LEBEN DAS ROLLENDE WOHNZIMMER

Großes Land, große Schlitten: Nirgends verbringen die Menschen so viel Zeit im Auto wie in den USA.

Mein erstes amerikanisches Auto war ein 87er Mercury Sedan, karminrot. Das heißt, es war das erste amerikanische Auto, in dem ich mitgefahren bin, irgendwo in South Dakota über Schotterpisten durch die Nacht. Fünf Stunden waren wir unterwegs von irgendeinem Flughafen zu der Farm, auf der wir lebten. In Deutschland fährt man fast in der gleichen Zeit von München nach Hamburg, nachts jedenfalls, wenn die Strecke frei ist. In Amerika ist es immer frei, außer in Manhattan und auf den Freeways von Los Angeles, aber was hilft es? Das Tempolimit auf Freeways beträgt 55 Meilen pro Stunde, das sind 88 km/h, und das macht keinen Spaß. Trotzdem lieben die Amerikaner ihr Auto. Warum?

Der allergrößte Teil der USA ist freies Land: Farmen, Wiesen und Berge und kleine Orte mit großen Seen. Dort ist das Auto kein Gebrauchsgegenstand mehr, wie in Deutschland. Es ist ein Überlebensgegenstand, denn wer kein Auto hat, hat keinen Job, weil er dort nicht hinkäme. Und keine Freundin, weil er die nicht abholen könnte zum Date am Samstagabend. Also lebt die amerikanische Jugend bis zum Alter von 16 damit, dass die Eltern sie chauffieren - zur Schule (okay), zum Football (na ja) und zur Freundin (Katastrophe).

Wer 16 Jahre alt ist in den USA, der hat zwar meist schon ein Auto - vielleicht den alten Jeep des Vaters -, ist aber noch fünf Jahre davon entfernt, überhaupt mal eine Bar von innen sehen zu dürfen. Deshalb ist am Samstagabend der belebteste Platz einer amerikanischen Kleinstadt der Parkplatz vor McDonald's. Kann man da zu Fuß hinkommen? Besser nicht. Die meisten Amerikaner, hat eine Studie ergeben, nennen deshalb auch das Auto als den Ort ihres ersten Sexerlebnisses.

Das Ergebnis: Nirgends fahren so viele Menschen Auto, nirgends verbringen die Menschen so viel Zeit im Auto, nirgends ist das Autofahren so bezahlbar, nirgends geben die Menschen gleichzeitig so viel Geld fürs Auto aus wie in den USA. Dabei ist die Sehnsucht jedes Amerikaners das mit Ehrfurcht ausgesprochene »European Car«, das Auto aus Europa, am besten aus Deutschland, am allerbesten aus München: Bi-Em-Dabbelju hat fast einen Klang wie George W., und darum übersteigt bei den Amerikanern die Klasse des Autos gern mal die ihres Einkommens. Ein deutscher Versicherungsangestellter fährt zum Beispiel einen Golf, älteres Modell. Ein amerikanischer Versicherungsangestellter dagegen fährt einen Jeep Grand Cherokee V8. Für sein Auto verschuldet sich jeder Amerikaner oder stottert es in Raten ab, wie es Deutsche vielleicht bei ihrem Haus tun würden.

Unser Mercury Sedan schaukelte in den Kurven, sodass ein jedes Mal zu befürchten war, der Wagen breche aus, denn das kennt man aus amerikanischen Filmen der Siebziger: Amerikanische Autos quietschen in jeder zügig gefahrenen Kurve mit den Reifen, und das Heck schleudert hinterher. Das liegt an den Autos, könnte aber genauso an den Fahrern liegen, denn für einen Führerschein in den USA muss ein 16-Jähriger wenig mehr als drei Kreuze machen. Gibt es Unfälle? Kaum. Zu viel Platz, um wirklich aneinander zu stoßen. Doch einparken kann keiner. Wozu auch?

Philipp Oehmke, 27, hat einen Mitsubishi, träumt aber vom Jeep Cherokee V8, den er in den USA gefahren ist.

PRODUKTE & TIPPS