und beim letzten will der Vertrieb erst noch prüfen, was der Handel dazu sagt.« Ich war fassungslos, verwies auf unsere Erfolgsbilanz, auf die nicht schlafende Konkurrenz und auf unser stets funktionierendes Bauchgefühl. »Interessiert den Vertrieb nicht«, hörte ich. In der Folge gingen uns zahllose sichere Bestseller durch die Lappen, die dann bei anderen Verlagen erschienen. Ich gab es irgendwann auf, als passend zur Entscheidungsfindung auch noch Prä- und Post-Meetings eingeführt wurden. Meinen Lektor erreichte ich nicht mehr. Er war eigentlich nur noch auf einem Meeting.
Doch auch Konferenzen und Seminare sind nicht schlecht, um Zeit zu verpulvern. Ein Zeitschriftenverlag holte mich einmal zum Kennenlern- und Ideenfindungsseminar nach München. Zahlte den Flug, das Hotel und alle Spesen vor Ort. Ich hatte mir im Kopf schon alles ausgemalt: Am besten setzten wir uns alle in ein enges Zimmer, packten einen Kasten Bier auf den Fußboden, bestellten ein paar Scheiben Pizza beim Bringdienst und brainstormten einfach munter drauf los. Ich habe extra für solche Gelegenheiten immer ein kleines Buch mit meinen besten, bislang unverwirklichten Ideen dabei. Binnen ein paar Stunden hätten wir sicherlich das perfekte Computermagazin erfunden. Hundertprozentig.
»Das ist der Moderator«
Doch es kam alles ganz anders. Ich musste mich, in München angekommen, in die Bahn setzen, um stundenlang bis zu einem Vorort zu fahren, in dem ein schickes Tagungshotel stand. Hier wurden wir Autoren herzlich willkommen geheißen. Gut, dann brainstormen wir eben in einem Tagungszimmer, dachte ich. Auch okay. Erfreut stellte ich fest, dass auf den Tischen bereits diese coolen Cola-Miniflaschen standen. Darauf fahre ich ja so etwas von ab, das versöhnte mich mit vielem. Bis ich den Typen sah. So ein Dauergrinser im billigen Anzug und keinem Funkeln mehr in den Augen. Ich fragte den Verlagsleiter, der das Ganze inszeniert hatte: »Wer ist das denn?« Er lächelte selig: »Das ist der Moderator«.
Moderator? Und so war es. Der Typ, der uns alle nicht die Bohne kannte, der nie eines von unseren PC-Heften gelesen hatte, stellte sich allen in der Runde als Moderator vor. Dann holte er eine Mappe hervor und entnahm ihr Bögen mit kleinen bunten Aufklebern: »Ich würde einmal sagen, dass die Redakteure rote Punkte bekommen, die freien Autoren grüne und die Grafiker blaue.« Mein Gesicht muss ein ziemlich großes Fragezeichen gewesen sein, denn er erklärte mir: »Ziel unserer Konferenz ist es, die zuletzt erschienenen Hefte zu bewerten, damit wir herausfinden, was gut war und was nicht.« Ich plapperte einfach drauf los und meinte, das könne man doch in einer richtigen Diskussion viel besser machen. Ich wurde ermahnt und belehrt, dass es vor mir bereits drei andere Wortmeldungen mit Handzeichen gegeben hatte und dass ich mich doch bitte etwas gedulden müsse. Außerdem wäre es jetzt an der Zeit, die Aufkleber zu verteilen. An einer Tafel wurden die Cover der einzelnen Magazine angepinnt. Jeder durfte jetzt seine Aufkleber auf die seiner Meinung nach besten Hefte verteilen. Das dauerte fast Stunden, weil jeder Teilnehmer die Punkte großzügig auf seine eigenen Hefte verteilte und das vom Moderator nicht erlaubt wurde. Im Nachbarraum bei einem Pausen-Zigarettchen fanden dann die besten Diskussionen im Klartext statt. Die beschränkten sich aber leider darauf, über den absolut inkompetenten Moderator herzuziehen. Am Ende des Tages wurde das Ergebnis vertagt, weil niemand von der Verlagsleitung wusste, wie das Ergebnis denn am besten auszuwerten sei. Man dankte uns aber, dass wir uns einen Tag freigenommen hätten. Mein Ideenbuch hatte ich nicht einmal aufgeschlagen.
Inzwischen freue ich mich, dass unser Redaktionsbüro in Falkensee liegt, also mitten im Speckgürtel von Berlin. Hier gibt es keine Pressekonferenzen, keine Meetings und keine Seminare. Nur Arbeit. Weit weg von München können wir das tun, wofür wir bezahlt werden: Texte schreiben.
Carsten Scheibe
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