Es gibt zwei Sorten von Menschen: Die, die von Kindesbeinen an sportlich sind und Lust auf Sport haben. Und die, bei denen das nicht so ist. Letztere verbringen in der Regel ihre gesamte Schulzeit damit, sich durch den Sportunterricht zu quälen und entdecken oft auch später niemals die Lust an Bewegung – oder stellen als Erwachsene eines Tages überrascht fest, dass Sport ja doch Spaß machen kann, wenn "Sport" nicht heißt, dass jemand einen unwirsch über Barren und Kästen jagt oder ohne Training zum Fünf-Kilometer-Lauf antreten lässt.
Die Sportlichen scheinen dabei leider oft nicht zu verstehen, dass (und warum) es Menschen gibt, die nicht von Natur aus richtig gut im Basketballspielen oder Rückwärtssalto schlagen sind. Prinzipiell wäre das egal – wenn es nicht an allen Schulen Sportunterricht gäbe. Und Sportlehrer sind in 98 Prozent aller Fälle, natürlich, solche von Natur aus sportlichen Leute. So wie Daniel, der gerade auf Twitter über seine Schüler:innen schrieb, von deren Körpergewicht und Fitness er nicht angetan war.
Sportlehrer klagt über unsportliche Klasse
"Ich hatte dieses Jahr die übergewichtigste Klasse meiner Karriere. Im Schwimmunterricht bleibt mir leider kaum etwas verborgen. Übergewicht: 17/22. Davon: Adipositas Grad 2: 3-5 Adipositas Grad 1: 5-7 Übergewichtig: 3-5 leicht übergewichtig: 3-5 Dünn: 3 Sportlich: 2", zählt er auf. Nur zwei von 22 Kindern entsprachen also seinen Erwartungen als Sportlehrer.
Vermutlich war Daniels Motivation eine gutgemeinte. Mit mehr Gewicht gehen im Erwachsenenalter ja häufig mehr gesundheitliche Probleme einher. Und seine Vermutung ist, dass unter anderem die Lockdowns daran Schuld seien, dass Kinder sich über fast zwei Jahre deutlich weniger bewegten als zuvor.
Dennoch erhielt er für den Tweet viel Kritik: "Als Lehrerin finde ich das problematisch. Als Mutter bedenklich. Und als ehemals Übergewichtige extrem grenzüberschreitend, andere Menschen so einzuteilen. Kinder im Besonderen", schreibt ihm eine Frau. "Falls es Lehrer E. wirklich gibt und falls man ihm tatsächlich arglose Schülerinnen und Schüler zum Schwimmunterricht anvertraut hat, dann hat er sich mit diesem Tweet für dienstrechtliche Konsequenzen qualifiziert", kritisiert jemand anderes ihn harsch.
Ist dieses Bodyshaming legitim?
Auf viele kritische Kommentare reagiert Sportlehrer Daniel direkt, dennoch dürfte auch ihm aufgefallen sein, wie sehr sein Tweet die Gemüter bewegt hat. Denn deutlich wird daraus ja: Beim Kennenlernen der Klasse hat er die Kinder in Badehosen und -anzügen direkt auf Körperform und Gewicht begutachtet. Und das nicht auf eine empathische, sondern auf eine beurteilende Weise. Dass jemand, der in seinem Studium viel über Fitness, Gesundheit und Gewicht gelernt hat, mehr Gewicht bei Kindern vermutlich besorgter betrachtet als andere – klar.
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Aber von einem guten Lehrer würde man erwarten, dass er weniger von oben herab urteilt, als vielmehr mit der Motivation zur Arbeit kommt, den Kindern Spaß an Bewegung und damit vielleicht auch einem gesunden Lebensstil zu vermitteln. Das wäre das Optimum. Im Zweifel könnte er auch einfach emotionslos seinen Unterricht durchziehen und den unsportlicheren Schüler:innen entsprechend schlechte Noten geben. Aber schon am ersten Tag deutlich zu machen, dass er auf die dickeren Kinder herabsieht, sie (und, wie Daniel auf Twitter klarstellt, auch deren Eltern) verurteilt – das sollte kein Lehrer tun. Das ist in der Tat eine Grenzüberschreitung.
Lehrer sollten gewisse Grenzen nicht überschreiten
Und letztlich ist es auch nicht seine Aufgabe, den Lebensstil der Kinder zu kritisieren oder zu ändern. Das überschreitet bei weitem seine Kompetenzen. Er ist da, um ihnen Bewegung beizubringen. Ja, auch um ihnen für erbrachte Leistung Noten zu geben – so sinnlos oder sinnvoll man das im Falle von Sportunterricht finden kann, aber das ist eine ganz andere Diskussion. So gut vielleicht die Intention ist: Wieviel die Schüler:innen wiegen, was sie essen, was ihre Hobbys sind oder was die Eltern ihnen daheim kochen, all das geht Daniel und seine Kollegen nichts an.
Vielen (sportlichen) Menschen ist nicht klar, wie angreifbar man sich im Sportunterricht macht. Ist man schlecht in Mathe, ist das ärgerlich, aber niemand würde das als einen Charakterfehler bezeichnen. Bekommt man im Kunstunterricht kein ansehnliches Stillleben gezeichnet, ist das ärgerlich, aber niemand würde daraus schließen, dass mit einem als Mensch etwas nicht stimmt. Anders ist es beim Sport: Hier wird Kindern häufiger, als man denken möchte, vermittelt, dass schlechte Leistung mit einem persönlichen Defekt zusammenhängt. Und all das, während man inmitten der wildesten Wogen der Pubertät in Badebekleidung dasteht.
Einfach mal richtig triezen? Bitte nicht.
Es gibt sie immer noch oft, diejenigen, die glauben, dass man unsportliche oder dicke Kinder ruhig beschämen sollte – um sie zu motivieren. Als ob das jemals funktioniert hätte. Als ob es jemals jemandem Freude an der Bewegung vermittelt hätte, vom Sportlehrer bei jeder Übung besonders rüde angetrieben zu werden, oder bei jedem Versuch ein genervtes Seufzen zu hören. Und es wird auch keinen gesundheitlichen Benefit für Kinder haben, einmal die Woche drei Runden um die Schulsporthalle getriezt zu werden, bis ihnen die Lunge bis zu den Knien hängt. Wenn das Sport sein soll, machen sie ganz bestimmt zuhause freiwillig keinen mehr.
Als unsportliches Kind ist es mindestens zwei Stunden pro Woche völlig egal, wer man ansonsten ist und was man kann. Man ist nett, empathisch, klug oder witzig? Man kann innerhalb von Minuten Französisch-Vokabeln auswendig lernen, komplizierte Chemie-Formeln begreifen oder fantastische Aufsätze schreiben? Alles unwichtig, wenn aus der Sport-Shorts dicke Beinchen gucken und man auch beim dritten Versuch nicht über den blöden Bock springen kann. Ein bitteres Gefühl, das oft ein Leben lang nachklingt.
Eine Kluft zwischen zwei Gruppen
Der Graben zwischen Erwachsenen, für die der Sportunterricht das einzig Gute an der Schulzeit war und denen, die noch heute mit Grauen daran zurückdenken, ist nach wie vor riesig. Und man hat das Gefühl, die eine Partei kann die andere einfach nicht verstehen, und umgekehrt. Zwei Welten. Dass kaum ein anderes Fach so viele Emotionen auslöst, sollte doch aber schon zu denken geben. Und Sportlehrern deutlich machen, dass sie noch sensibler sein müssen, als Lehrkräfte es ohnehin sein sollten. Sie prägen Kinder fürs Leben.
Wären Sie als 13-Jährige(r) gern in einer so rüde formulierten Statistik Ihres Sportlehrers auf Twitter aufgetaucht, egal wie anonym? Glauben Sie, dass hätte Ihnen Vertrauen in Ihren Körper und Ihre Fähigkeiten gegeben? Vermutlich nicht.