J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Ich habe in Deutschland nur Probleme mit Jobs und Beziehung – soll ich einfach ins Ausland gehen?

Wenn es nicht läuft, wächst der Wunsch auf einen Neuanfang (Symbolbild)
Wenn es nicht läuft, wächst der Wunsch auf einen Neuanfang (Symbolbild)
© martin-dm / Getty Images
Ob beim Job, der Beziehung oder in ihrer Wohnsituation: Für Melina läuft es aktuell alles andere als rund. Nun hat sie das Fernweh gepackt. Aber ist Auswandern wirklich eine Lösung oder doch nur ein Hirngespinst?

Liebe Frau Peirano,

ich (26, weiblich) lebe noch bei meinen Eltern. Nach dem Studium habe ich nie eine feste Anstellung gefunden, sondern immer nur schlecht bezahlte und befristete Jobs. Viele auch mit vielen unbezahlten Überstunden wie jetzt gerade. Dann gab es einen Teufelskreis: kein Geld, keine Sicherheit, keine Wohnung. Zwischendurch war ich depressiv und die Pandemie hat auch ihren Teil dazu beigetragen, dass ich mich nicht verändert habe.

Bei meinen Eltern habe ich zwar meine Ruhe, aber das Verhältnis zu ihnen ist sehr angespannt. Mein Vater ist sehr dominant und möchte am liebsten nur seine Ruhe haben. Er gibt mir deutlich zu verstehen, dass ich ihn störe. Meine Mutter hat einen Putzfimmel und ist sehr schnell genervt, wenn etwas herumliegt. Und meine Eltern streiten sich ständig oder schweigen sich an. Ich gehe sozusagen nur auf Zehenspitzen durch Haus und versuche, so wenig wie möglich Dreck und Arbeit zu machen. Freunde lade ich so gut wie nie nach Hause ein. Es fühlt sich auch so an, als wenn ich eigentlich kein richtiges Zuhause habe, weil ich mich in meinem Zimmer verkrieche und Home-Office mache.

Bei meiner Firma stehen jetzt Umstrukturierungen an (das heißt: Entlassungen). Ich kann mir gut vorstellen, dass es dann auch mich trifft.

Und mein drittes Problem ist, dass ich mich seit vier Jahren in einer sehr toxischen Beziehung mit einer Frau befinde. Wir streiten uns viel, haben uns kaum noch etwas zu sagen, kommen aber auch irgendwie nicht voneinander los.

Manchmal habe ich einfach nur Lust, abzuhauen, und in letzter Zeit hat sich dieser Wunsch sehr verstärkt. Ich wollte immer schon einmal für längere Zeit reisen, am liebsten weit weg (Australien/Neuseeland), und dort mal herausfinden, was ich eigentlich will. Jetzt habe ich von meiner Großmutter Geld geerbt und könnte mir Work and Travel leisten, zumindest den Flug und eine Notfallreserve. 

morgenstern

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Meine Freundin und meine Eltern werfen mir vor, dass ich nur weglaufe vor meinen Problemen. Ich bin mir nicht sicher. Es könnte auch eine Chance sein, oder? Und ich traue mich nicht so recht, den ersten Schritt zu machen.

Was raten Sie mir?

Viele Grüße

Malina T.

Liebe Malina T.,

es hört sich so an, als wenn Sie im Moment in einer richtigen Sackgasse sind. Gleich mehrere der Säulen, auf denen sich ein zufriedenes Leben aufbaut, sind bei Ihnen wacklig: Der Beruf ist schlecht bezahlt und zudem unsicher, außerdem werden Sie zum Teil ausgebeutet durch unbezahlte Überstanden und das Machtgefälle. Das wirkt sich in der Regel sehr negativ auf das Selbstwertgefühl aus und erzeugt Gedanken wie: Mich braucht keiner. Ich bin überflüssig. Ich darf nur weiter hier arbeiten, wenn ich mich ausnutzen lasse.

Zu Hause, bei Ihren Eltern, hört es sich ähnlich an. Auch hier werden Sie nicht geschätzt und fühlen sich nicht willkommen, sondern Ihnen wird vermittelt, dass Sie stören. Grundsätzlich ist es in unserer Gesellschaft auch schwierig, wenn erwachsene "Kinder" mit ihren Eltern unter einem Dach wohnen, und in Ihrem Fall scheint das wirklich eine überstrapazierte Notlösung zu sein. Auch das wirkt sich natürlich sehr ungünstig auf die Stimmung und auf das Selbstwertgefühl aus. 

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Und die dritte Säule, Ihre Beziehung zu Ihrer Freundin, ist ebenfalls nichts, was Ihnen ein Gefühl der Geborgenheit, Sicherheit und des Angenommen-Werdens bietet. Der viele Streit und die Perspektivlosigkeit rauben Ihnen Energie.

Da stellt sich schon die Frage, wie Sie aus dieser Sackgasse wieder herauskommen und Weichen stellen können, um endlich loszufahren in ein erfüllenderes Leben.

Ehrlich gesagt, finde ich Ihre Idee, alle drei problematischen Bereiche auf einen Schlag hinter sich zu lassen, großartig! Ich kann mir vorstellen, dass es aufgrund der vielen Lasten schwierig wäre, hier in Deutschland nur einen Bereich zu verändern. Es wäre aus meiner Sicht schwer, eine neue Partnerin zu finden, wenn Sie bei Ihren Eltern wohnen und beruflich so unerfüllt sind. Ein neuer Job könnte mit Glück etwas bringen (mehr Geld, mehr Stabilität, mehr Perspektive, mehr Lebensfreude), aber die Frage ist, woher ein solcher Job plötzlich kommen soll.

Deshalb wird es nach den anstrengenden Jahren bestimmt gut tun, Abstand zu gewinnen von Ihrem Leben und Ihren Problemen in Deutschland. Sie können sich auf einem neuen Kontinent selbst auszuprobieren und neu finden, Sie können neue Menschen mit einem unterschiedlichen Horizont kennenlernen und anstehende Probleme autonom meistern. Ich freue mich für Sie, dass Sie mit der Erbschaft jetzt auch die Möglichkeit bekommen haben, das Vorhaben auch wirklich in  die Tat umzusetzen!

Die größte Herausforderung ist es, wie Sie genug Selbstvertrauen entwickeln, um dieses große Vorhaben umzusetzen! Hier kann ich Ihnen einige Tipps geben.

Das Wichtigste ist, dass Sie Visualisieren üben. Visualisieren ist die aktive und intensive Vorstellung von Zukunftsszenarien mit möglichst vielen Sinnen. Wenn ich mir meinen Urlaub in Italien vorstelle, kann ich mir ein Bild vor Augen rufen, wie ich durch enge italienische Gassen laufe, den Geruch vom Meer und italienischem Essen rieche, Sätze in italienischer Sprache in mein Ohr dringen. Je häufiger, detaillierter und länger ich mir etwas vorstelle, desto realer wird es.

Visualisierung wird immer eingesetzt, BEVOR etwas entsteht. Sehen Sie sich mal ein Objekt in Ihrer Nähe an, z.B. einen handgeknüpften Teppich. Viele Jahre bevor der Teppich in Ihrem Wohnzimmer gelandet ist, hat sich irgendjemand überlegt, dass er oder sie mal Teppiche knüpfen könnte, hat sich daraufhin Webstühle angesehen und einen gekauft, hat Wolle besorgt und jede Farbe einzeln ausgewählt, hat das Muster entworfen und vorgezeichnet, dann Weben gelernt. Und hat sich dann Gedanken gemacht, wie man fertige Teppiche verkauft. So geraten Dinge ins Rollen.

Überlegen Sie sich doch mal möglichst konkret, wo Sie gerne hinfahren möchten. Was möchten Sie gerne sehen und erleben, welche Landschaft mögen Sie besonders gerne, was für eine Art Fortbewegungsmittel haben Sie sich vorgestellt (Fahrrad, Wohnmobil, per Anhalter….). Wenn z.B. Australien Sie am meisten interessiert, erkundigen Sie sich nach Einreisebestimmungen, Visumvergabe, Kosten. Besuchen Sie doch mal einige Foren, in denen Erfahrungsberichte ausgetauscht werden. Sie könnten sich auch Filme/Reiseführer/Bildbände über die Städte und Gegenden in Australien ansehen und entscheiden, wo Sie anfangen wollen mit Ihrer Reise.

Sprechen Sie Ihr Vorhaben möglichst oft laut aus und wählen Sie einen Zeitpunkt. "Ich werde im Mai nach Sydney fahren und mindestens ein Jahr in Australien arbeiten und reisen, zum Beispiel in der Gastronomie oder als Erntehelferin in der Gegend von xy" klingt doch schon ganz anders als "vielleicht will ich mal ein Jahr ins Ausland". Wenn Sie mit der Zielformulierung einverstanden sind, können Sie dann auch handeln, z.B. ein Visum beantragen, das Flugticket buchen und eine erste Wohnung am Startort finden.

Wenn Sie allerdings mehr Orientierung brauchen, wäre ein Zwischenschritt nötig: Schreiben Sie mal alle Menschen auf, die Sie zum Thema Australien (oder Neuseeland) fragen könnten. Wer kennt sich dort aus oder wer kennt jemanden, der sich dort auskennt? Vereinbaren Sie Treffen, lassen Sie sich Fotos zeigen und die Erfahrungen schildern.

Beginnen Sie dann wieder mit der Formulierung und kommen Sie ins Handeln. Ein Flugticket schafft Realitäten, eine gebuchte Wohnung in z.B. Sydney auch.

Schreiben Sie sich hilfreiche Sätze und Gedanken auf und schauen Sie immer wieder auf die Liste. Zum Beispiel: "Ich bin ja nicht alleine in Australien. Ich werde andere Leute kennenlernen, die Work and Travel machen". Oder: "Erst mal Flug und Wohnung und vielleicht einen ersten Job haben - der Rest findet sich dann schon."

Schauen Sie immer wieder in sich hinein, wie viel Struktur Sie im Vorfeld haben möchten. Sind Sie eher jemand, der gerne Dinge auf sich zukommen lässt und spontan entscheidet oder hätten Sie am Liebsten das ganze Jahr schon fest verplant? Welche Vorteile und Nachteile hat jede Herangehensweise und wie können Sie das in Einklang bringen?

Ich hoffe, dass Sie selbst mit ganz konkreten Schritte diese schöne Idee in die Realität umsetzen können und wünsche Ihnen viel Freude und Mut dabei.

Herzliche Grüße

Julia Peirano

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