Supreme Court "Uns droht eine Horror-Show": In den USA wird gerade das Schicksal des Internets entschieden

Vor dem amerikanischen Supreme Court sollen gerade zwei Fälle die Verantwortlichkeit im Internet klären. Mit potenziell riesigen Folgen.

Ob Meinungsposts bei Facebook, ein schnelles Food-Foto bei Instagram oder das Tutorialvideo bei Youtube: Das Internet, wie wir es kennen, lebt immer mehr davon, dass jeder sich beteiligen kann. Von ganz großen bis zu noch so kleinen Beiträgen, für mal mehr, mal weniger Menschen. Das könnte sich allerdings in nächster Zeit entscheidend ändern - Dank eines Verfahrens in den USA.

Dort soll nämlich eine Frage entschieden werden, die lange Zeit lieber schwammig gehalten wurde: Wer ist verantwortlich für die Inhalte, die wir alle jeden Tag in den sozialen Netzwerken hochladen und konsumieren? Natürlich geht es nicht um das unverfängliche Bild des Mittagessens. In der gerade dem US-Verfassungsgericht vorliegenden Klage wird Google vorgeworfen, zu wenig gegen Terror-Inhalte auf seiner Plattform unternommen und diese sogar noch bei der Verbreitung unterstützt zu haben. Die Entscheidung könnte allerdings Folgen für das gesamte Netz haben.

Supreme Court klärt: Wer trägt die Verantwortung im Netz?

Konkret geht es um einen Gesetzesausschnitt, der das soziale Netz erst möglich gemacht hat, nämlich um Abschnitt 230 des Communications Decency Act. Der legt seit 1996 vereinfacht gesagt fest, dass die Betreiber von Webseiten nicht für die dort von Nutzern geposteten Inhalte rechtlich belangt werden können, anders als es etwa bei Zeitungen und Fernsehsendern mit den dort erstellten Inhalten der Fall ist. Zwar müssen die Netzwerke illegale Inhalte entfernen, dafür belangt werden sie aber nicht. Genau dieser Abschnitt steht nun auf dem Prüfstand.

Und zwar durch gleich zwei gleichzeitige Verfahren. Beide haben denselben Kern: Angehörige von Terroropfern, einmal aus dem Anschlag auf das Bataclan in Paris 2015 und einmal aus einem Anschlag auf einen türkischen Nachtclub 2017, werfen Google und Twitter vor, zur Radikalisierung der Attentäter beigetragen zu haben. Über Youtube und Twitter sei Propaganda des Islamischen Staat nicht nur verbreitet, sondern teilweise sogar vom Algorhitmus empfohlen worden, so die Kläger. Nun sollen die beiden Firmen Schadensersatz leisten.

Google warnt vor der "Horror-Show"

Für das Internet, wie wir es kennen, könnte das weitreichende Folgen haben. Bislang funktionieren soziale Medien nach einem bestimmten Prinzip: Die Nutzer dürfen weitgehend ungehindert posten, erst im Nachhinein findet eine Moderation statt. Sollten die Webseiten-Betreiber allerdings zur Rechenschaft gezogen werden, könnte sich das radikal ändern. 

Dem Internet stehe "eine Horror-Show" bevor, warnte Lisa Blatt, eine Anwältin Googles, am Dienstag in ihrer Aussage vor dem Supreme Court. Das Unternehmen sei je nach Entscheidung des Gerichts entweder gezwungen, jegliche auch nur in Ansätzen als problematisch erscheinende Inhalte zu entfernen - oder im Gegenteil, die Moderation aufzugeben und auch die schlimmsten Inhalte durchzuwinken, argumentierte sie.

Kaum zu bewältigende Aufgabe

Wirklich jeden Inhalt zu moderieren, ist angesichts der immer weiter steigenden Mengen an Posts eine Sisyphosaufgabe. Alleine die Unmengen Videos zu sichten, wäre für menschliche Mitarbeiter zeitlich überhaupt nicht umzusetzen. Auch Versuche, die Moderation zu automatisieren, sind bislang weitgehend ins Leere gelaufen. Zwar lassen sich Schlagworte, bekannte Links und auch bereits als problematisch erkannte Fotos und Videos schon jetzt automatisch sperren, wie es etwa bei bekannten kinderpornografischen Materialien geschieht. Die künstliche Intelligenz ist aber längst nicht soweit, das wirklich für jeden Inhalt umsetzen zu können.

Für die Betreiber von Webseiten wäre das amerikanische Gesetz dann kaum noch einzuhalten. Bedenkt man, dass nahezu alle der weltweit wichtigsten Seiten in den USA ihren Sitz haben, fielen die Folgen entsprechend groß aus. Google werde dadurch zwar nicht zerstört, antwortete Blatt auf Nachfrage des Richters John Roberts. "Aber kleinere Webseiten schon."

Natürlich wäre das Internet mit dem Gesetz nicht völlig am Ende. Eine massive Veränderung wäre aber allemal zu erwarten. Seiten aus Europa oder Asien könnten in ihrer Rolle erheblich wachsen, auch ein Umzug der US-Seiten aus den USA heraus wäre denkbar. Seriös abschätzen lassen sich die Folgen aber nicht.

"Wir sind dafür nicht vorbereitet."

Der Streit um Abschnitt 230 ist nicht neu. Und anders als viele andere politische Fragen in den USA verläuft er nicht entlang von Parteilinien. Kritiker aus dem Lager der Republikaner sehen darin die Grundlage für eine vermeintliche Unterdrückung konservativer Stimmen durch die Techgiganten. Den Demokraten ist die Regelung hingegen ein Dorn im Auge, weil Google, Facebook und Co. nicht für die zahlreichen Falschinformationen auf den Plattformen zur Rechenschaft gezogen werden können. 

Nach zwei Tagen Verhandlung schimmert allerdings bereits durch, dass auch der Supreme Court nicht entscheiden will, wie es im Internet weitergehen soll. "Sie wissen, dass wir nicht gerade neun Experten für das Internet sind", erklärte Richterin Elena Kagan einem darüber lachenden Publikum. Die 62-Jährige bezog sich auch klar auf das hohe Durchschnittsalter der Richter. Zwar waren die ältesten Richter in den letzten Jahren verstorben, selbst die jüngste amtierende Richterin, die von Donald Trump einberufene Amy Coney Barrett, ist allerdings bereits 51 Jahre alt. 

Auch Richter Brett Kavanaugh sieht die Möglichkeit gigantischer Auswirkungen. Und befürwortet deshalb eine Gesetzesinitiative des Kongresses. Die falschen Grenzen zu setzen "würde die digitale Wirtschaft einstürzen lassen, mit allen erdenklichen Folgen für Arbeiter und Konsumenten, Rentenpläne und was nicht noch alles", erläutert er seine Skepsis. "Wir sind dafür nicht vorbereitet." 

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