Liebe Frau Peirano,
ich (45) bin seit vier Jahren mit meinem Freund (48) zusammen. Wir haben uns im Sportstudio kennengelernt und es war Liebe auf den ersten Blick. Er hat sich für mich von seiner Familie getrennt und wir wohnen seit drei Jahren zusammen.
Trotzdem bin ich oft unglücklich: Er hat sich bis heute nicht scheiden lassen. Die Feiertage wie Ostern oder Heiligabend verbringt er mit seiner Ex-Frau und den Kindern, den Kindern zuliebe, wie er sagt. Seine Kinder sind 7 und 9. Die Kinder sind ab und zu bei uns und wir verstehen uns auch gut, aber meistens geht er dorthin. Er isst dort auch ein- bis zweimal die Woche zu Abendbrot, bringt die Kinder ins Bett oder holt sie von der Schule ab. Er sagt immer, dass sie dort zu Hause sind und er sie nicht zerreißen will.
Die Freunde aus dem gemeinsamen Freundeskreis und seine Eltern habe ich auch noch nicht richtig kennengelernt, angeblich aus Rücksicht auf seine Ex-Frau. Sie war sehr eng mit seinen Eltern und leidet sehr unter der Trennung. Da wollen seine Eltern "alles langsam angehen lassen."
Ist das normal, dass er sich so viel Zeit lässt? Und haben wir die Chance auf eine richtige Partnerschaft ohne diese Altlasten, also auch zu heiraten und gemeinsame Feste?
Das belastet mich schon sehr!
Viele Grüße
Svenja A.
Liebe Svenja A.,
ich kann mir vorstellen, dass die Situation für Sie nicht befriedigend ist. Als Sie Ihren Partner kennen gelernt haben, hat es bis zu einem bestimmten Punkt für Sie gut "geklappt", das heißt er hat seine Frau verlassen und ist mit Ihnen zusammen gezogen. Aber nun sind vier Jahren vergangen und trotzdem hält er noch an seiner alten Familie fest und geht dort ein und aus, auch an Feiertagen. Und für Sie sind viele Türen zu einem gemeinsamen Leben versperrt und er macht auch keine Anstalten, diese für Sie zu öffnen.
Zum Beispiel lässt er sich nicht scheiden und ermöglicht es somit Ihnen beiden nicht, irgendwann zu heiraten. Die Tür zu seiner Ursprungsfamilie ist versperrt, weil seine Ex-Frau den Platz dort noch besetzt hält, und Sie haben auch keinen Zugang zu dem Familienleben mit seiner Ex-Frau und den Kindern und sitzen dann Weihnachten oder Ostern ohne Ihren Partner da.

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.
Nun muss man die Dinge ja immer von allen Seiten betrachten, damit das Bild vollständig wird, und ab und zu auch die Perspektive wechseln.
Und dabei sollte man auch sehen, dass Sie sich einen verheirateten Mann mit zwei kleinen Kindern (damals 3 und 5) gesucht haben und eine Beziehung mit ihm begonnen haben. Das hat dann dazu geführt, dass er sich von seiner Frau getrennt hat. Was haben Sie davon mitbekommen, wie seine Frau das aufgenommen hat? War sie damit einverstanden, weil es sowieso schon gekriselt hat, oder befand sie sich damals in einer schlimmen Krise?
Ich habe selbst einige Mütter mit kleinen Kindern in Therapie gehabt, deren Partner sie wegen einer anderen Frau verlassen hat und kann mir in etwa vorstellen, wie hart das für seine Frau gewesen sein muss. Ehrlich gesagt ist es oft eine Mischung zwischen starker Überforderung, heftigen Existenzängsten, seelischen Verletzungen und Traumata.
Gab es damals eine Aussprache oder ein Kennenlernen zwischen Ihnen beiden oder sind Sie in den Augen der Ex-Frau bis heute ein rotes Tuch? Und wenn Sie sich mal in ihre Position versetzen: Können Sie verstehen, warum Sie mit Ihnen nichts zu tun haben will und verletzt ist?
Versetzen wir uns mal in die Rolle Ihres Partners. Er hat sich verliebt und deswegen von seiner Frau getrennt. Er scheint aber Schuldgefühle und ein sehr schlechtes Gewissen ihr gegenüber zu haben. Können Sie das verstehen? Von den Kindern hat er sich natürlich nicht getrennt, und es ist ihm offensichtlich sehr wichtig, dass es den Kindern gut geht und die "alte" Familie nicht zerbricht. Deshalb feiert er Weihnachten und Ostern in der alten Konstellation, auch wenn er weiß, dass er Sie damit verletzt und ausschließt. Ihm geht es wahrscheinlich auch nicht gut damit.
Wir Therapeut:innen sollen ja eigentlich neutral sein, aber wir sind trotzdem meistens auf der Seite der Kinder, weil die sich nicht frei aussuchen können, was sie wollen, sondern auch ein Stück weit Opfer der Umstände sind.
Und ich muss ehrlich zugeben, dass die kleinen Kinder Ihres Partners mir in dieser Geschichte am meisten am Herz liegen. Ihre Familie ist zerbrochen, der Vater lebt mit einer anderen Frau zusammen, die Mutter ist unglücklich und verletzt, und es gibt viele Konflikte im Umfeld, die die Kinder wahrscheinlich auch erspüren.
Ich kann mir vorstellen, dass es für die Kinder wirklich wichtig ist, dass ihre Eltern ein gutes Verhältnis miteinander haben, der Vater die Mutter nicht weiter verletzt und die alte Welt auch noch etwas aufrecht erhalten wird.
Aber natürlich kann ich auch Ihre Seite sehen und verstehen, dass Sie sich wünschen, dass nach vier Jahren Beziehung mehr Türen für Sie geöffnet werden und Sie nicht ständig ausgeschlossen werden.
Ich denke, dass es dazu nötig ist, dass eine Versöhnung und Annäherung zwischen Ihnen und seiner Ex-Frau stattfindet. Ich möchte Ihr Verhalten nicht bewerten, aber ich glaube, es hilft, folgendes zu verstehen: Einer Frau (und Mutter) den Mann auszuspannen, ist äußerst respektlos! Danach kann man nicht einfach weiter machen, als wäre nichts gewesen, sondern es müssten Gespräche erfolgen und der Respekt muss wieder hergestellt werden. Und das ist eine schwierige Aufgabe!
Haben Sie mal versucht, mit ihr zu sprechen? Hat Ihr Partner versucht, zu vermitteln und eine Annäherung zu bewirken? Wäre die Ex-Frau Ihres Mannes bereit dafür, eine Entschuldigung anzunehmen? Und fänden Sie selbst eine Entschuldigung angemessen?
Es wäre sinnvoll, erst einmal mit Ihrem Partner darüber zu sprechen, denn er hat tiefe Einblicke in die Gefühle seiner Ex-Frau und ihr Leid. Ein respektvoller Brief von Ihnen, der möglichst vorher von Ihrem Partner und den einfühlsamsten Freundinnen, die Sie haben oder einer Paartherapeutin gelesen werden sollte, könnte auch ein erster Schritt sein, um auf sie zuzugehen. Danach könnten Sie es mit ersten Gesprächen versuchen oder sogar zu dritt (mit Ihrem Ex-Partner) zu einer Familientherapie gehen.
Der Schlüssel ist Respekt und Verständnis, und das müsste sehr aufrichtig gemeint sein von Ihnen. Können Sie das in sich entdecken oder sehen Sie seine Ex-Frau als Gegnerin? Im letzteren Fall wäre es bestimmt hilfreich, mal alleine zu einem Coaching oder einer familientherapeutischen Klärung zu gehen, um aufzudecken, warum das so ist.
Patchwork ist immer mit viel Kommunikation, Fingerspitzengefühl, Respekt und Wertschätzung verbunden, damit es gelingen kann. Es ist nie leicht!
Die Alternative wäre es, noch viele Jahre sich zu fühlen wie das fünfte Rad am Wagen und mit Ihrem Partner um jede Minute, jedes Osterfest und jeden Besuch bei der Verwandtschaft zu ringen. Das Tauziehen wird die Situation aber noch weiter verschlechtern, weil Ihr Partner sich gegenüber seiner Ex-Frau schuldig fühlt und mit seinem jetzigen Verhalten eine Art Kompromiss für sich geschlossen hat. Wenn Sie ihn aus der Balance bringen (wollen), wird es zwischen Ihnen beiden zu Konflikten führen und wahrscheinlich wird das die Beziehung über kurz oder lang gefährden.
Ich hoffe, es gelingt Ihnen allen, sich einander anzunähern. Dann kann es vielleicht irgendwann ein Weihnachten geben, das Sie alle zusammen feiern und bei dem keiner ausgeschlossen wird.
Herzliche Grüße
Julia Peirano