Ob zur Kommunikation, der Verbreitung von Informationen oder der Organisation des Alltags: In einem modernen Krieg geht es längst nicht mehr nur um Lufthoheit oder Truppenstärke, sondern auch um die digitale Infrastruktur der beteiligten Länder. Hätte eine Kriegspartei kein Internet mehr, wäre das für die Gegenseite ein gigantischer Vorteil. Im laufenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine gibt es daher von beiden Seiten entsprechende Bestrebungen, dem Feind die Leitung zu kappen.
Russland versucht Ukraine schon länger abzuschalten
In der Ukraine sieht man sich schon länger Versuchen ausgesetzt, das Netz des Landes abzuschalten. Ob einzelne Provider oder die Infrastruktur an sich: Immer wieder gab es Testläufe, Teile des Landes offline zu nehmen, teilweise sogar erfolgreiche. 2015 lag gar das Stromnetz kurz still. Die Spur führte in den meisten Fällen nach Russland.
Tatsächlich stand auch beim ersten russischen Einmarsch das Internet teilweise still. Der ukrainische Provider Triolan war aus dem Netz geworfen worden, der Nordosten des Landes war durch den Ausfall besonders betroffen, zeigen Daten aus dem Zeitraum.

Das ganze Land vom Netz zu nehmen, sei mit den von den russischen Hackern bevorzugten Methoden aber kaum möglich, erklärte Experte Doug Madory gegenüber "Wired". Das übliche Vorgehen zur Stilllegung einzelner Dienste – nämlich sie mit Unmengen an Anfragen zu fluten, bis sie in die Knie gehen, DDOS genannt -, hat bei einem ganzen Land in der Regel keine Erfolgsaussichten. "Die Server sind dafür zu robust. Und wenn es einfach wäre, hätten sie es vermutlich schon getan", so Meadory.
Nicht zentral genug
Eine Lage wie in Nordkorea, wo ein einzelner Hacker das ganze Internet in die Knie zwingen konnte (hier erfahren Sie mehr), ist in die Ausnahme. Dort war der Hack nur möglich, weil alle Daten über einige wenige Server laufen. Je breiter ein Land bei der Internetversorgung aufgestellt ist, desto schwieriger wird ein solches Vorhaben. Mit über 4900 unterschiedlichen Providern ist die Ukraine erheblich breiter aufgestellt, der Wettbewerb sorgt für eine deutlich dezentraleren – und damit robusteren - Aufbau des Netzes.
Ironischerweise könnte zudem ausgerechnet Russland selbst dafür gesorgt haben, dass das Abschalten des Netzes schwieriger wird. Weil die Infrastruktur immer wieder Ziel von Attacken war, mussten sich der Staat und die Provider auch darauf vorbereiten – und besonders robuste Netze aufbauen, die im Falle von Ausfällen schnell über Umwege wieder in Betrieb genommen werden können.

Und auch auf die extremste Option bereitet sich die Ukraine gezielt vor: Um sich vor der Möglichkeit zu schützen, dass Russland mit gezielten Bombardements die Kernzentren des Netzes im ganzen Land zerstört, hat sich Präsident Wolodymyr Selenskyj prominente Unterstützung geholt. Schon letzte Woche bat das Land Elon Musks auf Satelliten-Internet spezialisiertes Unternehmen Starlink um Unterstützung. Die ersten Schüsseln sind bereits im Land eingetroffen.
Ukraine fordert Abschaltung des russischen Netzes
Vor wenigen Tagen forderte das ukrainische Digitalministerium die ICANN-Führung auf, das russische Internet vom Rest der Welt zu trennen. Die ICANN - kurz für Internet Corporation for Assigned Names and Numbers - koordiniert die Vergabe von einmaligen Namen und Adressen im Internet, somit also auch das System der Top-Level-Domains wie ".de", ".com" oder eben ".ru". Konkret fordert die Ukraine, die Domains ".ru", ".рф" und ".su" abzuschalten, wodurch russische Webseiten außerhalb Russlands kaum noch zu finden wären.
Zusätzlich kontaktierte die Ukraine den IP-Adressverwalter Réseaux IP Européens (RIPE) und forderte, Russlands Providern und Firmen die zugewiesenen IP-Adressen zu entziehen und sogenannte DNS-Root-Server zu sperren. Auch das hätte massive Störungen der Erreichbarkeit von russischen Internetauftritten und -diensten zur Folge.
Die IP-Adressverwalter antworteten bereits in einer öffentlichen Stellungnahme. Dort heißt es: "Der Vorstand des RIPE NCC ist der Ansicht, dass die Kommunikationsmittel nicht durch innenpolitische Streitigkeiten, internationale Konflikte oder Krieg beeinträchtigt werden sollten. Dazu gehört auch die Bereitstellung von korrekt registrierten Internet-Nummern."
Informationsfluss erhalten
Auch ICANN wird den Bitten wohl nicht nachkommen. In den Mailing-Listen der Organisation finden sich zahlreiche Stimmen, die den Krieg zwar scharf verurteilen, aber die ICANN als neutrale Partei einstufen. Denn wer das russische Internet abschaltet, legt damit auch den Zugang der Bevölkerung zu Quellen lahm, die andere Ansichten als die der Putin-Regierung vertreten und man schafft einen gefährlichen Präzedenzfall für künftige Konflikte.
Quellen: Twitter [1], IODA, Wired, New York Times, RIPE, Twitter [2], ICANN Mailing-Liste