Für Tesla läuft eine der wichtigsten Wochen des Jahres – der Endspurt bis zum neuen Jahr, in dem man zu Beginn mit möglichst starken Verkaufszahlen glänzen will. Der Autohersteller gibt Vollgas, was das betrifft: Großzügige Rabatte für Schnellentschlossene, Aufstockung der Lager durch Verkauf ehemaliger Testfahrzeuge und vorgezogene Liefertermine, teils um mehrere Monate. Alles für die Bilanz. Dem stern liegen Informationen einer solchen Auslieferung vor. Eigentlich sollte das Auto im zweiten Quartal 2023 ausgeliefert werden, doch es wurde spontan auf Ende Dezember 2022 vorgezogen – mit der Bitte, dass Fahrzeug möglichst umgehend vom Händler abzuholen. Die Frage dabei ist allerdings, wie man so schnell einen Termin für die Zulassung bekommen soll.
Elon Musk, bekannt für den enormen Druck, den er auf die Belegschaft der Firma ausübt, die er für den Augenblick im Fokus hat, brauchte dieses Jahr allerdings überraschend lange, bis er die Tesla-Mitarbeiter zu Höchstleistungen aufforderte. Erst gestern schickte er eine Nachricht an seine Untergebenen, um zu retten, was zu retten ist. Der späte Zeitpunkt wird kein Zufall sein, denn Musk hatte die vergangenen Wochen überdurchschnittlich viel Zeit mit Twitter verbracht, was seinen Ruf als Business-Genie selbst bei Fans gefährdete (hier erfahren Sie mehr).
Elon Musk macht Tesla Druck
Die Mail, welche "CNBC" in Gänze vorliegt, trägt den Betreff "Die finalen Tage" – gemeint sind die letzten Tage des Jahres, nicht die des Autoherstellers. Musk beginnt mit einer Danksagung: "Nur eine kurze Anmerkung, um Ihnen für Ihre harte Arbeit zu danken und Ihnen zu Ihrer hervorragenden Arbeit im Jahr 2022 zu gratulieren!" Musk dankt nicht zu unrecht, denn die Geschäftsergebnisse seines Unternehmens können sich durchaus sehen lassen. In jedem Quartal lag Tesla deutlich über dem Vorjahr, konnte mehr Autos ausliefern als zuvor und erzielte insgesamt ordentliche Gewinne.
Und dennoch: Lag der Aktienkurs des Unternehmens im Januar noch bei rund 350 US-Dollar, kostet ein Tesla-Anteilsschein heute rund 120 US-Dollar. Seit September befindet sich der Unternehmenswert von Tesla in einer bemerkenswerten Abwärtsspirale, die man vom einstigen Wunderkind der Börse so nicht kannte. Die Ursachen dafür sind vielfältig.
Besonders schwer wiegt wohl Elon Musks Verhalten seit seiner Twitter-Übernahme und der wenigen Zeit, die der Multi-Unternehmer dem Autohersteller dadurch nur noch widmet. Außerdem verkaufte Musk zur Finanzierung von Twitter zahllose Aktien, was sich selbstverständlich ebenfalls auf den Kurs auswirkte. Doch auch unabhängig von den Irrungen und Wirrungen des Tech-Milliardärs steckt Tesla in einem schwierigen Umfeld.
Das Wunderkind unter der Lupe
Der technische Vorteil des Unternehmens gegenüber der Konkurrenz schrumpft zusehends, weltweit sinken aus wirtschaftlichen Gründen die Verkaufszahlen von Neuwagen. Und China, Teslas wichtigster Markt, macht vielseitige Probleme, etwa durch die Auswirkungen der Corona-Lockerungen auf die Bevölkerung. Außerdem steht das chinesische Neujahrsfest bevor, bei dem die Bänder in Teslas Werk in Shanghai für fast zwei Wochen stillstehen werden.
In den USA laufen parallel Untersuchungen, die sich die Zuverlässigkeit von Teslas Fahrassistenzsystemen zur Brust nehmen und ein Gericht in Kalifornien untersagte Tesla kurz vor Weihnachten, den Begriff "Full Self-Driving" (FSD, 'vollständig selbstfahrend') zu verwenden, da die Fahrzeuge eben genau das nicht können.
Für Musk geht es aber zunächst offenbar um die nackten Zahlen. In seiner Mail schreibt er weiter: "Da viele Fahrzeuge erst in letzter Minute eintreffen, müssen wir alles daran setzen, unsere Fahrzeuge vor dem 31. Dezember um Mitternacht an die Kunden auszuliefern, die sie bestellt haben. Außerdem ist jedes zusätzliche Auto, das wir produzieren und rechtzeitig ausliefern können, wichtig."

Mantraartig wiederholt er einen Satz, den altgediente Mitarbeiter des Unternehmens schon im Schlaf aufsagen können: "Bitte geben Sie in den nächsten Tagen alles und helfen Sie, wenn möglich, bei der Auslieferung. Es wird einen echten Unterschied machen!" Alles geben – das sollte die Belegschaft in den letzten Jahren immer zum Ende eines Quartals.
Tiefer Fall, mühsamer Aufstieg
Für die, die sich echte Sorgen um ihr Unternehmen machen, hat Musk am Schluss seiner Mail noch einen Rat: "Lassen Sie sich von der Verrücktheit der Börse nicht zu sehr beunruhigen. Wenn wir weiterhin eine hervorragende Leistung zeigen, wird der Markt dies anerkennen. Langfristig glaube ich fest daran, dass Tesla das wertvollste Unternehmen der Welt sein wird!"
Aktuell liegt der Börsenwert von Tesla bei 355 Milliarden US-Dollar – und damit noch immer weit über allen anderen Autoherstellern. Platz Zwei belegt Toyota mit 185 Milliarden US-Dollar, die wichtigsten deutschen Hersteller Porsche, Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW kommen zusammen auf etwa 289 Milliarden US-Dollar Börsenwert.
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Gemessen an den Stückzahlen ist Tesla also noch immer sehr hoch bewertet, zumal dem Unternehmen derzeit ein Produkt fehlt, das die hohen Erwartungen, die in diesem Kurs stecken, irgendwie befriedigen könnte. Der Cybertruck wird es nicht sein, ein serienreifer Roadster liegt ebenfalls noch in weiter Ferne.
Die hohe Bewertung halten zu können, dürfte für sich genommen bereits eine Herausforderung werden – das wertvollste Unternehmen zu werden, erscheint derzeit unrealistisch. Tesla müsste den aktuellen Kurs erst einmal vervielfachen, um wieder auf das bisherige Allzeithoch zu klettern. Zu besten Zeiten hatte das Unternehmen eine Bewertung von 1,2 Billionen US-Dollar vorzuweisen. Apple war zur gleichen Zeit über drei Billionen US-Dollar wert – und liegt auch heute, nach der "Verrücktheit der Börse" noch bei über zwei Billionen.