Abmahnungen Angst vor dem Anwalt

Gewerbetreibende und Juristen überziehen Hunderte Webseiten-Betreiber mit Abmahnungen. Schon kleine Fehler können viel Geld kosten.

Drei Tage Frist. Eine Strafandrohung in Höhe von 5100 Euro. Eine Unterlassungserklärung zum Zurückfaxen. Dazu noch eine saftige Anwaltsrechnung. Michael Schwill konnte kaum glauben, was ihm da Anfang August für ein Brief ins Haus geflattert war.

Der Dresdener Maler und Grafiker hatte für befreundete Künstler und auch für sich selbst Homepages programmiert. Ausgerechnet im Impressum seiner eigenen Seite war ihm dabei "ein dummer Fehler" unterlaufen aus "reiner Nachlässigkeit". E-Mail-Adresse und Faxnummer hatte er noch korrekt angegeben. Vergessen hatte er aber, Straße und Wohnort zu erwähnen. Zwei fehlende Zeilen, die außer einem "gehörigen Schreck" und "einer Menge Stress" nun auch einen Rechtsstreit nach sich ziehen könnten.

Preis der vergesslichkeit: 585,22 Euro

Einem Webdesigner aus dem Ruhrgebiet war nämlich das unvollständige Impressum seines vermeintlichen Konkurrenten aufgefallen. Er schaltete einen Anwalt ein, der Schwill die Abmahnung ins Haus schickte - natürlich nicht ohne Anwaltsrechnung: 585,22 Euro.

Solche oder ähnliche Post bekommen jeden Monat Hunderte Webseiten-Betreiber. Absender sind Geschäftemacher und Anwälte, die das World Wide Web nach Formfehlern durchforsten, um aus der Unwissenheit von Amateur-Webmastern Kapital zu schlagen.

"Geschäftmäßig" umfasst mehr, als man glaubt

Seit im vergangenen Jahr das Teledienstegesetz (TDG) die Impressumsbestimmungen für "geschäftsmäßige" Seiten verschärft hat und unter anderem zwingend die Angabe der Hausanschrift des Seitenbetreibers verlangt, haben Abzocker leichtes Spiel. Denn was kaum jemand weiß: Als "geschäftsmäßig" gilt eine Webseite schon dann, wenn Werbebanner darauf sind - was auch bei vielen privaten Sites der Fall ist. Eine Netzrecherche und ein kurzer Brief genügen findigen Juristen, um Hunderte Euro in Rechnung stellen zu können.

"Das Gesetz ist eine Gelddruckmaschine für Anwälte", sagt Jutta Rosenbach vom Verein Abmahnwelle e.V., die im Netz den Widerstand gegen die Abkassiererei organisiert und Opfern die Möglichkeit gibt, sich unter www.abmahnwelle.de auszutauschen. "Betroffen sind vor allem Privatleute und kleine Gewerbetreibende."

Fallstricke gibt es viele

Die Opfer sind durch einfache Suchmaschinen-Abfragen mühelos aufzustöbern und fügen sich meist wehrlos in ihr Schicksal: Es sind Ich-AGs, Sportvereine, Kirchengemeinden oder Freiberufler. Oft brechen sie nichts ahnend das Recht, indem sie auf ihren Seiten zum Beispiel Kartenlegespiele unter der Bezeichnung "Memory" anbieten - dabei handelt es sich um eine geschützte Marke. Andere übernehmen Anfahrtsskizzen von Gratis-Stadtplanseiten wie hotmaps.de auf die eigene Webseite. Doch die Kartenverlage passen auf: Wen die "Gesellschaft für kartographische Abdruck- und elektronische Vervielfältigungsrechte" erwischt, dem drohen horrende Schadensersatzforderungen.

Auch Ebay-Verkäufer geraten häufig ins Visier von Abmahn-Fahndern. Große Firmen lassen die Auktionsangebote beobachten und schreiten ein, wenn sie ihre Rechte verletzt sehen. So hatte Joachim Göbel aus Neunkirchen ein Goldarmband "im Cartier-Stil" angeboten - und bekam unangenehme Post wegen missbräuchlicher Verwendung eines Markennamens. Streitwert: 100000 Euro, Gebühr: 1200 Euro.

Wider den Missbrauch

"Abmahnungen sind oft berechtigt, aber gegen den Missbrauch muss etwas getan werden", sagt der Hamburger Anwalt Martin Bahr, Fachmann für Internetrecht. "Es ist zu überlegen, ob nicht die erste Abmahnung grundsätzlich kostenfrei sein sollte." Um unberechtigten Forderungen vorzubeugen, sollte ein Schadensersatzanspruch für fälschlich Belästigte eingeführt werden: "Dann wird sich jeder dreimal überlegen, bevor er leichtfertig eine Abmahnung rausschickt."

Doch eine Änderung der Gesetzeslage ist nicht in Sicht. Zwar wird das Wettbewerbsrecht demnächst novelliert - das Abmahnwesen soll aber unverändert bleiben.

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Ulf Schönert

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