Geoffrey Hinton "Was, wenn es intelligenter ist als wir?": Der "Urvater der KI" bereut sein Lebenswerk – und fürchtet seine Folgen

Geoffrey Hinton forschte 50 Jahre lang an Künstlicher Intelligenz
Geoffrey Hinton forschte 50 Jahre lang an Künstlicher Intelligenz
© Masahiro Sugimoto/ / Picture Alliance
Über Jahrzehnte trieb Geoffrey Hinton die Entwicklung Künstlicher Intelligenz maßgeblich an. Jetzt hat er seinen Job bei Google gekündigt. Und sorgt sich um die Folgen seiner Arbeit.

Es ist das Technologie-Thema der Stunde. Seit Ende vergangenen Jahres ist Künstliche Intelligenz (KI) mit voller Wucht im Bewusstsein der Öffentlichkeit eingeschlagen. Woche für Woche werden neue Programme mit immer beeindruckenderen Fähigkeiten vorgestellt. Eigentlich eine Zeit, in der Veteranen der Branche wie Geoffrey Hinton endlich die Früchte ihres Erfolges genießen sollten. Stattdessen hat Hinton nach 50 Jahren KI-Entwicklung gerade das Handtuch geworfen. Sein Enthusiasmus ist der Furcht gewichen.

Das berichtet Hinton gerade in einem ausführlichen Interview mit der "New York Times". Dass er nun frei über diese Furcht spricht, hängt mit seiner jüngsten Entscheidung zusammen: Nach mehr als zehn Jahren hat Hinton gerade bei Google gekündigt. Weil er den Konzern und seine Konkurrenten offenen Auges ins Verderben laufen sieht.

Schockierend schnelle Entwicklung

Er habe lange geglaubt, dass die Technologie dem Menschen weit unterlegen sei. "Aber was, wenn das, was in den Systemen passiert, eigentlich viel besser ist, als was in unserem Hirn geschieht", bringt er seine Sorge auf den Punkt. "Die Idee, dass diese Technologie wirklich intelligenter als ein Mensch werden könnte, daran haben wenige Menschen geglaubt", erinnert sich Hinton. "Die meisten dachten, das ist noch weit entfernt. Ich habe das auch gedacht, dass es mindestens 30 bis 50 Jahre dauern wird", führt er aus. "Es ist offensichtlich, dass ich das nicht mehr denke."

"Schauen Sie sich an, wo KI heute war und wo sie jetzt ist", gibt sich Hinton gegenüber der Zeitung über die Geschwindigkeit der Entwicklung entsetzt. "Nehmen Sie den Unterschied und projizieren Sie ihn in die Zukunft. Das ist furchteinflößend."

Noch größere Sorgen mache ihm, dass Unternehmen wie Google diese Gefahr nicht im gleichen Maße zu sehen scheinen. Er habe bis letztes Jahr noch gedacht, es handle sich bei Google um einen "ernsthaften Paten" der Technologie handeln, der verantwortungsvoll die Risiken bedächte. Doch seit das Unternehmen im Frühjahr als Reaktion sehr vorschnell seinen eigenen Chatbot Bard vorstellte, sei dieser Glaube dahin, erklärt er seinen Sinneswandel. Die Verantwortung sei einem überhasteten Rennen um die Vorherrschaft der Technologie gewichen.

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Urvater der KI

Das Umdenken ist insofern bemerkenswert, weil Hinton einer der entscheidenden Vordenker der Technologie ist. Schon 1972 schlug der damals noch in Edinburgh studierende Experte vor, dass echte Künstliche Intelligenz erst erreicht werden könnte, wenn sie wie das menschliche Hirn auf eine Art neuronale Verbindung setzen würde. 40 Jahre später war ihm das gelungen: Gemeinsam mit seinem Team trainierte er ein neuronales Netzwerk darauf, Gegenstände auf Bildern eigenständig erkennen zu können. Heute sind neuronale Netzwerke die Grundlage aller modernen KI-Ansätze, Hinton wurde oft als "Godfather of AI" bezeichnet.

Und seine Arbeit ist für zwei der wichtigsten Unternehmen die direkte Basis. Kurz nachdem er mit zwei Studenten sein neuronales Netzwerk der Öffentlichkeit übernommen hatte, kaufte Google seine Firma für 44 Millionen Dollar auf. Die Arbeit gilt als Basis für Bard. Einer der Studenten, Ilya Sutskever, wechselte indes zu OpenAI – und arbeitet dort als Chef-Wissenschaftler an ChatGPT.

Angst vor den Folgen

Heute fürchtet Hinton die Folgen seiner Arbeit. Wegen der Fähigkeiten von Programmen wie Midjourney, täuschend echte Bilder zu erstellen und Programmen wie ChatGPT, die auf Befehl Texte aufschreiben, "werden wir vielleicht bald gar nicht mehr wissen können, was eigentlich wahr ist", fürchtet er. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie man Übeltäter davon abhalten soll, es für Schlechtes zu nutzen", gibt sich Hinton pessimistisch.

Eine staatliche Regulierung hält er indes für schwierig. Der Konkurrenzkampf zwischen den Techgiganten sorge dafür, dass die Firmen sich nicht selbst regulieren könnten, nimmt er an. Anders als bei Nuklearwaffen sei es kaum möglich, die Entwicklung rund um die Welt zu überwachen. Sein radikaler Vorschlag: Wissenschaftler sollten sich verbünden, eine weitere Entwicklung bewusst zu bremsen. "Wir sollten das nicht weiter wachsen lassen, wenn wir nicht wissen, ob wir es kontrollieren können."

Der Vergleich mit Nuklearwaffen hatte Hinton früher als gegenteilige Aussage genutzt. Der Erfinder der Atombombe, Robert Oppenheimer, habe immer gesagt: "Wenn etwas technisch reizvoll ist, macht man weiter und tut es." Er habe das früher oft zitiert, gibt er gegenüber der "NYT" zu. Heute würde er das nicht mehr tun. "Ich tröste mich mich der üblichen Ausrede", erklärt er. "Wenn ich es nicht getan hätte, wäre es jemand anders gewesen."

Quelle: New York Times

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