Zugegeben, dieses Video ist Stoff für dystopische Alpträume. Personen in Schutzanzügen laufen durch ein steriles Super-Labor, in kleinen Glaskästen stecken Babys, die an Schläuche und Elektroden angeschlossen sind. Unter dem Glaskasten ein Bildschirm, der Informationen über den aktuellen Zustand des Kindes anzeigt. In der Mitte des Raumes stehen zwei riesige Silos, die Nährstoffe und Sauerstoff enthalten und Abfallstoffe der Labor-Kinder absaugen und verwerten.
Ein Baby auf Bestellung
Es schaltet sich eine Roboter-Stimme dazu: "Wir präsentieren: "Ectolife". Die weltweit erste Fabrikanlage mit künstlichen Gebärmüttern, vollständig mit erneuerbaren Energien betrieben."
Was folgt, sind acht weitere Minuten zunehmend düstere Zukunftsfantasien, wie man sie sonst nur aus Kinofilmen kennt. Als Basis dienen echte Probleme, mit denen viele Paare mit Kinderwunsch kämpfen. "Ectolife" erlaube es unfruchtbaren Paaren, trotzdem ein biologisch eigenes Kind zu zeugen – und eigne sich daher perfekt für Frauen, die keine eigenen Kinder bekommen können. Auch Frühgeburten und Kaiserschnitte seien nicht mehr nötig, wenn man sich auf "Ectolife" verlasse.
Jede Babyfabrik, heißt es weiter, könne 400 Embryo-Kapseln bewirtschaften, die sich vom Aufbau nicht von einer echten Gebärmutter unterscheiden sollen. Ein einziger Standort, heißt es mit maximal dramatischer Musikuntermalung, könne so jedes Jahr 30.000 Kinder hervorbringen.
"Ectolife", heißt es weiter, könne verhindern, dass die heranwachsenden Menschen mit Keimen in Verbindung kommen – alles sei absolut steril. Außerdem ließe sich die Gesundheit eines Kindes dank zahlreicher Sensoren im Sekundentakt überwachen, auch "genetische Abweichungen" seien so leichter zu erkennen. Auf Wunsch, so das Video weiter, könne man per App verfolgen, wie der Nachwuchs sich in seiner Kapsel macht.
An die Nähe zur werdenden Mutter hat man natürlich auch gedacht: Per App sollen sich bei "Ectolife" nicht nur Wiedergabelisten mit Musik in die künstliche Gebärmutter abspielen lassen, sondern man kann dem Kind auch über das Smartphone selbst ein Ständchen singen. Auf Tritte des Kindes im Bauch muss man auch nicht verzichten, dafür werde eine Weste mit entsprechenden Vibrationsmotoren bereitgestellt, die das simulieren – wenn es gerade passt.
Danach wird es noch eine Ecke wilder: Das sogenannte "Elite"-Paket von "Ectolife" soll es erlauben, den Embryo in 300 verschiedenen Eigenschaften nach Wunsch zu manipulieren – damit am Ende das perfekte Kind aus der Kapsel schlüpft.
"Ich muss gleich kotzen"
Das Video kann schockieren, stimmt. Wenn das Gezeigte denn echt wäre. Leider beweist es wieder, dass man ein derartiges Konzept nicht einfach ohne Kontext – oder Warnung – ins Internet kippen sollte. In einschlägigen Telegram-Gruppen macht das Video seit Tagen die Runde, wird weitergeleitet, was das Zeug hält. Die Reaktionen reichen von kurzen Kommentaren, von "Ich muss gleich kotzen" bis zu ausschweifenden Tiraden.
So heißt es zum Beispiel in einem Kanal mit knapp 35.000 Abonnenten: "Anstatt also herauszufinden, warum die Fruchtbarkeit sinkt und diese Faktoren zu beheben, ist die Lösung, aus den kaputten biologischen Fähigkeiten der Menschen Kapital zu schlagen und sie ihnen wieder zu verkaufen. [...] Wir alle können aber mit bisherigen Erfahrungen der globalen Agenda, 2 Schritte voraus denken worum es wirklich geht nämlich um totale staatliche Geburtenkontrolle. Was werden das für Wesen sein, entkoppelt vom mütterlichen Leib, wie viel Technologie steckt in ihnen und wie viel Mensch. [...]"
Nur ein Konzept
Hinter dem Video versteckt sich keine echte Firma, "Ectolife" gibt es nicht. Das Video, die Idee und das Konzept stammen aus der Feder von Hashem Al-Ghaili, einem Produzenten und Filmemacher mit einem Hintergrund in Molekularbiologie. Er schreibt auf seiner Seite selbst, dass er sich damit befasse, "sich die Zukunft vorzustellen". An keiner Stelle ist die Rede davon, dass eine solche Fabrik tatsächlich irgendwie gebaut wird.
Kein Miniatur-Baby: So sehen Embryos in den ersten Wochen der Schwangerschaft wirklich aus

Al-Ghaili gibt an, seinen wissenschaftlichen und technischen Hintergrund zu nutzen, um brandneue Konzepte zu entwickeln. Der Molekularbiologe stützt sich dabei auf diverse Forschungen, die nach seiner Ansicht in dieser Form zusammenfinden könnten – aber noch weit davon entfernt sind. Mit einem Blick auf seine anderen Videos wird das schnell klarer. Dort zeigt er beispielsweise ein Nuklear-Flugzeug, das als Hotel dienen soll oder eine weltumspannende Raumstation.
Der stern bat Hashem Al-Ghaili um ein Statement, wie ernst es ihm mit "Ectolife" ist und welche Absicht er hinter der Veröffentlichung des aufwändigen Videos verfolgt. Eine Rückmeldung erfolgte bisher nicht.
"Sag niemals nie"
Natürlich basieren die einzelnen Komponenten im "Ectolife"-Video auf wissenschaftlicher Theorie und Praxis. Bestimmte Teilbereiche der dort gezeigten künstlichen Befruchtung existieren und werden zum Teil in der Medizin angewandt. Aber ein solches Gesamtkonzept, ist aktuell fernab der Realität.
Die britische "Huffington Post" sprach mit Professor Joyce Harper vom Institut für Frauengesundheit des University College London. Sie sagte: "Ich habe keinen Zweifel daran, dass die meisten Menschen irgendwann durch In-Vitro-Fertilisation (IVF) gezeugt werden. Und dass "Ectolife" eine Möglichkeit wäre. In der Wissenschaft sollte man meiner Meinung nach nie nie sagen. Ich bin ziemlich alt und erinnere mich daran, wie ich Star Trek gesehen habe, wo sie Videoanrufe machten, und ich hätte nie gedacht, dass ich einmal meine Kinder per FaceTime anrufen würde."
Der technischen Umsetzung stehen große ethische Hürden im Weg. Forschung an Embryonen ist derzeit nur bis zum 14. Tag erlaubt – danach darf die Arbeit nicht fortgesetzt werden. Für ein Projekt wie "Ectolife" müsste man diese Regel lockern – und das dürfte – wenn es eines Tages passiert – noch Jahre dauern.