Ukraine-Krieg Mit dem abgekoppelten "Runet" könnte Russland zum digitalen Nordkorea werden – die Vorbereitungen laufen seit Jahren

Wladimir Putin sitzt an einem Computer
Es wird langsam einsam im "Runet" – und vielleicht isoliert sich das Land digital bald sogar völlig.
© Andrei Gorshkov / Picture Alliance
Seit 2014 arbeitet die russische Regierung an der möglichen Isolation des sogenannten "Runet", also einer Art "Staatsinternet" wie das nordkoreanische "Kwangmyong". Der Krieg in der Ukraine und die zahllosen Sanktionen gegen Russland könnten dazu führen, dass Putin sein Land künftig digital abkapselt.

Ein Schreiben aus Moskau bereitet der internationalen Netzgemeinde großes Kopfzerbrechen: Es scheint, als konkretisiere Russland die schrittweise Einführung eines landesweiten Intranets ohne Verbindung zur Außenwelt – quasi die Rückkehr des eisernen Vorhangs in digitaler Form. Die Abkopplung des russischen Internets ("Runet") wurde bereits 2014 im nationalen Sicherheitsrat beschlossen, das entsprechende Gesetz trat 2019 mit der Unterschrift von Wladimir Putin in Kraft. Mit "Runet" ist das russischsprachige Segment des Internets gemeint. Für die Kontrolle über das, was die russische Bevölkerung über den Krieg in der Ukraine erfährt, wäre Isolation das perfekte Werkzeug. Und eine Antwort auf den Rückzug zahlloser internationaler Unternehmen und die Angriffe von Hackern ebenfalls.

Für die russische Bevölkerung wird es im Internet ganz schön eng. Nicht nur ziehen sich beliebte Dienstleister wie Netflix proaktiv zurück, die Regierung sperrt auch eigenhändig wichtige Anlaufstellen wie Youtube, Facebook und Twitter. Selbst das chinesische soziale Netzwerk Tiktok musste seinen Dienst notgedrungen einschränken, da ein neues Gesetz zur Verbreitung von angeblichen Falschmeldungen Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten schnell zum Verhängnis werden kann.

Volle Kontrolle im WWW fast unmöglich

Die Vielfalt, die sich Menschen in Russland bis vor wenigen Wochen noch bot, ist längst dahin. Doch noch ist Russland Teil der internationalen Netzgemeinde – und von der Außenwelt erreichbar. Das hat zufolge, dass die Regierung längst nicht alle Fäden in der Hand hat, um das Internet vollends kontrollieren zu können. Im Gegenteil: Während in der Ukraine ein blutiger Krieg tobt, kämpfen Hacker und Unternehmen auf der ganzen Welt auf digitaler Front gegen Russland und Präsident Putin.

Zuletzt sperrte der führende US-Internetprovider Cogent russische Kunden aus seinem Netz aus. Als Betreiber wichtiger globaler Knotenpunkte, die nach eigenen Angaben bis zu einem Viertel des gesamten Datenverkehrs im Internet durchleiten, verlangt der Konzern "alle von Cogent zur Verfügung gestellten Ports und IP-Adressräume zum Zeitpunkt der Kündigung zurück." Betroffen sind unter anderem der staatliche Telekommunkationsanbieter Rostelecom, zwei der größten russischen Mobilfunkanbieter und die Suchmaschine Yandex.

Die Trennung von Cogent hat für die Menschen in Russland nicht automatisch eine Abkopplung vom Netz zur Folge, doch die verfügbare Bandbreite schrumpft merklich und das Internet droht landesweit deutlich langsamer zu werden. Auf die Bevölkerung könnte das wie eine Schwäche der Regierung wirken, sich der Marktmacht westlicher Konzerne nicht entziehen zu können. 

Krieg zwischen Ukraine und Russland: Ein ukrainischer Soldat
Krieg zwischen Ukraine und Russland: Ein ukrainischer Soldat
© Pavel Nemecek/ / Picture Alliance
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Gepaart mit Hacker-Angriffen des internationalen Kollektivs "Anonymous", das hemmungslos jedes irgendwie erreichbare Ziel in russischer Hand ins Visier nimmt, bietet sich Russland mit der Umschaltung auf das isolierte "Runet" eine Chance, den Tumult umgehend zu beenden. Denn wie auch das nordkoreanische Internet "Kwangmyong" wäre das russische Internet dann von außen nicht erreichbar und von innen nicht überschreitbar. Zumindest theoretisch.

Test lief 2021 erfolgreich

Zuletzt hatte Russland das "Runet" im Sommer 2021 vom Rest der Welt getrennt. Im Namen der Sicherheit hatte sich das Land testweise von der internationalen Internetgemeinde abgeschnitten, um im Falle von "externen Störungen, Blockaden und anderen Bedrohungen" vorbereitet zu sein. Eine komplette Abschottung hielt man damals noch für unwahrscheinlich. Schon zur Unterzeichnung des Gesetzes 2019 hieß es von Wolfgang Kleinwächter, einem der führenden Internet-Experten: "Natürlich könnte Russland eine eigne Infrastruktur aufbauen, aber das wäre ein Schuss ins eigene Bein. Das wäre wirtschaftlicher und politischer Unsinn."

Der Überfall auf die Ukraine, die Sanktionen der westlichen Welt und die ständigen Cyberangriffe auf Russland dürften das geändert haben. Dem übersetzten Schreiben aus Russland ist zu entnehmen, dass alle Webseiten der Regierung bis zum 11. März auf russische Server umziehen sollen. Außerdem sollen sie Anforderungen für Passwörter deutlich erhöhen, DNS-Server auf russischem Territorium ansteuern und eine ".ru"-Domain nutzen. Ebenfalls wichtig: Die Betreiber sollen sämtliche Webseiten-Elemente entfernen, die von ausländischen Firmen stammen. Dem Schreiben zufolge wolle die Regierung auch wissen, für wen es unabdingbar sei, außerhalb Russlands erreichbar zu sein.

Keine Pläne zur Trennung

Es könnte auch sein, dass es sich bei den Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt um eine bloße Erhöhung der Sicherheit für russische Anbieter von regierungseigenen Web-Diensten handelt. Die russische Tageszeitung Kommersant, die dem sanktionierten Oligarchen Alischer Usmanow gehört, meldet, dass die Isolation der Netzwerke dazu dient, den Schutz vor Cyberattacken zu erhöhen und die "Möglichkeit der Trennung von außen" zu bewahren. Demnach gäbe es aber keine Pläne "Russland vom globalen Internet zu trennen." Das sieht auch der russische IT-Experte Oleg Shakirov so, der Berichte auf Twitter dementiert, die von einem Hochfahren des digitalen eisernen Vorhangs sprechen. Auch er grenzt ein: "Behauptungen, Russland trenne sich vom Internet sind falsch – für den Augenblick."

Theoretisch hätte die internationale Gemeinschaft selbst Werkzeuge, um Russland vom Internet zu trennen. Darum bat die Ukraine in der vergangenen Woche mehrfach. Doch die verantwortlichen Koordinationsstellen ICANN und RIPE beharrten darauf, sich neutral verhalten zu müssen, um einerseits den Informationsfluss nach Russland zu erhalten und andererseits keinen Präzedenzfall zu schaffen, der das Abschalten vom Internet einzelner Länder im Krisenfall salonfähig macht.

Russland versucht indes, die Ukraine mit anderen Mitteln aus dem Netz zu werfen. So griff Putins Armee zum Teil schon vor der Invasion das Satelliten-Netzwerk KA-SAT an, den ukrainischen Provider Triolan trennte man zeitweise auch schon vom Netz. Als Gegenmaßnahme bat der Digitalminister Mychajlo Fedorow Elon Musk um Hilfe, der prompt sein Satelliten-Internet Starlink für die Ukraine aktivierte und Bodenstationen schickte (hier lesen Sie mehr). 

Geheimnisvolle Schiffe und Cyber-Soldaten

An Theorien, was als nächstes folgt, mangelt es in den sozialen Netzwerken naturgemäß nicht. Denn man vermutet, dass die nun beschlossenen Maßnahmen auch eine Vorbereitung für eine Cyberoffensive sein könnten, die Russland als Antwort auf die nicht enden wollenden Hacks plant. So habe sich das Forschungsschiff "Yantar" in Bewegung gesetzt und Werkzeuge an Bord, um für das Internet lebenswichtige Unterseekabel zu manipulieren. Gleichzeitig kämpfe das "United States Cyber Command" von europäischen Standorten aus gegen russische Angriffe auf internationale Internetdienstleister.

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