Silvio S. "Die Todesursache ist gewaltsames Ersticken. Das ist sehr qualvoll."

Dies ist der Tag der Gerichtsmediziner im Prozess gegen Silvio S., der Mohamed und Elias ermordet haben soll. Der Angeklagte schweigt - und hält sich die Ohren zu, als von Grausamkeit berichtet wird.

 Soll man Mitleid haben? Nicht nur mit den Opfern - kleinen Kindern, die ihr Leben noch gar nicht gelebt hatten. Sondern auch mit ihm? Mensch kann man es kaum noch nennen, was da auf der Anklagebank kauert, allenfalls ist es noch ein Häufchen Mensch, was von Silvio S. übrig geblieben ist. Abgemagert sitzt er da, in grauem T-Shirt und Jeans, die am Körper schlottern. Fast den ganzen Tag über senkt er den Kopf, immer tiefer, und irgendwann scheint es so, als würde er gleich mit der Stirn das hölzerne Pult vor ihm berühren.

Der Druck auf Silvio S. steigt, jeden Tag mehr, unerbittlich. Der Mann, der im Polizeiverhör gestanden hat, die Kinder Elias (6) und Mohamed (4) aus Potsdam und Berlin entführt und umgebracht zu haben, dieser Mann schweigt vom ersten Tag an im Saal 8 des Landgerichts Potsdam, wo ihm der Prozess gemacht wird. Aber so will man ihn nicht davonkommen lassen. Nicht ohne ein Wort zu den entsetzlichen Verbrechen, die ihm zur Last gelegt werden.

Kein Wort, kein Blickkontakt

Der Gerichtsmediziner Michael Tsokos spricht gerade über die Möglichkeit, bei einem Kind durch einen mit Chloroform getränkten Lappen den Erstickungstod herbeizuführen. "War’s denn so, Angeklagter?" ruft unvermittelt Staatsanwalt Peter Petersen zum nur wenige Meter entfernt sitzenden Angeklagten herüber.

Der Anwalt der Opferfamilie des Mohamed, Andreas Schulz, meldet sich zu Wort: "Ich möchte die Anregung des Staatsanwaltes aufgreifen, ob der Angeklagte das hier irgendwie kommentieren möchte, er hat ja eben mehrmals für alle erkennbar mit dem Kopf geschüttelt."

Der Vorsitzende Richter, Theodor Horstkötter setzt nach: "Bitte vielleicht nochmal Blickkontakt mit mir aufnehmen, Herr S.. Sie müssen hier keine Angaben machen. Aber Sie haben hier natürlich auch die Möglichkeit, Entlastendes mitzuteilen und einen aufklärenden Beitrag zu leisten. Können Sie sagen, wie es letztendlich war? Ich will Sie daran nur noch mal erinnern."

Nur noch das "Täterwissen" gehört ihm

Der psychiatrische Gutachter Professor Matthias Lammel sagt: "Ich weiß, dass es Herrn S. schwerfällt, selbst wenn er es wollte, hier zu reden. Ich kann am Donnerstag nochmal zu ihm fahren, zu einem Gespräch, wenn er es will. Aber dann müsste mich die Information dazu noch heute erreichen."

Silvio S. aber sagt kein Wort. Sicher, weil ihm seine Anwälte aus prozesstaktischen Gründen dazu geraten haben. Vielleicht aber auch, weil er das Gefühl hat, dass er hier schon genug entblößt wurde. Das, was er vor allem über den immer noch nicht ganz aufgeklärten Tod des kleinen Elias weiß, ist "Täterwissen", wie die Kriminalisten sagen. Es ist eigentlich das Letzte, was nur ihm gehört. Ihm ganz allein.

Denn ansonsten wissen die Prozessbeteiligten inzwischen alles über diesen Menschen. Mit einer 360-Grad-Sphärenkamera haben die Ermittler sein Wohn- und sein Schlafzimmer abfotografiert, die Bilder wurden groß an die Wand des Gerichtssaales projiziert. Man sah seine Mülltüten, seine Unterhosen, die Kinderpuppen, die er gesammelt und die Kondome, die er benutzt hatte - alles. Die Prozessbeteiligten wissen, dass er ein Sparbuch hatte und einen Riester-Vertrag, dass er per Mail Werbung von "Obi" bekam und, dass sein PKW "Dacia Lodgy, weiß" auf Pump finanziert war: 58 Raten zu 149 Euro, 3000 Euro Anzahlung. Sie wissen auch, dass er Stunden nach dem Mord an Mohamed bei "Penny" Butterkekse kaufte und bei "Norma" Katzenstreu gegen den Leichengeruch. Und wie viel Wechselgeld er dabei zurückbekam.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?

Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.

Die Spuren müssen sprechen

Aber sie wissen vor allem im Fall Elias zu wenig: Wie er den Jungen in einem Neubaugebiet von Potsdam-Schlaatz ganz in der Nähe der elterlichen Wohnung zum Mitkommen überredete und wie er ihn umbrachte.

Jetzt müssen die Spuren sprechen, daher ist dies der Tag der DNA-Gutachter und der Gerichtsmediziner. "Zelluläre Anhaftungen" und "Sekretspuren" hat Silvio S. reichlich hinterlassen, an der Kleidung der Opfer, an Kabelbindern, Masken, Knebeln, Gürteln. Im Gericht kommt es zu bizarr anmutenden Dialogen. "War die Spermasubstanz in allen Kondomen eingetrocknet, die sie untersucht haben?" will der Richter wissen. "Nein, in einem nicht", antwortet die DNA-Gutachterin.
Schließlich der Auftritt der Gerichtsmediziner, die Elias und Mohamed untersucht haben. Beiden Kindern wurde die Schlafmittelsubstanz Diphenhydramin verabreicht, Elias vermutlich zusätzlich noch Chloroform - wohl um sie wehrlos und gefügig zu machen. Bei beiden Kindern haben die Mediziner als Todesursache Ersticken ermittelt, bei Mohamed durch Strangulation, höchstwahrscheinlich mit einem Gürtel. Und: Beide Kinder wurden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sexuell missbraucht.

Stundenlang geht es um "Fäulniszustände", Magen- und Darminhalte, "Strangmarken", "fleckförmige Einblutungen" und die "Kompression der Halsweichteile".

Silvio S. hält sich die Ohren zu

Im Fall Elias ist der genaue Tathergang relativ schwer zu rekonstruieren, Details dazu hat Silvio S. im Geständnis nicht offenbart, und die Leiche war schlechter erhalten als die von Mohamed. Michael Tsokos, Deutschlands bekanntester und wohl auch renommiertester Gerichtsmediziner, wirft alles in die Schlacht, um Silvio S. des Mordes zu überführen. Ein Mundknebel spielt eine Rolle, eine Maske und ein sogenannter "stif neck", eine Art Halskrause, die eigentlich zur Behandlung von Halswirbelverletzungen verwendet wird und den Kopf fixiert.

"Die Todesursache ist gewaltsames Ersticken", sagt Tsokos. Und auf Nachfrage des Richters ergänzt er: "Das ist etwas, das mehrere Minuten dauern kann. Das ist etwas, was lange dauert und sehr qualvoll ist."

Silvio S. hält sich die Ohren zu.

Abräumen der Asservate, darunter die Kinderpuppe

Dann werden ihm die Handschellen angelegt und er wird herausgebracht. Zwei Mitarbeiter packen die seit Tagen im Saal 8 ausgestellten Gegenstände, die bei Silvio S. gefunden wurden, auf Aktenwagen der Staatsanwaltschaft: die gelbe Plastikwanne, in der die Leiche von Mohamed geborgen wurde, die große Kinderpuppe mit den Kulleraugen, an der Silvio S. den Missbrauch von Kindern geübt haben soll. Auch eine Kinderjeans und ein Paar Kinderschuhe, Größe 27. Und einen lustigen dreinblickenden kleinen Stoff-Elch zum Knuddeln.

Eine Tür geht auf, die Asservate rollen heraus. Dann ist alles vorbei. Draußen im Hof des Landgerichts scheint die Sonne. Alles wirkt jetzt wie ein böser Traum.

Aber es ist kein böser Traum. Am kommenden Montag beginnt um 9.30 Uhr der nächste Verhandlungstag.