Ungeübte Zuschauer bekommen allein vom Anblick Kopfschmerzen, doch die vielen Männer und wenigen Frauen hier oben im 21. Stock des JW-Marriott-Hotels in San Francisco lassen sich nicht irritieren: Sie sind so "connected", wie das nur möglich ist: Vorne stehen die Vortragenden an ihren Laptops, zeigen per Beamer Präsentationen, und das Publikum hackt in Notebooks, checkt den konstanten Mailfluss auf dem Blackberry oder surft mit dem iPhone auf YouTube herum.
Das Internet wird mobil, das Web wird auf dem Handy immer besser und nutzerfreundlicher erreichbar - und die Vertreter von Netzbetreibern, Startups, Handy-Herstellern und vielen anderen Unternehmen diskutierten nun zwei Tage lang, welche Entwicklungen das mit sich bringen wird. Sollten die Menschen in den beiden Konferenzräumen Vorreiter für die Entwicklung sein, dann steht fest: Es wird keine web-freie Zonen mehr geben. Weh' dem, der sich vor Elektrosmog fürchtet.
Web-Handy soll Internet ersetzen
Das Internet wird mobil: Eigentlich ist das eine Behauptung, die schon Ende des vergangenen Jahrhunderts immer wieder von unternehmungslustigen Netzbetreibern aufgestellt wurde. Doch glaubt man den Sprechern der hochkarätig besetzten Konferenz "Mobile Web USA", in Kalifornien ausgerichtet vom britischen Branchen-Think-Tank "Informa Telecoms and Media", dann beginnt gerade jetzt die heiße Phase der Web-Mobilisierung. "Es werden innerhalb von zehn Jahren mehr Menschen das mobile Web als das Internet benutzen", sagt etwa Isaac Babbs vom Wettspiele-Startup Tapatap. Auch wenn nicht selten darüber diskutiert wurde, was "das mobile Web" eigentlich ist. Eine zufriedenstellende Antwort für alle war nicht zu finden.
Facebook, das mega-erfolgreiche Social Network, kann jedenfalls als prominentes Beispiel dafür gelten, dass Handy und WWW zusammenkommen: Sechs Millionen aktive Nutzer greifen von ihren Telefonen auf den Dienst zu, eine halbe Million von Blackberrys aus. "Für uns war es recht einfach, so viele Leute zu mobilisieren", sagt Jed Stremel, der bei Facebook das Mobile-Geschäftsmodell leitet. "Es ist das selbe Web, aber die Art, mit dem User zu sprechen, ist eine andere", sagt Stremel.
Das iPhone als Wendepunkt
Die verbesserte technologische Kapazität der Netze - insbesondere mit der UMTS-Übertragungstechnik - und die Fähigkeit neuer Telefone, sich auch in Drahtlos-Netzwerken einzuklinken, treiben die Integration der Handgeräte als neuen Teilnehmer am Internet voran. Die optimistische Haltung in der Branche wird befeuert von einer Art iPhone-Kult, der sich insbesondere rund um die Golden Gate Bridge ausgebreitet hat. Das schicke Telefon ist aber nicht nur ein Design-Schlager und wird auch nicht nur wegen seines sehr nutzerfreundlichen Internet-Browsers hochgeschätzt. Etwas anderes macht es zum Vorreiter: Es ist ein Smart Phone, bei dem nicht der Netzbetreiber bestimmt, welche Programme ein Anwender nutzen und auswählen kann - das System ist im Prinzip weitaus offener und erweiterbarer als die ausgelieferten Varianten. Vor allem, wenn es gehackt ist. "2007 war der Wendepunkt, denn jetzt gibt es offene Betriebssysteme und leistungsstärkere CPUs in den Telefonen", glaubt Tim Chang, Partner beim Kapitalbeschaffer "Norwest Ventures".
"Alles bewegt sich in Richtung offener Geschäftsmodelle", glaubt auch Jed Stremel, dessen Unternehmen Facebook ja auch im "klassischen" Internet darauf ausgerichtet ist, andere Anbieter von Programmen in das eigene Netzwerk einzubinden. Allerdings bleibt die Rolle der Mobilfunkbetreiber ein Problem, denn vielfach verhindern diese jene Offenheit, die sich die Entwickler von Handy-Web-Angeboten wünschen würden. Aber Stremel sagt auch: "Wir müssen uns alternative Wege suchen. Wir sollten nicht auf die Netzbetreiber warten."
Nokia wird zum Internetanbieter
Immer wichtiger wird nach Meinung der Branche die Rolle der Handy-Hersteller sein. Denn die Fragmentierung der Telekommunikationsmärkte durch eine unübersichtliche Anzahl von technischen Innovationen und Standards bereitet den Entwicklern gewaltige Sorgen, insbesondere, wenn Fabrikanten sich von offenen Technologien abkapseln. Für jeden Anbieter von Handy-zentrierten Diensten stellt es eine riesige Herausforderung dar, dass das Telefon nicht zusammenbricht, wenn die Web-Anwendung läuft. Jed Stremel von Facebook glaubt, dass "es interessant sein wird, mit Nokia zusammenzuarbeiten". Und wenn man sich anhört, was Nokia - in Deutschland zurzeit nicht unbedingt als Heilsbringer im Gespräch - für die Entwicklung des mobilen Internets tut, dann nicken die meisten Zuhörer.
Norman Liang vom finnischen Handy-Hersteller, der sich selbst den "Web 2.0-Guy" des Unternehmens nennt, erklärt: "Nokia hat sich entschlossen, ein Internet-Unternehmen zu werden." Und zwar auf dem Handy. Durch neue Entwicklungen auf seinen Telefonen, die Endverbrauchern das Nutzen des mobilen Web erleichtern. Denn so sehr hat sich die Nachfrage noch nicht ausgebaut, wie mancher hier suggeriert. Liang und viele andere Delegierte auf dem Kongress in San Francisco scheinen allerdings davon überzeugt zu sein, dass sich die Nachfrage stimulieren lässt - wenn nur die Technik stimmig ist. "Die Industrie muss so offen sein, dass Konsumenten an alle Dienste herankommen und sie nutzen können", sagt Liang. Allerdings gibt es heute selbst bei den klassischen Web-Anwendungen noch gehörigen Nachholbedarf: 12 Sekunden dauert es im Schnitt, bis auf einem modernen Telefon eine Internetseite im Browser aufgebaut ist - auch im iPhone. Und jene Widgets, jene kleinen Fenster zu individualisierten Internetangeboten, die Nokia auch vertreibt, sind heute nur auf einem Bruchteil aller Telefone erreichbar.
Was der Kunde eigentlich will
Doch die treibende Kraft, die den Optimismus in San Francisco begründet, liegt im Web 2.0 - dessen Idee der kompletten Vernetzung gerade auf dem Handy vollends ausgespielt werden könnte. "Das Telefon kann sich heute nicht nur ins Netz einwählen, sondern darüber schon sehr mächtige Anwendungen ausführen", sagt Ben Keighran, Gründer von Bluepulse. Das Unternehmen hat eine Webanwendung entwickelt, mit der Handy-Nutzer kostenlos kommunizieren können. Und genau das, so sehen es viele der Experten, sei das Gebot erfolgreicher Web-Angebote für das mobile Internet: Kommunikationsdienste, die sich um das tatsächliche Verhalten und Sozialleben des Anwenders aufbauen. Der nächste Schritt, sagt Tim Chang vom Investor Norwest Ventures, sei das Web 3.0, bei dem dank Handy-Kamera und Sound-Übertragungen eine Art "Life-Casting" möglich sein wird. Das ist die schöne neue Welt. Allerdings stimmt eine Sache nachdenklich. Ein britisches Unternehmen wollte jüngst wissen, welche Handy-Funktionen seinen Kunden am liebsten sind. Was kam heraus? SMS, Telefonate - und der eingebaute Wecker.