Liebe Frau Dr. Peirano,
mein Freund und ich sind jetzt ein Jahr zusammen und da er auf SM steht und ich nicht so, führen wir von Anfang an eine offene Beziehung. Er hat ein paar Spielpartnerinnen, mit denen er auf einschlägige Parties geht (angeblich läuft mit denen aber kein Oralverkehr, Kuss oder Sex).
Seit zwei Monaten haben wir auch gar keinen Sex mehr, ihm zuliebe habe ich dann ein bisschen SM mitgemacht (lasse mich fesseln und hauen), was dann auch zuerst zu Sex geführt hat. Inzwischen befriedigt er mich danach nur noch mit Spielzeug. Ich täusche seitdem einen Orgasmus vor, damit es aufhört.
Jetzt habe ich jemanden kennengelernt, mit dem ich gerne Sex haben möchte und darüber habe ich mit meinem Freund gesprochen. Er kann ihn nicht leiden und verbietet mir quasi den Umgang. Er wird jedes Mal laut, wenn ich seinen Namen nur erwähne.
Wir streiten uns extrem viel, angeblich weil ich meinem Freund zu wenig Beachtung gebe, wenn wir zusammen draußen sind. Ich hab eine PTBS, weil ich in einer vorherigen Beziehung misshandelt wurde und sein Lautwerden macht mir Stress, was ihn aber nicht interessiert. Er sagt, es sei ja meine Schuld, dass er so reagiert und ich könne nicht erwarten, dass er sich ändert, wenn ich das nicht auch tue.
Hat das überhaupt noch Sinn?
Lieben Gruß und Danke im Voraus
Alina Z.
Liebe Alina Z.,
als ich Ihren Bericht gelesen haben, habe ich gleich ein Bild mit mehreren roten Flaggen und Warnschildern vor mir gesehen, auf denen steht: Achtung, gefährliches Gebiet. Nicht weiter gehen! Sonst große Gefahr!
Sie schreiben, dass Sie traumatische Erfahrungen in einer vorherigen Beziehung gemacht haben. Haben Sie diese Erfahrungen aufgearbeitet? Das würde ich Ihnen auf jeden Fall empfehlen: Suchen Sie sich eine Therapeutin oder einen Therapeuten, der/die sich mit Traumatherapie auskennt.
Ein wichtiger Bestandteil von Traumatherapien ist die Auseinandersetzung mit der Schuld. Viele Patientinnen leiden darunter, dass sie sich selbst die Schuld für das geben, was ihnen passiert ist. Oft liegt das daran, weil auch der Täter/die Täterin ihnen auch die Schuld für die Misshandlungen gegeben hat.
Das ist eine klassische Täter-Opfer-Verdrehung: Ich muss dir das ja antun, weil… ("du es selbst willst", " du mich so erregst", "du etwas falsch gemacht hast und ich dich bestrafen muss"). Dieses Deutungsmuster wird leider von den Patientinnen selbst übernommen, weil sie keine Hilfe bekommen haben, um es anders zu sehen.

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.
Meistens stellt sich außerdem heraus, dass es familiäre Gründe bei der traumatisierten Frau/dem traumatisierten Mädchen gibt, warum sie/es sich nicht in Sicherheit gebracht oder Hilfe geholt hat. Manchmal findet man dann Familien, in denen alle den Täter (weil Vater oder Großvater) schützen und dem Mädchen nicht glauben. Oder in denen sich keiner für die Gefühle des Mädchens interessiert und sie niemanden hat, der ihr zuhört. Oder sie weiß schlichtweg einfach nicht, dass das, was ihr passiert, kein "normaler" Sex ist, sondern eine Misshandlung oder eine Straftat.
Da fehlt dann die Aufklärung, die in der Pubertät eines Kindes ein wichtiger Bestandteil der Erziehung ist. Zum Beispiel als Mutter mal zu fragen, ob die Tochter schon Sex haben möchte und wenn es geschieht, sich zu erkundigen, ob es ihr Spaß macht oder sie sich überfordert fühlt.
Das alles wird in einer Traumatherapie genauestens aufgearbeitet, und dann folgt oft die Frage: Wie kann ich dafür sorgen, dass mir das nie wieder passiert?
Eine schwer traumatisierte Patientin hat sich dagegen entschieden, jemals wieder Sex zu haben und hat das auch ihrem jetzigen Partner kommuniziert. Andere Frauen meiden es, alkoholisiert auf Parties zu gehen und sich so verletzbar zu machen. Wieder andere brechen den Kontakt zu gewissen Personen ab und lassen sich beim Kennenlernen sehr viel Zeit und unterziehen potenzielle Partner vielen heimlichen Sicherheits- und Vertrauenstests.
Die Frage, ob die traumatisierenden Erfahrung erneut passieren kann, ist eine ganz zentrale Frage, die darüber entscheidet, ob jemand sich wieder sicher fühlen kann. Dazu gehört die Gewissheit: Ich bin jetzt erwachsen und ich habe dazu gelernt. Ich höre immer auf mein Bauchgefühl und passe gut auf mich auf.
Was löst das, was ich gerade geschrieben habe, bei Ihnen aus? Insbesondere wenn Sie an Ihre jetzige Beziehung denken? Ein Partner, der sexuell auf Gewalt steht (was ja in Ordnung ist, wenn er die passende Partnerin findet, die das auch will), ABER das auch durchsetzen will mit Ihnen, die nicht auf Gewalt steht und traumatisiert durch sexuelle Erfahrungen ist?
Weitere rote Flaggen: Sie müssen ihm etwas vorspielen, damit er zufrieden ist, und anscheinend ist es mit Ihrem Vertrauen darin, dass er sich an die Absprachen bezüglich Sex-Partys (kein Kuss, kein Sex) hält, auch nicht weit her.
Dazu kommt, dass er auf Ihren Stress nicht reagiert und sie weiter einschüchtert.
Wenn ich all das lese, kommen mir wieder die roten Flaggen und Warnschilder in den Sinn. Es nützt wahrscheinlich wenig, wenn ich Ihnen rate: Sie müssen da schnell raus, das kann noch böse enden. (Es ist schon böse aus meiner Sicht, aber oft testen Menschen ja, wie weit sie gehen können und steigern sich dann über die Zeit.)
Besser wäre es, wenn Sie sich selbst und Ihrem Bauchgefühl glauben. Immerhin haben Sie mir geschrieben und sich so Hilfe geholt. Und ich kann Ihnen ehrlich sagen, dass ich mir Sorgen um Sie mache!
Aber ich denke, dass Sie eine Therapie machen sollten, um auch Ihre Partnerwahl zu durchleuchten. Sie bringen sich wiederholt in Gefahr, und es braucht eine Weile, bis man das erkennt und damit aufhören kann.
Ich wünsche Ihnen viel Mut und Stärke dabei!
Passen Sie auf sich auf!
Herzliche Grüße
Julia Peirano