J. Peirano: Der geheime Code der Liebe Mein narzisstischer Vater zerstört die ganze Familie und bringt alle gegen mich auf

Die Beziehung zu den Eltern prägt unser ganzes Leben (Symbolbild)
Die Beziehung zu den Eltern prägt unser ganzes Leben (Symbolbild)
© Drazen Zigic / Getty Images
Sein ganzes Leben leidet Torben unter seinem Vater. Seit die Mutter verstorben ist, wird dessen Verhalten sogar noch schlimmer. Gibt es Hoffnung, die Familie auf seine Seite zu bekommen?

Hallo Frau Peirano,

ich (37, Tischler) leide schon seit Jahren unter meinem narzisstischen Vater. Nach außen wirkte unsere Familie normal, sogar wie eine Vorzeigefamilie. Er hat zum Beispiel an Kindergeburtstagen richtig Gas gegeben und Schatzsuchen veranstaltet oder Hüpfburgen gemietet. Alle waren begeistert von ihm. Doch wenn wir alleine waren, hat mein Vater sich auf mich gestürzt und mich nieder gemacht, manchmal auch ganz subtil. Er hat mich immer mit sich oder meinem kleinen Bruder verglichen. Ich schnitt dabei immer als der Idiot, Nichtsnutz und Tollpatsch ab. 

Ich hatte große Erfolge im Handball und war auch in der Schule sehr gut. Mein Vater ist nie zu den Handballspielen gekommen, sondern hat an den Tagen immer irgendwie Stress gemacht, so dass ich unkonzentriert war und ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle hatte.

Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass mit mir etwas nicht stimmt, bis ich eines Tages eine Therapie begonnen habe und wir da recht schnell auf das Thema Narzissmus kamen.

Plötzlich wurde mir klar, dass er in Konkurrenz mit mir stand und neidisch auf meine Erfolge war und mich deshalb nieder gemacht hat. 

Mir wurde deutlich, dass sich alles immer um ihn drehen musste und unsere Bedürfnisse nicht gezählt haben. Meine Mutter hat er auch komplett dominiert. Sie musste seine Wünsche erfüllen, und wenn ihr mal ein kleiner Fehler unterlaufen ist (das Essen zehn Minuten zu spät auf dem Tisch war), dann hat er sie mit Vorwürfen und Schweigen bestraft. Sie hat sich nie wehren können, was mir sehr leid tat.

Vor fünf Jahren ist meine Mutter gestorben, und seitdem ist die Familie völlig auseinander gefallen. Meine Mutter hat die Familie immer zusammen gehalten und Frieden gestiftet. Jetzt kann mein Vater sich ungestört austoben.

Er bevorzugt eindeutig meinen Bruder und hat ihm unser Famiilenhaus übertragen, angeblich weil er ein Kind hat und ich nicht.

Mein Bruder kann nichts falsch machen, obwohl er immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt kommt wegen körperlichen Übergriffen beim Fußball.

Ich habe versucht, mit meinem Vater über die Situation zu reden und mein Recht zu fordern. Ich muss dazu sagen, dass meine Eltern ein Berliner Testament haben. Das heißt, dass wir beim Tod meiner Mutter nichts geerbt haben, aber dann beim Tod meines Vaters jeder die Hälfte erben sollen. Ich habe durch meine Frau, die Rechtsanwältin ist, angesprochen, dass es nicht der Sinn des Testaments ist, dass mein Bruder das Haus bekommen hat und ich nichts.

Mein Vater hat daraufhin den Kontakt zu mir abgebrochen. Er redet aber, wie früher auch immer, mit meinem Bruder und meinen Tanten und Onkels schlecht über mich und stellt sich als Opfer der Situation dar. 

Er hat mich immer als undankbar und faul dargestellt und Dinge erfunden, die ich ihm angeblich getan haben soll. Er hat gelogen und verschwiegen, was er selbst gemacht hat und sich als liebender Vater, der es nur gut meint, inszeniert. Neulich wurde ich bei der Beerdigung meines Lieblingsonkels ausgeladen mit der Begründung, dass ich meinen Vater so verletzt hätte und man ihm nicht zumuten könne, mich zu sehen. 

Er raucht stark und hat deshalb mit seinen 78 Jahren auch Probleme mit der Lunge. Vor dem Kontaktabbruch hat er dann während meiner Arbeitszeit Arzttermine gemacht, ohne mich zu fragen, und verlangt, dass ich ihn begleite. Mein Bruder ist gerade in Kurzarbeit und sitzt den ganzen Tag vor dem Fernseher – aber er wurde nicht gefragt. Als ich gesagt habe, dass ich ihn nicht fahren kann, hat er sich überall in der Familie als Opfer inszeniert und mich als den herzlosen Sohn, der seinen Vater nicht unterstützt.

Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, was ich machen soll. Mich und meine Frau belastet die Situation sehr. Frieden ist nicht in Aussicht und ich würde mich wenigstens gerne um die Erbschaft kümmern. Eigentlich würde ich auch gerne mit meinen Verwandten über die Situation sprechen, weil ich in einem schlechten Licht dastehe und das gerne gerade rücken würde.

Aber kann das etwas bringen?

Haben Sie einen Rat?

Torben Z.

Lieber Torben Z.,

es tut mir sehr leid für Sie, zu hören, was Sie durchgemacht haben! Das klingt nach einer sehr leidvollen Geschichte. 

Das, was Sie durchgemacht haben, klingt in vieler Hinsicht wirklich wie eine Vorzeige-Familie, und zwar eine Vorzeigefamilie für eine Fallkonferenz für Narzissmus, anhand der man demonstrieren kann, wie narzisstischer Missbrauch eine ganze Familie betreffen und zerrütten kann.

Typisch daran ist vieles:

  • Der emotionale Missbrauch fand im Verborgenen statt. Nach außen wirkte ihr Vater wie der perfekte, engagierte Vater, so dass niemand Ihnen Glauben geschenkt hat.
  • Die Familie wird gespalten. Ihr Vater ist der Herrscher, Ihr Bruder wird als das goldene Kind auserkoren und kann nichts falsch machen (obwohl er offensichtlich recht viel gegen die Regeln verstößt). Sie hingegen sind der Sündenbock der Familie: Was auch immer Sie machen, ist es nicht gut genug und Ihr Vater wertet Sie ab und stellt Sie als schlechten, undankbaren und unfähigen Sohn dar. Und Ihre Mutter steht so unter der Fuchtel Ihres Vaters, dass sie nicht widersprechen und ihre Söhne vor dem Vater schützen kann. Wahrscheinlich hat Ihr Vater sich extra eine unsichere Frau gesucht und sie mit viel Manipulation dazu gebracht, niemals die Stimme gegen ihn zu erheben.
  • Ihr Vater ist sehr auf sich zentriert und braucht viel Bestätigung und Bewunderung von außen. Andere Menschen sind in seinen Augen dazu da, um seine Bedürfnisse zu erfüllen. Wenn er zum Arzt will, macht er einen Termin und erwartet, dass Sie ihn fahren – und er fragt nicht, wann es Ihnen passt und ob Sie dazu bereit sind.
  • Es werden Strafen eingesetzt. Bei Narzissten gibt es nie feste, nachvollziehbare Regeln wie z.B. "keine Pizza auf dem weißen Sofa essen" oder "nach dem Essen den Tisch abräumen". Die Regeln ändern sich täglich mit der Lust und Laune des Narzissten, und sie gelten auch nicht für alle (und für den Narzissten schon mal gar nicht). Ihr Bruder muss anscheinend keine Regeln befolgen, während Sie sich bemühen können, die Regeln zu befolgen und es doch nie recht machen können.
  • Die Strafen sind Abwertungen (das zermürbt das Selbstwertgefühl), Ausgrenzung (es ist sehr schmerzhaft, aus einer Gruppe ausgestoßen zu werden! In unserer Gesellschaft werden Straftäter mit dem Ausschluss aus der Gesellschaft, ergo Gefängnis, und im schlimmsten Fall mit Isolationshaft bestraft!). Dazu werden materielle Strafen eingesetzt (das Haus wird einfach ihrem Bruder überschrieben). 
  • Wenn Sie sich wehren, werden die Opfer-Täter-Verhältnisse umgedreht. Ihr Vater ist nicht der Täter, der seinem Sohn schadet, weil er sich nicht an das Testament hält (von dem er ja selbst profitiert und das er selbst aufgesetzt hat). Sondern Sie sind der undankbare Sohn, der seinen armen, liebenden Vater aus heiterem Himmel angreift. Und vielleicht auch noch seinem Bruder und dessen Kindern nichts gönnen kann, weil er egoistisch ist.

Das alles schmerzt!

Und zudem wird hinter Ihrem Rücken ordentlich Stimmung gegen Sie gemacht, so dass Sie viel Gegenwind bekommen und nach und nach aus der Familie ausgegrenzt werden (siehe die Beerdigung). 

Porträt Dr. Julia Peirano
© Kirsten Nijhof

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe

Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben. 

Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.

Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.

Man nennt das auch "Flying Monkey"-Syndrom. Bei Alice im Wunderland gibt es eine böse Hexe, die ihre Affen dazu einsetzt, für sie die Drecksarbeit zu verrichten und ihre Gegner zu strafen und sie zu piesacken. Narzissten sind besonders geschickt darin, durch Lügen, Verdrehen der Tatsachen (Gaslighting), geschickt eingesetzte Erinnerungslücken und Verleugnen ganz als unschuldiges Opfer zu erscheinen, so dass Menschen, die ihre Pläne durchkreuzen, als böse Täter inszeniert werden.

Ich gehe so genau ins Detail, weil ich gerade bei Narzissmus von dem Sprichwort überzeugt bin: Wissen ist Macht. Narzissmus ist eine so vielschichtiges und komplexe psychische Erkrankung, bei der die Betroffenen nach außen auch ganz normal wirken und sogar viele Menschen völlig von sich überzeugen und für ihre Zwecke einspannen können. Sie können – wie viele berühmte Politiker und Kriegstreiber – enormen Schaden anrichten und sind brandgefährlich. 

Informieren Sie sich über Narzissmus und machen Sie am Besten eine Therapie, um die Schäden des Missbrauchs zu heilen.

Literaturtipps sind:

Eine wichtige Erkenntnis aus der Arbeit mit Menschen, die von narzisstischen Partnern, Elternteilen oder Vorgesetzten leiden, ist die: Das von einem Narzissten manipulierte (Familien-)System ist so kaputt und von Flying Monkeys infiltriert, dass Sie aus diesem Kreis wahrscheinlich keine Hilfe und kein Verständnis bekommen werden.

Suchen Sie sich die Hilfe und den emotionalen Rückhalt außerhalb des Systems – zum Beispiel bei Therapeuten, einer Selbsthilfegruppe für Kinder narzisstischer Eltern, Ihrer Frau oder Freunden, die IHNEN glauben und die Sie unterstützen.

In Ihrer Ursprungsfamilie ist leider wenig Aussicht für einen respektvollen und harmonischen Umgang. Deshalb lassen Sie los und betrauern Sie, was dort noch zu betrauern ist, weil Ihre Wurzeln abgeschnitten wurden. Das ist destabilisierend und Sie sollten sich Zeit dafür nehmen!

Kümmern Sie sich in Ihrem eigenen Interesse darum, Grenzen zu setzen und die Ungerechtigkeit Ihres Vaters, zumindest in finanzieller Hinsicht, nicht hinzunehmen. Setzen Sie sich mit einer*m Anwält*in für Familienrecht zusammen und klären Sie, ob Sie jetzt schon Einspruch gegen die Schenkung des Hauses an Ihren Bruders erheben können oder ob Sie bis zum Erbfall warten müssen, bis Sie eine Herausgabe der unrechtmäßigen Schenkung verlangen können.

Gönnen Sie sich Ruhe und schöne Aktivitäten – es klingt sehr anstrengend und belastend, was Sie durchgemacht haben!

Herzliche Grüße und alles Gute für Sie,

Julia Peirano

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