J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Kurz getrennt, kurz darauf wieder zusammen – und in der Zwischenzeit hat er sich durch die Betten gevögelt

Manche Beziehungen sind sehr körperlich (Symbolbild)
Manche Beziehungen sind sehr körperlich (Symbolbild)
© South_agency / Getty Images
Estelle und ihr Freund haben eine sehr enge und sehr körperliche Beziehung. Doch in einer Beziehungspause ging Patrick auch mit mehreren anderen Frauen ins Bett. Sollte sich Estelle deshalb trennen?

Hallo Frau Peirano,

mein Freund Patrick (32) und ich (34) sind seit fünf Jahren zusammen. Wir haben uns in einem Club kennen gelernt. Wir haben den ganzen Abend getanzt, uns dann geküsst, und es war dann klar, dass wir danach zu mir gefahren sind und Sex hatten. Wir waren wie Magneten und haben erst einmal eine Woche die Wohnung nicht verlassen, weil wir nicht voneinander loskamen. Das haben wir beide vorher nicht erlebt.

Und körperlich ist es auch immer noch so. Wir haben sehr viel und sehr intensiven Sex, haben keine Tabus und probieren viel aus. Aber das ist eigentlich gar nicht nötig. Auch ganz "normaler" Sex fühlt sich fantastisch an. Aufregend und entspannt zugleich. Er weiß genau, welche Knöpfe er bei mir drücken muss, wie er mit mir reden und wie er mich anfassen muss. Und ich weiß auch, was ihm Lust bereitet. Und wir finden uns körperlich einfach sehr anziehend und haben da große Nähe.

Auf anderen Ebenen passt es nicht so gut. Er lebt relativ einfach: Fussball, Fitness, Fastfood, Motorradtouren. Ich mag gerne anregende Gespräche, tiefsinnige Filme und Serien, Design und Ästhetik.

Deshalb leben wir auch getrennt und lassen uns unsere Freiräume, allerdings nicht sexuell.

Und es gibt immer mal wieder heftigen Streit, insbesondere wenn wir zu viel getrunken haben. Ich zweifle daran, dass wir eine Zukunft haben und werfe ihm auch vor, er solle mal mehr aus sich machen. Er mauert und sagt mir, ich solle mir jemanden anders suchen, wenn er mir nicht reicht.

Nach dem letzten Streit, das war im März, hat er seine Sachen gepackt und ist gegangen. Das war nicht das erste Mal, dass wir uns getrennt haben. Ich war traurig, aber auch irgendwie erleichtert. Und ich habe aber auch gedacht, dass das noch nicht das Ende war.

Und so war es auch. Im April stand er eines Abends vor meiner Tür und ich war so froh, ihn zu sehen, dass ich nichts gesagt und ihn einfach geküsst habe, und dann landeten wir im Bett und blieben ein paar Tage dort.

Dann holte er tief Luft und sagte, er müsste mir etwas sagen. Er gestand mir, dass er in der Zwischenzeit so sauer auf mich gewesen war, dass er sich gleich bei Tinder angemeldet hatte. Er hat Bestätigung gesucht und sich mit anderen Frauen getroffen und dabei ist es nicht geblieben. Er hat wohl mit ca. 10-12 Frauen Sex gehabt, und das in nur 5 Wochen!

Ich finde das abartig. Ich kann gar nicht genau sagen, was es ist. Oberflächlich, ekelhaft, gefühlskalt. Bei mir muss schon etwas Besonderes im Spiel sein, wenn ich mit jemandem Sex habe. Ich hatte früher zwei oder drei One-Night-Stands und habe mich hinterher schlecht gefühlt.

Mir ist es total fremd, mir vorzustellen, dass jemand fremde Frauen kennen lernt, um schnell mit ihnen Sex zu haben und dann wieder zu gehen. Und ich habe Bilder im Kopf, wie Patrick alle möglichen anderen nackte Frauen küsst, sie auszieht, mit ihnen Sex hat.
Ich weiß gar nicht, wie ich das aus dem Kopf kriegen kann.

Er ist auch nicht bereit, darüber zu reden bzw. es hilft auch nichts. Er ist nicht besonders gut mit Worten und außer der Erklärung, dass er sauer auf mich war und dass wir getrennt waren, fällt ihm nichts ein.

Ich würde "eigentlich" das gerne als Anlass nehmen, mich zu trennen. Aber dadurch werden die Bilder in meinem Kopf auch nicht weniger, und es geht mir jetzt besser, wenn ich viel und innig mit Patrick schlafe und ihm körperlich nah bin. Wir haben jetzt noch mehr Nähe als vorher, und es bestätigt mich, wenn er mir sagt, dass er zurück gekommen ist, weil er bei den anderen Frauen gemerkt hat, dass der Sex mit mir das einzig Wahre ist und er mich und unseren Sex vermisst hat.

Ich drehe mich im Kreis und fühle mich auch idiotisch. Wenn das jemandem anders passiert wäre, würde ich denken: "Ist die völlig bescheuert?" Aber ich bin wie besessen davon, dass Patrick und ich möglichst viel Sex haben, weil ich dann an nichts anderes mehr denken muss und es mich wieder aufbaut.

Haben Sie ein paar Hilfestellungen für mich?

Viele Grüße und danke,
Estelle G.


Liebe Estelle G.,

es hört sich so an, als wenn bestimmte Steuerzentralen in Ihnen völlig unterschiedliche Dinge wollen.

Ihr Verstand (übrigens in der Großhirnrinde und angesiedelt) ist die logische und rationale Kommandozentrale. Er kann aus der Vergangenheit und der Gegenwart Voraussagen für die Zukunft treffen, hat Werte, Kriterien und Leitlinien und kann anhand dieser Vorgaben die Beziehung beurteilen. Und das Urteil Ihres Verstandes ist verheerend: Patrick ist Ihnen zu einfach gestrickt, passt nicht zu Ihnen als gesellschaftsfähiger Partner, vielleicht sogar als Partner für eine Familiengründung, und dazu ist er noch triebgesteuert. Wenn er gekränkt ist, hat er einfach wahllos mit anderen Frauen unverbindlichen Sex, um sein Selbstwertgefühl zu stärken.

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Ihr Verstand findet dieses Verhalten verwerflich (vielleicht auch primitiv?), und ich kann mir vorstellen, dass Sie sich auch dafür schämen, dass Sie mit einem Mann zusammen sind, der so gar nicht Ihrem Bild von einem passenden Partner entspricht.

Und dann haben wir die Kommandozentrale Körper (übrigens in tieferen und älteren Schichten des Gehirns angesiedelt). Ihr Körper LIEBT und BEGEHRT Patrick, empfindet bei ihm Lust, Bestätigung, Geborgenheit und Verschmelzung.

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie kostbar diese körperlichen Gefühle eigentlich sind, die Sie mit Patrick erleben? Denken Sie mal an die Beziehung zwischen Mutter (und natürlich Vater) und Kindern, sowohl bei Säugetieren als auch bei Menschen. Es ist eine extrem körperliche Beziehung. Die Kinder wachsen im Körper der Mutter und werden über die Nabelschnur von ihr versorgt, sie hören ihre Bauchgeräusche und ihren Herzschlag. Und sie spüren aufgrund der körperlichen Vorgänge der Mutter wie z.B. Hormone, Herzschlag, Stimme, wie Sie sich fühlt und ob es selbst willkommen ist.

Nach der Geburt hat das Neugeborene im Idealfall eine sehr enge körperliche Beziehung zur Mutter bzw. zu anderen Bezugspersonen. Es wird gestillt, auf dem Arm getragen, das Bäuchlein wird sanft gerieben und es schläft vielleicht im Bett der Eltern. Und diese enge körperliche Verbindung ist die Grundlage für das Urvertrauen, für einen emphatischen Kontakt und für eine gesunde geistige und seelische Entwicklung. In rumänischen Waisenhäusern konnte man sehen, dass viele Kinder, die ohne körperliche Nähe und liebevolle Ansprache versorgt wurden, entwicklungsverzögert waren oder sogar starben!

Auch später spielt die körperliche Verbindung eine entscheidende Rolle in Beziehungen. Ich tanze seit vielen Jahren Tango und erlebe immer wieder, dass durch eine schöne Umarmung beim Tanzen und eine körperliche Harmonie  beim Tanzen sich eine tiefe Beziehung aufbauen kann, auch wenn man nur Smalltalk macht und kaum etwas übereinander weiß. Und haben Sie es nicht im Gegensatz schon erlebt, dass man mit vielen Menschen auf einer intellektuellen Ebene redet und sich gegenseitig herausfordert und inspiriert, aber die Beziehung irgendwie kalt bleiben kann, wenn es körperlich nicht klickt? Und niemand kann mich besser entspannen als meine Katze, wenn sie mal beschließt, sich zwei Stunden schnurrend von mir streicheln zu lassen…

Sie haben sich offensichtlich dafür entschieden, mit Patrick zusammen zu sein, WEIL es körperlich einfach perfekt harmoniert und für Sie beide etwas ganz Besonderes ist. Sie könnten sich interessehalber einmal fragen, wie Ihre körperliche Beziehung zu Ihren Eltern in der frühen Kindheit war. Sind Sie möglicherweise zu kurz gekommen und haben Nachholbedarf, z.B. weil Ihre Eltern Liebe nicht auf körperliche Weise zeigen oder Berührungsängste haben? Oder weil Sie z.B. durch einen Krankenhausaufenthalt als Kleinkind von Ihren Eltern getrennt waren?

Wenn das so wäre, würde ich Ihnen empfehlen, eine therapeutische Arbeit zu machen, die sich mit dem inneren Kind auseinander setzt. Die Welt unserer Bedürfnisse und Gefühle nennen wir Therapeut:innen das innere Kind. Und die therapeutische Arbeit zielt darauf ab, die Gefühle und Bedürfnisse des inneren Kindes zu erkennen und zu erfüllen, also das Kind emotional zu versorgen, zu schützen und zu lieben. Am besten gelingt diese Arbeit in einer vertrauensvollen Einzel- oder Gruppentherapie bei einer Therapeutin oder einem Therapeuten, der auf dieses Thema spezialisiert ist. Podcasts oder Online-Kurse können gefährlich sein, weil alte Traumata wie Verlassensängste aktiviert werden können. Außerdem geht es ja gerade in der Arbeit mit dem inneren Kind um eine persönliche, liebevolle Ansprache und Versorgung, und dazu braucht man liebevolle und persönliche Ansprache und Anleitung von einer Therapeutin oder einem Therapeuten. Ansonsten überfordert man sich meiner Erfahrung nach selbst oder bleibt zu sehr an der Oberfläche.

Manchmal ist es so, dass Menschen, die ihr inneres Kind nicht selbst versorgen können, dieses  bereitwillig anderen Menschen überlassen. Das sieht dann so aus wie bei Ihnen: Estelle hat (vielleicht) frühkindliche Defizite und fühlt sich auf einer körperlichen Ebene nicht genug geliebt und angenommen. Anstatt das selbst in die Hand zu nehmen und eine innerliche Mutter (das heißt eine erwachsene, mütterliche Estelle) herauszubilden, die das Kind versorgt, überlasst sie das Kind mit seinen Bedürfnissen Patrick, weil der sich so gut kümmern kann. Patrick kann ja fantastisch Nähe und körperliche Bestätigung geben…

Stellen Sie sich vor, eine Mutter würde das mit einem echten Kind machen: Sie kann ihrem Kind körperlich keine Liebe geben und überlässt es dann ihrem neuen Freund, weil der so zärtlich ist. Bei der Vorstellung gehen gleich die Alarmglocken an, oder? Bei mir jedenfalls.

Ich kann mir vorstellen, dass Sie sich so lange in dieser Abhängigkeit von Patrick befinden werden, bis Sie gelernt haben, Ihr inneres Kind selbst zu versorgen. Und das betrifft auch den körperlichen und seelischen Bereich. Eine gute innere Mutter wird sein Kind in den Arm nehmen, ihm sagen, wie liebenswert es ist, es liebevoll streicheln und dafür sorgen, dass es Sport macht und sich entspannt, um sich körperlich wohl und ausgeglichen zu fühlen.

Und eine gute innere Mutter wird auch die Partnerwahl der inneren Tochter kommentieren und die Tochter weise und liebevoll beraten.

Wie wäre es denn, wenn Sie für den Moment erst einmal akzeptieren, dass Sie von Patrick erst einmal nicht loskommen, weil er Ihnen kostbare körperliche Nähe und Intimität gibt, die Sie offensichtlich dringender brauchen als intellektuellen Austausch? Versuchen Sie doch, nicht mehr dagegen anzukämpfen, denn das spart Stress.

Wenn Sie etwas verändern wollen, müssten Sie Ihre gute innere Mutter stärken und Ihr inneres Kind selbst versorgen. In der Regel dauert das ungefähr zwei Jahre in einer Therapie. Und erst dann können Sie besser und freier entscheiden, wen Sie wirklich als Partner an Ihrer Seite haben wollen.

Herzliche Grüße
Julia Peirano

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