Meinung Deutsche Universitäten dürfen nicht aus Angst Diskurse zensieren

Judenverfolgung
Das Museum wollte die Ausstellung über Judenverfolgung Anfang 2025 für eine Woche an der FU zeigen
© Jens Kalaene / DPA
Die Leitung der Freien Universität hat Angst, eine Ausstellung über Judenverfolgung zu zeigen. Sie fürchtet die Reaktionen. Und das ist erbärmlich. 

Soweit ist es also gekommen: In Deutschland wird eine Ausstellung nicht gezeigt, die sich mit Pogromen an Juden beschäftigt. Das National Holocaust Centre and Museum wollte "The Vicious Circle" in der Freien Universität Berlin zeigen. Die Ausstellung thematisiert Angriffe auf jüdische Gemeinden von der NS-Zeit bis in die Gegenwart – also auch das Massaker vom 7. Oktober 2023. Die Bilder sollten im Februar im Foyer der FU gezeigt werden. Daraus wird nun nichts. 

Die FU-Leitung lehnte die Ausstellung laut Presseberichten ab. Auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen teilte die Presseabteilung der Uni mit, dass das Foyer "kein geeigneter Ort für eine solche Ausstellung sei, die 'emotionale Reaktionen' hervorrufen könnte. Man befürchte 'intensive Debatten', die in einem öffentlichen Durchgangsraum womöglich nicht adäquat aufgefangen werden könnten."

Was für ein Armutszeugnis. 

Die Leitung der Uni, anders lässt sich die Absage kaum deuten, fürchtet die Auseinandersetzung. Sie hat Angst vor pro-palästinensischen Demos. Vor Shitstorms im Netz. Das ist feige, nein, es ist erbärmlich, besonders vor dem Hintergrund, dass es sich um eine Ausstellung über Judenverfolgung handelt. 80 Jahre nach dem Holocaust. Was für eine Blamage, auch international. 

Feige Universitäten sind keine guten Unis

Leider nicht der erste Fall, in dem eine deutsche Universität so feige ist. Kürzlich sagte die Universität Leipzig einen Vortrag des israelischen Historikers Benny Morris ab. "Wegen der aktuell aufgeheizten Debatte", wie die Rektorin erklärte. Man sorge sich um die Sicherheit der Referenten und Gäste. 

Und es sind nicht nur israelische Historiker, die gerade unerwünscht sind wegen der aufgeheizten politischen Lage. 2022 durfte die Biologin Marie-Luise Vollbrecht nicht an der Humboldt-Universität reden. Sie geht davon aus, dass es biologisch nur zwei Geschlechter gibt (selbst wenn, sollte uns das nicht davon abhalten, ein soziales, drittes Geschlecht zu schaffen, um die Lebenswirklichkeit von Menschen abzubilden). Auch hier wurden Sicherheitsbedenken vorgeschoben. 

Was ist bloß aus den Hochschulen in Deutschland geworden? Ausstellungen werden abgesagt, Vorträge gecancelt, ja sogar Gedichte von Fassaden geschrubbt, weil Studierende sie für sexistisch halten (Gomringers Gedicht "avenidas" verschwand nach Protesten von der Außenwand der Alice Salomon Hochschule). 

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Es geht um die Demokratie

Um es klar zu sagen: Es ist ein Unterschied, ob eine Fotoausstellung für die Biennale abgesagt wird, wie jüngst in Mannheim, oder ob sich eine Universität drückt. Universitäten sind die höchsten Bildungseinrichtungen des Landes. Hier wird geforscht, gelehrt, von hier aus werden Debatten losgetreten. Das ist gut so. Das dient der Forschung, der Lehre, dem gesellschaftlichen Diskurs, der Kunstfreiheit. Und es dient der Demokratie

Ja, die gesellschaftliche Stimmung ist seit einiger Zeit aufgeheizt. Gerade die Universitäten aber dürfen sich nicht drücken. Sie dürfen nicht – aus Angst – ideologisch geführte Debatten einseitig beschneiden. 

Sonst droht wie eins in der DDR, dass Universitäten keine freien Lehranstalten mehr sind, sondern Kaderschmieden für stromlinienförmige Sozialisten. Sehr gut nachzulesen in dem Buch "Zwischen Humor und Repression – Studieren in der DDR" von Rainer Jork und Günter Knoblauch. 80 Zeitzeugen kommen zu Wort. Die Prüfungen glichen eher einem Verhör und der Erforschung des "Bewusstseins", berichten sie.

Genau deshalb sollte die Leitung einer Uni nicht zu feige sein, Ausstellungen zu zeigen, unbequemen Rednern das Wort zu erteilen. Es geht um mehr als um ein paar abgesagte Veranstaltungen. Es geht um Meinungsfreiheit. Debattenfreiheit. Wissenschaftsfreiheit. Und um die Demokratie. Um die Sicherheit sollten sich die Unis nicht sorgen. Das macht in Deutschland ganz zuverlässig die Polizei.