Es waren Bilder, wie sie sich nur zum Saisonstart der Sommerferien bieten: Hunderte Reisende stauten sich Mitte Juli in Schlangen vor den Check-In-Schaltern und den Terminals des Hamburger Flughafens. Nur lag der Massenandrang zu Beginn der Sommerferien schon einen Monat zurück – und die Landebahnen waren leer. Abgesehen von einer Handvoll Aktivisten, die die Rollfelder im Namen des Klimas blockierten und damit den Sommerurlaub Hunderter Menschen verzögerten.

Es war nicht das erste Mal, dass sich die Klimaaktivisten auf Rollfeldern festklebten. Schon im November und Dezember 2022 verärgerten die Aktivisten damit Reisende und Flugbetreiber. Jetzt soll es Konsequenzen geben. Die Lufthansa fordert Geld, auch weitere Fluggesellschaften prüfen, ob sie Schadensersatz einfordern. Nur: Können sie die Letzte Generation einfach so verklagen? Was bedeutet das für den Klimaprotest und die Versammlungsfreiheit? Und kann die Letzte Generationen Beträge in Millionenhöhe bezahlen? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Worum geht es?
Am 13. Juli blockierten Klimaaktivisten der Letzten Generation für mehrere Stunden die Flughäfen in Hamburg und Düsseldorf. Dutzende Flüge fielen dadurch aus. Am Flughafen in Düsseldorf mussten 48 Flüge annulliert werden, zwei Flüge wurden umgeleitet, teilte ein Flughafensprecher auf stern-Anfrage mit. Dadurch hätten sich die Flüge bis in den Abend hinein verspätet. Bei der Lufthansa sollen es insgesamt 55 Flüge gewesen sein. Eurowings teilte dem stern mit, dass 45 Flüge an dem Tag gestrichen werden mussten. Bei einer vergleichbaren Aktion in Berlin seien es zehn gewesen. Bereits im November und Dezember hatten die Aktivisten mehrfach Rollfelder in verschiedenen Städten blockiert, darunter in der Hauptstadt.
In drei Fällen wurden Klimaaktivisten festgenommen, nachdem sie sich auf den Rollbahnen festgeklebt hatten. Die Polizei ermittelt gegen mehrere Personen. Die Lufthansa will jetzt Schadensersatz von der Letzten Generation einfordern.
Welche Fluggesellschaften fordern einen Schadensersatz?
Laut Lufthansa sollen die Ansprüche für alle Fluggesellschaften der Gruppe gelten, darunter Eurowings, Austrian Airlines und Swiss. "Eurowings beabsichtigt – wie auch alle anderen betroffenen Airlines der Lufthansa Group – Schadensersatzansprüche geltend zu machen"; teilte ein Eurowings-Sprecher dem stern mit. Auch Condor prüft Schadensersatzklagen "in Folge der Flughafen-Blockade in Düsseldorf und Hamburg", bestätigte eine Sprecherin auf Anfrage. Auch Tuifly prüft eine mögliche Forderung. Ob sie klagen werden, ließen die Unternehmen allerdings offen.

Ein Sprecher vom Flughafen Düsseldorf bezeichnete die Blockadeaktion als "klare Straftaten, auf die wir mit allen uns zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten reagieren". Zusätzlich zu den Schadensersatzforderungen hat der Flughafen Strafanzeige wegen "gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr, Störung öffentlicher Betriebe, Sachbeschädigung, Nötigung und Hausfriedensbruch" erstattet.
Können die Klimaaktivisten verklagt werden?
Das hängt davon ab, in welcher Rechtsform sie organisiert ist, sagte die Professorin für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht an der Universität Hamburg, Dörte Poelzig, dem stern. Weil aus den Angaben auf der Seite der Letzten Generation keine bestimmte Rechtsform erkennbar ist, sei davon auszugehen, dass es sich um einen nicht rechtsfähigen Idealverein oder eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts handelt. "In beiden Fällen könnte die Letzte Generation verklagt werden", sagte Poelzig.

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Können Reisende die Klimaaktivisten verklagen?
Reisende haben das Recht, bestimmte Klimaaktivisten zu verklagen. Das funktioniert aber nur dann, wenn die Personalien vorliegen, erklärte der Fachanwalt für Reiserecht, Hans-Joachim Blömke, "t-online". Diese können Reisende natürlich direkt bei den Aktivisten erfragen. Einfacher ist das aber auf der Straße, denn zu Rollfeldern haben Reisende in der Regel keinen Zutritt.
Allerdings können Reisende wegen Blockadeaktionen an Flughäfen nicht von ihrer Reise zurücktreten, sagt der Reiserchtler. Auch das Geld können sie nicht von den Fluggesellschaften zurückfordern, weil diese nicht für Ausfälle und Verspätungen verantwortlich sind.
Allerdings haben die Reisenden ein Recht darauf, dass sie mit alternativen Transportmitteln, entweder einem anderen Flug oder der Bahn ans Ziel gelangen. So sieht es die EU-Fluggastrechte-Verordnung vor. Und je nach Verspätung steht den Reisenden auch eine kostenlose Mahlzeit am Flughafen zu.

Wie könnten die Strafen aussehen?
Das bleibt bisher ungewiss. Würden die Aktivisten wegen gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr verurteilt, wie es ihnen der Flughafen Düsseldorf vorwirft, droht ihnen eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren. Allerdings gibt es nach Angaben der Staatsanwaltschaft Düsseldorf "keine zureichenden Hinweise auf einen gefährlichen Eingriff in den Luftverkehr". Denn das würde "eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Sachen von bedeutendem Wert voraussetzen", teilte die Staatsanwaltschaft der "Rheinischen Post" mit. Dies sei nach bisherigen Erkenntnissen nicht der Fall, weil Flugzeuge rechtzeitig umgeleitet wurden oder nicht gestartet seien.
Und wie teuer könnte es für die Letzte Generation werden? Auch das ist noch unklar – obwohl die Kosten anhand der betroffenen Flüge berechnet werden könnten. Laut dem Luftfahrtsachverständigen Stefan Hinners kämen pro gestörtem Flugzeug teilweise fünfstellige Beträge zusammen. Luftfahrt-Experte Gerald Wissel rechnet mit Beträgen von mehreren Millionen. "Da mussten Hotels für Passagiere gebucht werden, es entgingen Ticketeinnahmen, Ersatzflugzeuge mussten gefunden werden, andere Crews mussten eingesetzt werden, da kommt einiges zusammen", sagte er der "Rheinischen Post". Lufthansa und Düsseldorfer Flughafen halten sich auf stern-Nachfrage zu den möglichen Kosten bedeckt.
Die Letzte Generation äußerte sich zu den angekündigten Forderungen und Klagen bisher nicht. Auch für eine stern-Anfrage standen die Aktivisten nicht zur Verfügung. Sie seien damit beschäftigt, den Nachwuchs einzuarbeiten und weitere Proteste zu organisieren, hieß es in einer automatischen Antwort. Demnächst stehe eine Protestwelle in Bayern an – teilte die Letzte Generation in einer aktuellen Pressemitteilung mit.
Bedeuten mögliche Strafzahlungen das Ende der Letzten Generation?
Die Organisation finanziert sich eigenen Angaben zufolge größtenteils über Spenden. 2022 sollen so laut einem Transparenzbericht der Letzten Generation mehr als 900.000 Euro Spendengelder zusammengekommen sein. Zu den größten Geldgebern der Klimaaktivisten gehört der US-amerikanische Climate Emergency Fund. 535.000 Euro davon hat die Letzte Generation schon für Mieten von Veranstaltungsräumen, Wohnungen für Demonstranten und Autos ausgegeben. Für Material wie Sekundenkleber, Plakate und Warnwesten gab die Organisation weitere 100.000 Euro aus. Bleibt ein Restbudget von über 380.000 Euro.

Heribert Hirte, Professor für Zivil-, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht an der Universität Hamburg, hält es für unwahrscheinlich, dass Schadenersatzforderungen erfolgreich durchgesetzt werden. "Denn wer kein Vermögen hat, kann auch nichts zahlen. Da kann es sogar passieren, dass die Kläger bei einem erfolgreichen Urteil auf allen Kosten sitzenbleiben", sagte er dem stern.
Wie erfolgreich könnten die Klagen der Airlines werden?
Das ist unter Juristen umstritten. Bisher gibt es kein Grundsatzurteil in vergleichbaren Fällen. Gerichte verurteilten die Klimaaktivisten zuletzt wiederholt wegen Nötigung. Ob Schadensersatzzahlungen fällig werden, hängt unter anderem davon ab, ob die Aktivisten mit einem Flugticket auf die Rollfelder gelangten, etwas beschädigt haben, rechtswidrig in den Gewerbebetrieb der Airlines oder Flughäfen eingegriffen oder vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt haben, zählte Poelzig auf.
Gerichte müssten dabei abwägen zwischen der Eigentumsfreiheit von Flughäfen und Airlines und der Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Letzten Generation. Ähnlich umstritten ist die Frage, ob der Zweck die Mittel rechtfertigt: Also ob das Ziel Klimaschutz die Sittenwidrigkeit ausschließen kann, erklärte Poelzig. "Wie die Gerichte urteilten sollten, hängt letztlich vom Einzelfall und den konkreten Tatsachen ab und lässt sich daher nicht pauschal beantworten."
Quellen: ZDF, WDR, "t-online", "Rheinische Post", Transparenzbericht Letzte Generation, mit Material von DPA und AFP