Bert Gamerschlags Küchengeheimnisse Wie macht man eigentlich Rindsuppe?

Von Bert Gamerschlag
Die Ursuppe ist goldgelb klar und brillant. Sogar der steinalt gewordene Kaiser Franz-Josef wusste die Rindsuppe zu schätzen.
Die Ursuppe ist goldgelb klar und brillant. Sogar der steinalt gewordene Kaiser Franz-Josef wusste die Rindsuppe zu schätzen.
© Grafik: Philipp Möller, Foto:colourbox.de
Rindsuppe machen ist kein Zuckerschlecken. Es ist umständlich und harte Arbeit. Die lohnt sich aber. Denn die Suppe ist unersetzlich. Das wusste sogar schon Kaiser Franz-Josef in Wien.

Wenn fast jedes alte Kochbuch mit der Zubereitung für Fleischbrühe eröffnet, wenn der in Wien steinalt gewordene Franz-Josef (der von Sissi) jeden Tag nach "Rindsuppe" verlangte (und sie auch bekam, denn er war der Kaiser), dann aus diesem Grund: Rindsuppe ist unersetzlich. In der bürgerlichen Küche stand früher täglich ein stets erneuerter Topf mit Fleischbrühe auf dem Herd, aus dem so gut wie jedes Gericht mit einer kleinen Schöpfkelle voll verbessert wurde.

Eine alte Henne kann nicht schaden

Heute nimmt man dafür Geschmacksverstärker. Aber das muss nicht sein. Denn eine gute Fleischbrühe kriegt jeder hin, der Zeit hat und guten Willens ist. Man zieht sie sich aus derbem, frischem Rindfleisch. Hier zählt Jugend nicht, sondern das Alter: Je älter das Tier, desto besser. Die Erfahrung des Lebens muss ihm in den Knochen stecken – man schmeckt sie nämlich.

Um am Ende vier Liter Brühe zu erhalten, rechnet man drei Kilo Rindfleisch auf sechs Liter Wasser. Die Zugabe von einem Kilo ebenfalls derbem Kalbfleisch kann nicht schaden. Früher wurde auch gern noch eine alte Henne zugefügt; dies auch heute zu tun, ist kein Fehler.

Was aber ist "derbes" Fleisch?

Es ist solches aus Hesse und Wade (also den niederen Beinpartien des Rindes), aber auch Brustfleisch zählt dazu. Sollte das Fleisch zudem Rippen- oder Beinknochen umschließen – dann umso besser. Auch keine Angst vor Sehnen oder Fett, sie geben Stand und Geschmack.

Das Fleisch wird am Stück in einem großen Topf in kaltem Wasser aufgesetzt und sehr langsam zum Sieden gebracht – ohne Deckel. Je länger der Prozess und je sanfter der ganze Vorgang, desto besser das Ergebnis.

Die Entstehung der Ursuppe

Der Arbeitseinsatz ist bis hier gering, das Einheizen erledigt ja der Herd. Doch wenn sich Fleisch und Wasser dem Siedepunkt nähern, gilt Aufmerksamkeit: Denn nun tritt Eiweiß aus, aus den äußeren Schichten des Fleisches. Dieses Eiweiß ist wolkig, grau, sieht unschön aus und steigt an die Oberfläche des Wassers, das langsam immer bewegter wallt. Dort schöpfen wir es mit einer Schaumkelle oder besser noch mit einem flachen, feinmaschigen Sieb ab, immer wieder und so lange, bis sich kein Schaum mehr bildet.

Das kann gut zehn Minuten dauern und ist ein durchaus spannender Prozess für Menschen mit etwas Sensibilität, denn das Starren in die Entstehung der Ursuppe hat etwas Mystisches.

Schöpfen bis zum Umfallen

Während der nächsten vier Stunden – so lang etwa dauert der nun folgende Siedeprozess – ist gegebenenfalls nachsteigender Schaum weiter zu entfernen. Denn schöpfte man nicht weiter ab, würde die Bouillon trüb. Man möchte aber eine goldgelb klare und brillante Brühe. Es reicht aber, wenn man seinen Blick alle halbe Stunde auf die sanft siedende Brühe wirft. (Die Zwischenzeit nutzt man zum Lesen.) Sollte das Wasser anfangs für wenige Minuten nicht nur sieden, sondern kochen, ist das nicht tragisch. Dann jedoch die Hitze stark reduzieren, denn über die gesamte Garzeit sollte das Wasser nur ziehen, allenfalls leicht wallen, sich also im Temperaturbereich von 90 bis 95 Grad bewegen.

Drei Stunden später...

Sind drei Stunden vergangen, macht man sich an die Bereitung der gemüsig-würzigen Zusätze, die unsere Brühe über das rein Fleischerne hinaus abrunden: 1–2 halbierte, in einer Pfanne ohne Fett und auf der Schnittfläche bis zur Schwärze angeröstete Zwiebeln (auch eine Möhre kann man derart vorbereiten); Lauch, Knollensellerie und Möhren, gern auch Petersilienwurzel – geputzt und zu gleichen Teilen, zusammen circa 750 Gramm; ferner 10–15 Pfefferkörner; 2–3 Stücke Muskatblüte (Macis); 2–3 Lorbeerblätter; Thymianzweige; Rosmarinzweig; wenig Salz. Im Sommer dürfen die beigefügten Kräuter gerne frisch sein. Sollte sich ein Huhn im Topf befinden, ist es an diesem Punkt zu entfernen, denn das Fleisch ist – was sein Sinn war – ausgelaugt.

Gemüse, Gewürze und Kräuter kommen nun zum Fleisch in die Brühe und garen während der letzten halben Stunde mit – so lange, bis sie weich sind. Warum sie nicht früher an die Suppe kommen? Weil ihr Aroma dann wieder verflöge, es soll aber in der Brühe gebunden bleiben.

Rindsuppe ist harte Arbeit

Bis hierher war alles Vergnügen – nun folgt wirklich Arbeit. Die Brühe (sie darf zunächst 1–2 Stunden abkühlen) durch ein festes, großes Sieb in einen anderen Topf umfüllen (oder einen blitzsauberen Eimer, am besten aus Edelstahl.) Den ausgelaugten Rest wegwerfen. Die Brühe eine Stunde stehen lassen, damit sich verbliebene Schwebstoffe an den Boden absetzen können. Den Trub nicht mehr aufwirbeln – hat man in der Frühphase aber gut und gründlich abgeschäumt, werden eh kaum Trübstoffe da sein. Wir stehen jetzt vor etwa vier Liter klarer, goldgelber, funkelnder Brühe, auf der oben das Fett schwimmt. Wie gut sie ist, merkt man, wenn man davon eine Tasse füllt, den Inhalt salzt und probiert.

Was macht man jetzt mit vier Litern Fleischbrühe?

Möglichkeit 1: In Portionen zu 750 Mililitern in Tiefkühlbeutel füllen (ohne Fett) und in den Tierkühlschrank geben.

Möglichkeit 2: Einwecken (auch ohne Fett). Dazu neue Schraubgläser kaufen und durch die Spülmaschine jagen, besser noch auskochen. Gläser füllen (dazu ein Fettkännchen verwenden, mit dessen Hilfe sich Flüssigkeit fettfrei ausschenken lässt), zuschrauben und im großen Topf im Wasserbad bei 90 Grad 45 Minuten sterilisieren.

Rindsuppe für den Besuch

Es kommt Besuch? Ein Glas oder mehrere Gläser öffnen und den Inhalt in einen Topf geben. Frisch gewürfeltes Suppengrün in separatem Salzwasser wenige Minuten blanchieren, herausnehmen und in die Brühe geben. Eventuell separat Suppennudeln kochen und auch zur Suppe geben.

Die Suppe salzen und abschmecken, eventuell mit einem Spritzer Zitrone. Mit gehackter Petersilie bestreuen und servieren. Warum wird die Brühe erst vor dem Servieren gesalzen? Weil man sie dann zu einer Sauce reduzieren kann, beispielsweise für ein in der Pfanne gebratenes Steak. Wäre die Brühe bereits im Topf gesalzen, würde durch die Reduktion der Flüssigkeit die Sauce versalzen.

Das klingt umständlich? Das ist umständlich! Darum macht man ja auch ein Mal eine große Menge und hat dann – je nach Appetit und Menge – für viele Monate Freude an einer Brühe, die einen – wie einst Franz-Josef – steinalt werden lässt, bei bester Gesundheit. Man fühlt sich wie der Kaiser.

Vielen Dank für die Frage nach der Rindsuppe von Monika Hoerner aus den USA. Haben Sie auch eine kulinarische Frage, die Ihnen unter den Nägeln brennt? Dann mailen Sie an: kuechengeheimnisse@stern.de.

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