Für Lisa, Simon, Anita, Sven und wie sie alle heißen ist es ganz normal, dass einer ihrer Erzieher Englisch, der andere Deutsch spricht. Ihre Kindertagesstätte (KITA) in Altenholz bei Kiel wird bilingual, also auf Deutsch und Englisch geführt. Das Projekt hat sich nach anfänglicher Skepsis zum Renner entwickelt, weil auch die angrenzende Claus-Rixen-Grundschule in einer Klasse bilingualen Unterricht anbietet und dabei auf deutliche Lernerfolge im Vergleich zu einsprachig betreuten Kindern nachweisen kann.
Spielerische Frühvermittlung von Fremdsprachen
Das frühe Lernen der zweiten Sprache hatte der Kieler Sprachwissenschaftler Prof. Henning Wode vom Englischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität angeregt. In Ländern wie Kanada oder Australien habe sich gezeigt, wie erfolgreich die spielerische Frühvermittlung von Fremdsprachen sein könne, sagt Wode. Bei einer Diskussion mit Betriebsleitern von Kindergärten der Arbeiterwohlfahrt (AWO) stellte er sein Konzept vor. Die Leiterin der KITA in Altenholz, Sabine Devich-Henningsen, erinnerte das an ihre eigene Kindheit. Sie hatte einen dänischen Kindergarten im Landesteil Schleswig besucht, der nach dem selben Prinzip geführt wird: Umgangssprache war hier Dänisch. Sie griff die Anregung auf.
Die Kinder sind begeistert
Die AWO unterstützte 1996 das Projekt ohne Vorbehalte, berichtete Devich-Henningsen. Für den Start in einer der fünf Gruppen hatte sie Glück: Suzie Niebel, eine amerikanische Erzieherin, die nach Altenholz gezogen war, kam zunächst ehrenamtlich zwei- bis drei Mal pro Woche.
Die Kinder hätten begeistert reagiert, als Suzie englische Spiele einführte, mit ihnen sang oder bastelte. Als Suzie sich beruflich veränderte und eine Halbtagsstelle frei wurde, kam Tracy, ebenfalls eine Amerikanerin. »Das war der Anfang«, berichtet die KITA-Leiterin.
Wahre Leistungsexplosion
Die Entwicklung der Kinder und deren Fähigkeiten wird von Wode und seinen Mitarbeitern wissenschaftlich begleitet. Immer wieder überprüfen sie, wie die Kinder mit dem Englischen als gleichberechtigter Alltagssprache zu Recht kommen. Dieses in der Fachsprache Immersion genannte Verfahren ist für Wode »das derzeit erfolgreichste Sprachlehrverfahren, das keine Defizite bei anderen Fächern auftreten lässt und die Muttersprache sowie die Entwicklung der Kinder insgesamt fördert«. »Vor allem nach dem Wechsel in die bilinguale Grundschulklasse zeigt sich eine wahre Leistungsexplosion bei den Kindern«, berichtet Wode.
Englisch wird nur mit Muttersprachlern gesprochen
Auch Devich-Henningsen bestätigt das. »Bevor die Kinder in die Schule kommen, können sie bereits ganze englische Sätze formulieren.« Aber Englisch werde nur mit den Englisch sprechenden Kollegen gesprochen, »mit uns aber nicht«. Auch untereinander setzen die Kinder schon Mal englische Vokabeln ein.
»Word of the day«
Schon im Eingangsbereich der KITA zeigt sich, dass sich diese Einrichtung von den meisten anderen unterscheidet. Ein Schild weist auf das »Word of the day« (Wort des Tages) hin. Jetzt war es das »Reindeer«.
In einer Gruppe sitzt James Dargan, ein Sonderpädagoge aus Leeds in England und liest aus dem Bilderbuch »Little Polar Bear« vor. Die Kinder hören zu und beschreiben das, was sie sehen, auf Deutsch, James antwortet auf Englisch.
Die Älteren helfen beim Übersetzen
Wenn zu Beginn eines Kindergartenjahres die jüngsten, die Dreijährigen, zunächst nicht verstehen, was James und die anderen von ihnen wollen, »dann helfen die Älteren und übersetzen«, erzählt die Heilpädagogin Carolin Hennings. Auch die typischen Tagesabläufe im Kindergarten hätten längst auf Englisch Eingang in die Sprache gefunden.
Probleme beim Kultusministerium
Probleme haben die Mitarbeiter jedoch mit der Anerkennung des frühen Lernens der Fremdspraches in der Kultusbehörde. »Da will man nicht viel davon wissen«, klagt Devich-Henningsen. Auch für den Sprachwissenschaftler Wode ist das unverständlich. »Gerade die PISA- Studie habe gezeigt, wie wichtig frühes bilinguales Lernen sei.«
Doch ganz so negativ sieht Kultusministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) dies nicht. Das Angebot nehme in Schleswig-Holstein eine besondere Stellung ein. »Das Angebot an der Claus-Rixen-Schule ist das einzige, das aus einem bilingualen Kindergarten heraus gewachsen ist«, sagt die Ministerin. »Man muss den Eltern und manchen Lehrerkräften die Sorge nehmen, dass bei so einem Projekt die Fähigkeit der Schüler in Deutsch leidet. Das sprachliche Bewusstsein der Schüler steigt jedoch sehr. Das wirkt sich auch auf den Deutschunterricht, mehr noch auf die Sprachfähigkeit insgesamt aus«, bilanzierte Erdsiek-Rave.