Am Wochenende rollte ein alter T-54/55-Panzer auf eine ukrainische Stellung zu. Sein Ziel waren die ukrainischen Gräben an einer Baumreihe südlich von Marjinka, seine Aufgabe: sich dort in die Luft zu sprengen.
Bekannt wurde diese Technik durch den IS: Ein Fahrzeug wird randvoll mit Sprengstoff geladen, dann wird die Kabine des Fahrers mit improvisierten Panzerplatten geschützt. Der Fahrer versucht dann, die Position des Gegners zu erreichen, um sich und das Fahrzeug in die Luft zu sprengen. Diese Taktik adaptieren die Russen offenbar, wenn auch mit einer Fernsteuerung des Panzers und ohne Selbstmord-Fahrer. Kamikaze meint: Der Panzer sprengt sich in die Luft und nicht etwa der Fahrer.
Letzten Endes handelt es sich bei einem Sprengpanzer um eine Kamikaze-Drohne, die auf dem Boden und nicht in der Luft eingesetzt wird. Neu ist das nicht, im Mittelalter benutzte man brennende Pferdewagen für ähnliche Zwecke. Die ehemalige Deutsche Wehrmacht hat den Mini-Panzer Goliath entwickelt. Er wurde mit Drähten ferngesteuert und kroch auf eine Stellung des Gegners zu, um sich dort in die Luft zu sprengen. Zum ersten Mal kam er in der Schlacht um den Kursker-Bogen, der Operation Zitadelle, zum Einsatz. Es ist nicht die erste Parallele zwischen den aktuellen Kämpfen und der Schlacht aus dem Jahre 1943.
Wirkung durch Masse
Der Unterschied zwischen Goliath und dem russischen Panzer ist die schiere Größe. In einem alten Panzer oder Schützenpanzer lassen sich Ladungen von fünf Tonnen Sprengstoff und mehr unterbringen – eine ähnliche Größe wie bei den Lkw des IS. Kommt das Fahrzeug ins Ziel, ist die Wirkung fatal. Die Explosion reißt ein riesiges Loch in jedes Stellungssystem, im weiten Umkreis werden die Soldaten durch den Luftdruck der Explosion verletzt oder getötet. Andere stehen unter Schock. Wird ein Panzer professionell von Pionieren umgebaut, ist zu erwarten, dass diese die Panzerung an Front und Seiten schwächen, um eine optimale Wirkung der Explosion zu erzielen. Genau genommen ist es verwunderlich, dass SVBIED (Suicide Vehicle Borne Improvised Explosive Device, also Fahrzeuge, die eine Bombe transportieren, um damit Anschläge zu verüben) erst jetzt in der Ukraine eingesetzt werden. Beide Seiten verfügen im großen Maßstab über alte oder unbrauchbare Fahrzeuge und besitzen die Kenntnisse, eine derartige rollende Bombe zu perfektionieren.
Beim ersten Einsatz im Raum durch die Russen zeigten sich aber auch die Grenzen des Konzepts. Der Panzer lief auf eine Mine und blieb kurz vor der ukrainischen Linie liegen. Die Ukrainer vermuteten offenbar eine Falle und schickten keinen Trupp, um den Panzer zu untersuchen oder zu bergen. Sie zerstörten ihn mit einer Rakete. Zu sehen ist das unter anderem auf dem Pro-Kiew-Twitter-Account Calibre Obscura.
Kein Einzelfall
Es handelt sich um keinen Einzelfall. In der Nähe von Marjinka wurde ein alter T-54/55 präpariert, das russische Verteidigungsministerium hatte zuvor den Umbau und Einsatz eines erbeuteten gepanzerten Personentransporters vom Typ MT-LB in einem Video gezeigt. Das kleinere und flache Fahrzeug wurde Endse Februar von Pionieren mit 3,5 Tonnen präpariert. Sie machten sich die Aufgabe einfach und verzichteten auf jede Form der Fernsteuerung. Der Fahrer brachte den Transporter auf Kurs Richtung des Gegners, blockierte dann Gas und Lenkung und sprang aus dem Fahrzeug. Für Russland sollte es aber kein Problem sein, einen Fernsteuerset zu bauen, der zumindest Geschwindigkeit und Lenkeinschlag kontrolliert.
Sprengpanzer haben Probleme, eine stark befestigte Position zu erreichen, wenn sich der Einsatz auch optimieren würde. Etwa wenn der Panzer im Schutz von Rauchgranaten und begleitet von Niederhaltungsfeuer vorrückt. Gute Chancen hätten Sprengpanzer hingegen, wenn sie in Stellungen zurückgelassen werden, die die eigene Seite aufgibt oder im Gegenangriff, wenn der Gegner die neue Position noch nicht hat befestigen können.
Wirkung wie die größten Bomben
Das Besondere ist die Stärke der Explosion. Sie kann man nur mit den Minen des Ersten Weltkriegs vergleichen, als man Tunnel unter die Linie des Gegners trieb, um dann in der Tiefe enorme Mengen an Sprengstoff in die Luft zu jagen. Die russischen Gleitbomben, die den Ukrainern derzeit zusetzen, basieren meist auf einer Bombe mit 500 Kilogramm Sprengstoff. Ein Panzer kann fünf bis zehn Tonnen transportieren, wenn er vorher ausgeräumt wird. Bomben mit ähnlicher Wirkung werden nie oder nur äußerst selten eingesetzt.
Die Wirkung entspricht der amerikanischen "Mutter aller Bomben" oder dem noch mächtigeren "Vater aller Bomben" aus Russland. Derzeit wird heftig um kleine Dörfer gerungen. Wenn eine derartige Ladung optimal präpariert wird, würde ihre Explosion das ganze Dorf einebnen und die Verteidiger töten.
Experte nimmt verstärkten Einsatz an
Mick Ryan, ein ehemaliger australischer Generalmajor, der sich regelmäßig zum Kriegsgeschehen äußert, ordnet den Einsatz so ein. Er benutzt das korrekte Kürzel UCV – unbemanntes Kampffahrzeug.
"Es ist interessant, dass die Russen, nachdem sie das Schlachtfeld in der Ukraine mit Tausenden von autonomen Luftfahrzeugen überschwemmt haben, nun bodengestützte unbemannte Kampffahrzeuge einsetzen.
Und auch wenn sie langsam und leicht zu treffen sind, müssen sie mit so viel Sprengstoff nicht sehr nahe an die ukrainischen Streitkräfte herankommen, um Tod oder Zerstörung zu verursachen. Die Russen werden diesen Ansatz sicherlich weiter erproben und daraus lernen.
Der Einsatz von UGVs auf dem Schlachtfeld in der #Ukraine ist ein weiterer Aspekt der taktischen #Anpassung, den wir beobachten sollten. Der Einsatz von unbemannten Fahrzeugen, insbesondere bei risikoreichen Bodeneinsätzen, wird mit Sicherheit zunehmen."

Ganze Dörfer werden eingeebnet
Der Einsatz massiver Feuerkraft wirkt in dieser Form des Krieges entscheidend. Am Wochenende gelang es den Ukrainern, die kleine Ansiedelung Pjatychatky einzunehmen, um die seit Tagen gekämpft wurde. Aber offenbar waren die Russen auf den Verlust eingestellt. Sie sollen mehrere schwere Flammenwerfer vom Typ TOS 1A bereitgestellt haben und behaupten, die kleine Siedlung und die ukrainische Besatzung mit über 100 thermobarischen Raketen überschüttet zu haben. Auf Videos ist das Ergebnis zu sehen: Der Ort existiert nicht mehr. Aus den Unmengen von alten T-54 Panzern und ähnlichen Geräten lassen sich SVBIED "am Fließband" herstellen. Sie könnten in einem Schuppen in Frontnähe geparkt werden und in einer kritischen Lage zum Einsatz kommen.