Meinung Koksende Politiker: Die Empörung ist heuchlerisch – solange alle Alkohol trinken

Der SPD-Politiker Manuel Gava
Manuel Gava (SPD) hat sich als Kokser geoutet und zieht sich aus der Politik zurück
© Christoph Soeder / dpa
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Manuel Gava hat seinen Kokainkonsum eingestanden und verabschiedet sich aus der Politik. Dabei hätte er eine zweite Chance verdient.

Um es vorweg zu sagen: Ich verstehe von Drogen leider mehr, als mir lieb ist. Nicht, weil ich selbst je welche genommen hätte – abgesehen von dem Gläschen nach Feierabend. Ich habe meinen Bruder Uwe durch Heroin verloren. Seine Sucht fing im Teenageralter an. Mit Alkohol. 

Ich hasse Drogen.

Nun verzichtet der Bundestagsabgeordnete Manuel Gava (SPD) auf eine weitere Kandidatur für den Bundestag. Er hat eingeräumt, Kokain konsumiert zu haben – nach eigener Aussage über mehrere Monate von Sommer bis Ende 2023. Gava war in seiner Partei bereits aufgefallen, weil er wichtige Termine verpasste und selten im Bundestag zu sehen war. Er selbst begründete seinen Rückzug mit "gesundheitlichen Gründen". 

Es steht die Frage im Raum, ob Gava tatsächlich auf seine erneute Kandidatur verzichtet hätte, wenn er sich nicht dazu gezwungen gesehen hätte, seinen Drogenkonsum öffentlich einzugestehen. Offenbar reagierte er damit auf entsprechende Recherchen der "Neuen Osnabrücker Zeitung" und des "Tagesspiegel".

Manuel Gava fällt der Heuchelei zum Opfer

Gava ist nicht der erste Politiker, der gehen musste, nachdem er als Konsument illegaler Drogen geoutet wurde. Ein prominenteres Beispiel ist Volker Beck von den Grünen. Er war das innenpolitische Sprachrohr der Partei und hatte einen maßgeblichen Anteil daran, dass gleichgeschlechtliche Paare heute heiraten dürfen. Er setzte sich dafür ein, dass Opfer des Nationalsozialismus entschädigt wurden. Dafür wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. 

Das war alles nichts mehr wert, als er im März 2016 mit 0,6 Gramm Crystal Meth erwischt wurde. "Grüner mit Hitlerdroge erwischt", titelte die "Bild". Becks Parteikollege Winfried Kretschmann, Ministerpräsident in Baden-Württemberg, warf ihm "schweres Fehlverhalten" vor. Die Sache endete mit einer Geldauflage von 7000 Euro. Die Grünen wählten Beck nicht mehr auf ihre Landesliste. Seine Bundestagskarriere war damit zu Ende.

Dass Politiker gehen müssen, weil sie illegale Drogen genommen haben, ist allerdings heuchlerisch. Denn tatsächlich ist doch Alkohol die gefährlichste Droge der Welt. Alle zwölf Sekunden tötet Alkohol einen Menschen auf der Erde. Der Alkoholkonsum von rund acht Millionen Menschen in Deutschland, die zwischen 18 und 65 Jahre alt sind, ist gesundheitlich riskant. Über 14.000 Menschen sterben jährlich an Krankheiten, die auf ihren Alkoholkonsum zurückzuführen sind. Schätzungen gehen davon aus, dass über 40.000 Menschen früher sterben, weil sie zu viel Alkohol trinken. 57 Milliarden Euro kostet schädlicher Alkoholkonsum das Land. Pro Jahr.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Forscher der Universitäten Dresden und Karlsruhe haben kürzlich in einer Studie nachgewiesen, dass Alkohol mit Abstand die tödlichste Droge ist, und zwar noch vor Heroin, Kokain und Nikotin. Inzwischen hat das auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verstanden. Im August schreib er auf "X" über Studien, die inzwischen immer klarer zeigten, "dass das Krebsrisiko schon mit dem ersten Glas Alkohol steigt". Zu Weihnachten 2022 hatte er noch die gesundheitlichen Vorteile eines Glases Wein gelobt. Als "Weinliebhaber" bezeichnet er sich noch immer. 

Willkürliche Grenze zwischen legalen und illegalen Drogen

Alkohol sorgt für gute Laune und hilft beim Runterkommen. Da ist es durchaus verständlich, dass gerade Politiker und Politikerinnen, deren Job der reine Stress ist, daran Gefallen finden. Aber ist es dann so viel weniger verständlich, wenn sie zu anderen Drogen greifen? 

Man kann es auch so sehen: Während Lauterbach Rotwein trinkt, hat Gava weißes Pulver geschnupft. Der Gesundheitsminister bevorzugt eine legale Droge, die der Staat verkauft und an der er allein 2023 mehr als zwei Milliarden Euro verdiente. Gava hat eine illegale Droge konsumiert, auf die natürlich keine Steuer erhoben wird. So weit, so unterschiedlich. 

Nur: Die Grenze, die legale von illegalen Drogen trennt, ist irrational. 

Die nach Alkohol zweitgefährlichste Droge der Welt ist Tabak. Jährlich sterben laut Bundesgesundheitsministerium 127.000 Menschen an den Folgen ihres Tabakkonsums. Trotzdem sind Alkohol und Tabak legal. Kokain ist es nicht. Cannabis war bis vor Kurzem illegal und wird es nach der nächsten Bundestagswahl vielleicht wieder.

Kriminalisierung ist gescheitert

Drogen, ob legal oder illegal, sind gefährlich: Cannabis schädigt das Hirn. So wie Crystal Meth. Kokain macht psychisch abhängig und kann das Herz schädigen. Um nur zwei der Folgen zu nennen. Aber zu dem Problem, dass die Grenze zwischen legalen und illegalen Drogen willkürlich verläuft, kommt ein zweites mindestens genauso gewichtiges: Die Kriminalisierung von Konsumenten illegaler Drogen ist gescheitert. 

Die Kriminalisierung hat den Konsum nicht eingedämmt, sondern viele Menschen unglücklich gemacht. Und zwar vor allem junge Leute: Sie mussten in den Knast, verloren ihren Job, bekamen keine neue Arbeit – und ihr Leben nicht mehr auf die Reihe. Auch weil sie von jenen geächtet und bestraft werden, die am Abend Rotwein trinken und Zigaretten rauchen. Rund 500 Millionen werden pro Jahr für die Strafverfolgung von Drogenkonsumenten ausgegeben – nur ein Zehntel davon für die Prävention. Das ist ein Hohn. Man hilft niemandem, indem man ihn abstraft, weil er eine Droge nimmt, die der Staat nicht im Angebot hat.

Und was bedeutet das alles für den Fall des Bundestagsabgeordneten Gava?  Er sollte sich in Therapie begeben. Und dann bitte in die Politik zurückkehren. Um Drogenpolitik zu machen.