Ukraine-Krieg Clustermunition und Vakuumbomben – Putin entfesselt die größten Schrecken des Krieges

TOS Werfer auf einer Übung
TOS Werfer auf einer Übung
© Leonid Faerberg / Picture Alliance
Der Kreml gibt vor, allein Präzisionsschläge durchzuführen. Doch tatsächlich sind Waffen im Einsatz, die unterschiedslos jeden im Zielgebiet töten – darunter auch die gefürchteten thermobarischen Raketenwerfer vom Typ TOS.

Russland setzt in der Ukraine Clustermunition ein – das ist gesichert. Und angeblich auch thermobarische Waffen. Wegen der besseren Verständlichkeit werden sie als "Vakuumbombe" tituliert – denn unter dem Namen thermobarische oder Aerosol-Bomben kann sich niemand etwas vorstellen. Der Einsatz dieser Waffen ist nicht bestätigt, sie gehören in unterschiedlichster Ausprägung und Stärke zum russischen Arsenal, ein Einsatz ist also zumindest nicht unwahrscheinlich.

Wir stellen beide Typen vor. Eine kurze rechtliche Einordnung ihres Einsatzes folgt am Ende.

Streumunition – Wirkung in der Fläche

Was bedeutet Cluster-Munition? Oder Streumunition – so der deutsche Begriff. Gemeinsam ist allen Waffen, die unter diesen Begriff fallen: Der Gefechtskopf detoniert nicht in einer einzigen Explosion, so wie man es von Bomben und Granaten kennt. Kurz vor dem Einschlag zerlegt er sich und setzt die eigentlichen Kampfmittel frei. Die Bombe oder Rakete ist nur eine Art Sammelbehälter, in der dann wiederum zahlreiche Mini-Bömbchen (Bomblets) stecken. Sie verteilen sich wie ein Fischernetz über dem Zielgebiet und detonieren dann voneinander entfernt.

Wozu wird die Waffe eingesetzt? Gegen viele Ziel ist die Vernichtungswirkung größer, wenn die Explosion nicht von einem Zentrum ausgeht, sondern verteilt wird. So wird eine größere Fläche erreicht. Grob gesagt, wird Clustermunition meist gegen Ziele auf der Oberfläche verwandt, gegen Bunker ist die Wirkung gering. Derartige Streumunition ist nicht neu, sie gibt es seit dem 17. Jahrhundert. Verändert hat sich aber der Inhalt, der ausgestoßen wird. Der Kanister kann einfache Spreng-Bömbchen freisetzen, Minen oder auch intelligente Gefechtsköpfe, die sich gezielt auf Panzer und Fahrzeuge stürzen.

In der Ukraine wird einfache Cluster-Munition von Grad- und Smerchwerfern eingesetzt. Beides sind Salvengeschütze wie der Katuschja-Raketenwerfer aus dem Zweiten Weltkrieg, die sogenannte Stalinorgel. Eine Batterie dieser Waffen schickt in kurzer Zeit einen ganzen Schwarm von Raketen zum Ziel, darüber zerlegen sich dann die Dutzenden von Gefechtsköpfen in jeweils zahllose kleine Bomben. Gegen ungeschützte Stellungen sind diese Waffen besonders wirksam, auf freiem Feld zerstören sie alles, was sich in ihrem Vernichtungsradius befindet. Konvois und Ansammlungen von Fahrzeugen sind besonders gefährdet.

Neben der großen Fläche, die eine Salve abdeckt, gibt es weitere Eigenheiten. Die Explosionen erfolgen fast zeitgleich. Personen im Ziel können keine Deckung suchen, nachdem ein erster Einschlag sie gewarnt hat. Die Geschütze verschießen ihre tödliche Fracht sehr schnell und können dann sofort verlagern und so einem Gegenschlag des Gegners entkommen.

Katjusch in XXL: Smerch-Salvengeschütze
Katjusch in XXL: Smerch-Salvengeschütze
© Anton Novoderezhkin / Picture Alliance

Thermobarisch – Tod durch Hitze, Druck und Vakuum

Was sind Vakuumbomben? Russland baut im größeren Umfang als andere Länder sogenannte thermobarische Waffen. Sie unterscheiden sich in einem Punkt von "normalen" Bomben: Ein herkömmlicher Sprengstoff enthält den für die Explosion notwendigen Sauerstoff in fester Form. Die chemische Reaktion nimmt dann den Sauerstoff aus diesem Oxidator auf. Das ist einfach vorstellbar, nur so kommt etwa der Sauerstoff in eine luftdichte Patrone.

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Der konventionelle Aufbau hat viele Vorteile, aber einen Nachteil: Für jedes Gramm Explosivstoff muss auch in etwa ein Gramm Oxidator untergemischt werden. Eine thermobarische Waffe transportiert den Sauerstoff für die Detonation nicht gebunden als Pulver im Gefechtskopf mit, sondern zieht ihn aus der Umgebungsluft. Bei gleichem Gewicht wird eine etwa doppelt so große Explosionskraft erzielt. Diesen Effekt machen sich die Russen nicht allein bei besonders spektakulären Waffen zunutze. Selbst für tragbare Granatwerfer gibt es thermobarische Munition.

Doppelte Wirkung bei gleichem Gewicht ist nicht das einzige Unterscheidungsmerkmal, die Explosion selbst muss anders entwickelt werden. Ein herkömmlicher Sprengstoff kann in einem zentralen Punkt detonieren, das kann eine thermobarische Waffe nicht. Nur an einem Punkt würde sie nicht genug Sauerstoff finden, um komplett explodieren zu können. Sie würde in ihrer eigenen Explosion ersticken.

Vor der Detonation muss der Sprengstoff daher in einem weiten Feld wie ein Sprühnebel in der Luft verteilt werden, bevor er gezündet wird. An einem Beispiel kann man das demonstrieren: Entzündet man Benzin in einer Schüssel, jagt eine Stichflamme nach oben, danach brennt die Flüssigkeit ab. Verteilt man die gleiche Menge Benzin mit einem Gartensprühgerät in der Luft, zündet die gesamte Menge auf einmal und eine große Explosion ist die Folge. Bei einer kleineren Granate reicht es, ein Pulver vor der Zündung als Nebel auszustoßen. Wenn der Sprengsatz größer wird, muss die Verteilung und parallele Zündung intelligenter gelöst werden.

Hitze und Druckwelle

So eine Waffe wirkt nicht durch einen Splittermantel oder Ähnliches, sondern ganz allein von der Druckwelle, es ist also eine Minen-Explosion. Bei den starken thermobarischen Waffen sieht das so aus: Im Bereich, in dem der Nebel zündet, entsteht eine absolute Todeszone – Druck und Hitze töten jeden Menschen, den sie erreichen. Drüber hinaus breitet sich dann eine weite tödliche Druckwelle aus, auch im Umkreis werden Organe und Lungen zerstört. Die Druckwelle ist dabei so groß, dass im Zentrum ein Unterdruck entsteht – das Vakuum – daher schwingt die Druckwelle nach kurzer Zeit wieder zurück. Es gibt also zwei Druckwellen. Durch die Art der Zündung kann der Explosionsdruck gerichtet werden. Typisch ist, dass er stark auf den Boden wirkt, umso Bunker und Stellungen einzudrücken.

Stärkste Waffe dieser Art ist der "Vater aller Bomben" mit der Wirkung einer taktischen Atomwaffe. Ebenfalls bekannt und in der Ukraine unterwegs sind die TOS-Raketenwerfer, die in Russland schwere Flammenwerfer heißen. Sie kombinieren thermobarische Geschosse mit Clustermunition und einem Salvengeschütz. Das heißt, jeder Werfer startet eine Gruppe von Raketen, die über dem Ziel in verschiedene Explosivkörper zerfallen. Eine Batterie von TOS-Werfern kann in einer Salve eine Zone von 3,5 Kilometern Frontbreite und 400 Metern Tiefe komplett zerstören. Zur Einordnung: Vom Brandenburger Tor bis zum Alexanderplatz sind es 2,2 Kilometer.

Stellungen und Bunker bieten keinen Schutz. Die glühend heiße Druckwelle zerstört nicht nur die Befestigung, sie zerstört Lungen und Organe. Im Zentrum der Explosion sterben alle Menschen sofort. Außerhalb dieser Zone kommt es zu schwersten Verletzungen und Verbrennungen in den Bereichen, in denen die Welle abebbt.

Submunition eines Smerch-Werfers. Foto stammt nicht aus der Ukraine.
Submunition eines Smerch-Werfers. Foto stammt nicht aus der Ukraine.
© Valery Sharifulin / Picture Alliance

Was sagt das Völkerrecht?

Rechtlich sind beide Waffentypen umstritten. Hier muss man aber unterscheiden zwischen Einwänden gegen die Waffe an sich und ihrer konkreten Anwendung. Vorausgeschickt sei dies: Es ist sinnlos, umstrittene Einsätze von Waffen anderer Staaten aufzuzählen. Aber kurz zusammengefasst kann man sagen, dass alle kriegsführenden Staaten sehr großzügig darin sind, die eigenen Einsätze zu legitimieren. Bei den Einsätzen der Gegenseite dagegen sehr akribisch urteilen.

Cluster-Munition ist nicht völkerrechtlich verboten. Ähnlich wie bei Landminen gibt es internationale Anstrengungen, Clustermunition zu ächten. Über 100 Staaten – darunter auch Deutschland – haben bereits erklärt, auf diese Waffen verzichten zu wollen. Eine Ächtung ist kein Verbot. Der eigentliche Grund, Streumunition zu ächten, hat wenig mit ihrer eigentlichen Wirkung zu tun, sondern mit den Hinterlassenschaften. Die Bomblets werden billig in großer Menge hergestellt, sie explodieren nicht alle, sondern bleiben wie Minen im Gelände liegen und können noch nach Jahren Zivilisten töten.

Bei thermobarischen Waffen oder Vakuumbomben wird die tödliche Wirkung in allen Details geschildert, um sie so als besonders grausam erscheinen zu lassen. Etwa weil die zweifache Druckwelle die Lunge platzen lässt. Das ist richtig,  in diesen Details wirken andere Bomben nicht weniger grauenhaft.

Aber auch eine normale Bombe erzeugt diese Druckwelle – nur dass sie mehr Gewicht für die gleiche Explosionskraft benötigt. Es ist sinnlos, die Wirkung anderer Waffentypen wie Fleurette-Bomben – sie versprühen eine Wolke von Rasierklingen – minutiös zu schildern. Erinnert sei nur daran, welch ein besonders schrecklicher Tod Verschütteten bevorsteht, die verdursten oder von einem langsamen Brand erreicht werden. Und diese Toten gibt es beim Einsatz aller Sprengmittel.

Urbane Viertel nach der Eroberung im Nahen Osten 
Urbane Viertel nach der Eroberung im Nahen Osten 
© Oliver Weiken/ / Picture Alliance

Ungerichtete Wirkung

Thermobarische- und Clustermunition wie auch ungelenkten Bomben wird vorgeworfen, "unterschiedslos" jeden im Zielgebiet zu töten. Darum sei der Einsatz dieser Waffen generell verboten, wird dann gefolgert. Der Gedankengang ist wenig überzeugend. Jede Waffe mit größerer Zerstörungswirkung tötet unterschiedslos jeden, der das Unglück hatte, sich im sogenannten Killradius aufzuhalten. Das gilt bereits bei einem Artilleriegeschoss. Eine Standard-500-Kilogramm-Bombe hat einen Killradius von etwa 60 Metern und in einem weit höheren Umkreis kann es zu schweren und tödlichen Verletzungen kommen. Das allein unterscheidet die genannten Waffen nicht.

Richtig ist, dass die Todeszone bei thermobarischen Waffen und Clustermunition generell sehr groß ist. Aber auch von den Russen werden sie nicht gegen ein Punktziel wie ein Auto eingesetzt, sondern gegen größere Ziele wie Militärlager, Konvois oder Verteidigungsstellungen. Im Drohnenkrieg der USA musste man erkennen, dass auch der Einsatz von intelligenten Waffen mit chirurgischen Schlägen viele zivile Opfer fordert. In der Ukraine kommt hinzu, dass auch die Ukrainer Salvengeschütze benutzt. Mit fortlaufenden Kampfhandlungen dürften die Russen diese schweren Waffen der Gegenseite allerdings ausschalten.

Entscheidend ist die Umgebung

Das Problem entsteht nicht durch die Waffe an sich, sondern durch den Ort der Anwendung. Eine Ansammlung von Militärfahrzeugen auf offenem Grund darf immer angegriffen werden, eine Gruppe von Zivilisten auf der Straße nicht. Doch heute werden die Schlachten nicht mehr wie zu Zeiten Napoleons auf Feldern ausgetragen. Die Kämpfe finden inmitten von Zivilisten statt. Und das macht eine Einordnung schwer.

Das Kriegsrecht verbietet es, militärische Strukturen und Soldaten mit zivilen zu "mixen" – dennoch findet das statt. Teils, weil es kaum zu verhindern ist, teils aus Absicht. Natürlich nutzen Truppen auch Strom, Wasser, Handynetze. Unterlegene Verteidiger klammern sich an die urbanen Räume. Weil ihre Bebauung die Verteidigung begünstigt und weil die Anwesenheit von Zivilisten die Angreifer hindern soll, schwere Waffen einzusetzen. Ein fragwürdiges Kalkül.

Formal gehen die attackierenden Kräfte dann in aller Regel so vor: Sie erklären die Stadt zum Kampfgebiet und fordern alle Zivilisten auf, die Region zu räumen. Nach der klassischen Lehre hatten sie dann freie Hand. Heute hingegen müssten sie sich weiterhin daranhalten, nur möglichst geringe und verhältnismäßige Gewalt anzuwenden – doch was verhältnismäßig ist, wird jede kriegsführende Partei im eigenen Interesse entscheiden.

Recht hindert Militärmächte nicht

Rechtlich kommt man über ein Patt kaum hinaus. Der Einsatz von derartigen Flächenvernichtungsmitteln ist in Wohngebieten verboten. Aber: Es ist ebenso verboten, Luftabwehrgeschütze und Verteidigungsstellungen in Wohngebieten aufzubauen. Einfach gesagt: Wenn sich Truppen in einer Turnhalle versammeln, ist das Gebäude keine Schule mehr.

Letzten Endes lassen sich die Militärmächte von Zivilisten nicht davon abhalten, den Gegner zu bekämpfen. Für diese Erkenntnis reicht es, sich Bilder von Grosny und Aleppo, aber auch von Mossul und Falludscha nach der Eroberung anzusehen. Die Bewaffnung von Zivilisten so wie in der Ukraine geschehen, ist völkerrechtlich zudem mehr als heikel. Denn damit wird die Trennung von Kombattanten und Zivilisten mit Absicht komplett aufgehoben.

In der Ukraine haben die Invasionstruppen sowohl Kiew als auch Charkow nicht komplett eingeschlossen, damit die Zivilisten die Stadt verlassen können. Sobald die Truppen der zweiten Welle ihre Position erreicht haben, ist mit dem Sturm auf die Städte zu rechnen. Sollten sie verteidigt werden, ist weiter damit zu rechnen, dass diese Waffen massive Zerstörungen anrichten. Die Russen werden Verteidigungsstellungen in Gebäuden nicht mit Infanterie nehmen. Es ist zu befürchten, dass so viel Feuerkraft eingesetzt wird, bis aus den Häusern nur noch Schutthalden übrig sind.