HAMBURG Zigaretten und Orgasmen

Skandal-Autor Michel Houellebecq liest in der Uni Hamburg

Skandal-Autor Michel Houellebecq liest in der Uni

Eine Zigarette im Hörsaal. Pure Provokation, würde ein Student so unverhüllt damit vor der grünen Tafel stehen. Sie glimmt im Cassirer-Hörsaal, der dank seiner Jahrhundertwende-Architektur Feuerexperten Schweiß auf die Stirn triebe: mattbraune Holzvertäfelung und viele Stühle.

Die Zigarette gehört Michel Houellebecq; der darf das. Er ist kein Normaler, was man allein daran erkennen kann, dass er seine Zigarette seltsam gespreizt zwischen Mittel- und Ringfinger hält. Der Franzose liest aus seinem neuen Buch »Plattform«, das wie all seine bisherigen Werke für Kritikstürme sorgte.

Weil Houellebecq so betont vulgär über Mösen, Orgasmen, Titten und Sextourismus schreibt, dass es manchen Kritiker zu sehr in die pornografische Ecke abdriftet. Und da dieser Skandal die deutschen Feuilletons lange vor der Übersetzung des Buches erreichte, sind die Hamburger Studenten längst sensibilisiert und bilden heute lange, artige Schlangen.

Nette Damen führen Wartelisten für Eintrittskarten. Nützt nichts. Der Andrang ist riesig und schlussendlich werden viele Menschen nach Hause geschickt. Denn mehr als 700 Personen dürfen nicht in den Hörsaal hinein. Aus feuerpolizeilichen Gründen, oder sonst wie. Michel Houellebecq greift vier Mal während der Lesung in die Zigarettenpackung, inhaliert wie abhängig. Zieht so stark, dass nach wenigen Sekunden schon die Hälfte des Tabaks in Asche verwandelt ist. Houellebecq, der Großdichter, hat nicht einmal einen Aschenbecher bekommen. Er balanciert die Ascheschlange am Filter und bewahrt sie vor dem Hinunterfallen auf den Uni-Boden. Ganz tief steckt er die Zigarette in den Mund hinein. Er lutscht auf dem weißen Papier, ja beißt so stark auf den Filter, dass sich die Zigarette biegt.

Seine Erscheinung beton lässig

Eben ein Enfant terrible der Literatur in Hamburgs heiligen Sälen. Hinein kommt er mit Rucksack, ausgebeulter Hose, schlampiger Jacke und kleinkariertem Hemd, das er eindeutig zu weit aufgeknöpft hat, um wie ein seriöser Schriftsteller zu wirken. Diese völlig uneitle Erscheinung hockt nun seltsam schräg auf dem Stuhl, die Beine übereinandergeschlagen und streckt sein verschlissenes »Platforme-Buch« weit von sich während er Schauspieler Max Eipp lauscht, der den deutschen Text vorliest. Und immer wieder lacht er feist, während lustiger Szenen gluckst er in sich hinein.

Houellebecq selbst nuschelt beim Lesen und hält sich in den Sprechpausen seinen Zeigefinger vor den Mund als müsse er ein Rülpsen unterdrücken. Ausreichend Mineralwasser trinkt er diesen Abend. Trendige BWLer und wohlbetuchte Kunsthistoriker sind reichlich erschienen. Die französische Gemeinde Hamburgs scheint ebenso eine Abordnung geschickt zu haben. Erklärte Alt-68er sind auch dabei - eigentlich Menschen, die Houellebecq gar nicht mag. Die zwängen sich in ihrem Alter offensichtlich mühsam in die engen Hörsaalreihen. Und zu verstehen war auch wenig von der Vorlesung, was Ursula Keller vom veranstaltenden Literaturhaus zum Anlass nahm, einmal nachzufragen, ob hier in der Uni denn kein Tontechniker bereitstehe.

Nein, tat er nicht. Das ist übliche Hörsaal-Akustik. Aber Houellebecq eignet sich eh mehr zum Lesen.

Der Münchener Uni-Reporter Arne Franke hält sich momentan aufgrund eines Praktikums in Hamburg auf.

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