Einen knappen Monat kein Essen und Trinken, kein Sex, kein Rauchen - zumindest nicht, solange die Sonne scheint. Seit dem 16. Mai begehen Muslime aus aller Welt den Fastenmonat Ramadan. Noch bis zum 14. Juni wird tagsüber gefastet. Ramadan gilt als heiliger Monat im islamischen Mondkalender und dauert in der Regel 29 bis 30 Tage, von Beginn der Morgendämmerung (aktuell gegen 4 Uhr) bis zum Sonnenuntergang (etwa 21.15 Uhr). Erst im Anschluss wird das Fasten, oft gemeinsam mit Familie und Freunden, bei der sogenannten "Iftar", gebrochen. Viele Muslime wollen während des heiligen Monats zu innerer Ruhe finden und Gott näher kommen.
In den vergangen Tagen haben drei Muslime im stern berichtet, wie sie Ramadan in Deutschland feiern. Im vierten Teil wird die Perspektive gewechselt: Thomas* (Name von der Redaktion geändert), 29, zog vor einigen Monaten nach Katar. Er arbeitet dort als Projektmanager und erlebt derzeit, wie sich in der Fastenzeit ein ganzes Land verändert. Die Menschen arbeiten weniger, der Verkehr bricht teilweise zusammen und trotz des Fastens nehmen viele zu.
+++ Lesen Sie im ersten Teil unserer Gesprächsreihe, warum Salih blöde Sprüche kränken. Im zweiten Teil erzählt Rukiye, wie sie Ramadan mit ihren zwei Kindern feiert. Und in Teil 3, wie Gastronom Gürkan gegen die Versuchung kämpft. +++
Der stern protokolliert das Gespräch im Wortlaut:
Thomas, 29, aus Deutschland: "Ich schleiche mich zum Essen in den Keller"
"Mit dem Ramadan kam ich das erste Mal eher zufällig in Kontakt: Ich saß in einem Restaurant in Hamburg, das menschenleer war. Als die Sonne unterging, wurde es schlagartig voll. Erst nach ein paar Minuten begriff ich, warum. In Katar, wo ich seit einigen Monaten lebe, ist das völlig anders: Hier haben die Restaurants, Cafes und Kantinen während des Ramadans vor Sonnenuntergang gar nicht geöffnet.
Die Fastenzeit beherrscht derzeit das ganze öffentliche Leben. Auch das von Nicht-Muslimen wie mir. Ich arbeite in einem kleinen, international geprägten Unternehmen, auf unserer Büro-Etage befinden sich viele Start-ups. Trotzdem schleiche ich mich zum Essen und Trinken immer heimlich in den Keller oder die Waschküche. Denn wer in der Öffentlichkeit isst, riskiert Strafen. Ich verzichte aber nicht aus Angst auf das öffentliche Essen, sondern aus Respekt vor meinen Mitmenschen. Neulich waren wir zu einem Meeting außerhalb der Stadt verabredet. Die Fahrt dauerte fünf Stunden, es gab keine Getränke und das bei 35 Grad Außentemperatur - das war sehr belastend.
Das Leben verschiebt sich in die Abend- und Nachtstunden
Während des Ramadan tickt das ganze Land anders: Normalerweise arbeitet man in Katar 48 Stunden pro Woche. In meiner Firma sinkt die Arbeitszeit nun auf sechs Stunden am Tag, in vielen Ministerien sind es sogar nur fünf Stunden. Aber wirklich produktiv sind einige Menschen trotz der kürzeren Arbeitszeit nicht. Das Leben verschiebt sich in die Abend- und Nachtstunden. Shoppen kann man nur begrenzt, denn die Läden sind nur früh morgens geöffnet und dann wieder von 20 Uhr bis 2 Uhr morgens. Supermärkte sind jedoch in der Regel durchgehend geöffnet.

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?
Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.
Den Ramadan bekommt man auch im Straßenverkehr zu spüren: In Katar sind die Straßen in der Regel rund um die Uhr voll. Jetzt ballt es sich kurz vor neun Uhr morgens, wenn die Ministerien öffnen. Und zur Feierabendzeit dasselbe Spiel noch einmal. Dazwischen sind die Straßen wie leergefegt, obwohl Kataris gerne schnelle und große Autos fahren. Man merkt, dass die Menschen jetzt nachmittags viel unkonzentrierter sind. Ständig schneidet mich jemand im Straßenverkehr, überall wird gedrängelt. Es ist stellenweise richtig gefährlich! Meine Freundin sagt immer scherzhaft, die Kataris fahren ihre Autos so, wie sie früher Kamele geritten sind.
Während der Fastenzeit gibt es die meisten Krankenhausaufenthalte, weil die Patienten zu viel gegessen haben
Am ersten Tag des Ramadan waren alle schlecht gelaunt, weil sie weniger schlafen. Und obwohl sich jeder vornimmt, abzunehmen, werden die meisten sogar dicker! Während der Fastenzeit gibt es die meisten Krankenhausaufenthalte, weil die Patienten zu viel gegessen haben. Kinder können übrigens fasten, müssen es aber nicht. Viele Teenager in der High School nutzen deshalb den Ramadan als Ausrede, um nicht in die Schule zu müssen.
Auch abseits des Ramadan ist Katar ein absurdes Land, an das man sich erst gewöhnen muss. Es ist sehr modern, überall stehen stylische Hochhäuser, die in Rekordzeit entstehen. Die Türme und Hotels sprießen nur so aus dem Boden. Das ganze Land ist unfassbar reich, jeder Katari ist eigentlich Millionär. Viele wohnen in Riesenvillen, vor der Einfahrt stehen große Autos. Ein Nissan Patrol ist hier eher ein kleines Stadtauto. Für die Menschen hier zählt der Eindruck: Es wird viel Geld verprasst, wenn man damit glänzen kann.
Auf der anderen Seite sind die einfachen Arbeiter, die in Baracken wohnen und die vom Reichtum nichts abbekommen. Die Gesellschaft hier hat ein klares Ranking nach Nationalitäten: Entsprechend ist bei einigen Jobs das Gehalt an die Herkunft gekoppelt. Sprich: Ein westlicher Arbeiter verdient für die gleiche Tätigkeit mehr als andere. Das mag ungerecht sein, ist hier aber völlig normal.
Man muss viel Geduld haben und immer auf die Ehre des Gegenübers achten
Auch die Mentalität ist eine völlig andere. Deutsche kommunizieren effizient, das heißt kurz und prägnant. Hier redet man viel, ohne auf den Punkt zu kommen. Man muss viel Geduld haben und immer auf die Ehre des Gegenübers achten. Das ist ganz wichtig. Und alles funktioniert über Beziehungen.
Während des Ramadan geht es vor allem darum, schlechte Angewohnheiten zu vermeiden. Dazu gehört nicht nur rauchen, sondern auch fluchen – und auch Sex während des Tageslichts ist verboten. Viele Kataris versuchen auch freundlicher zu sein. Beispielsweise schenken sie in der Zeit des Ramadan den Arbeitern Essen als Zeichen des guten Willens.
Wenn du mich fragst, ob alle Muslime nach den strengen Regeln des Fastens leben, würde ich sagen: vermutlich nicht. Aber fasten alle Christen während der Fastenzeit vor Ostern?"
* Die Redaktion hat den Namen geändert, um Thomas' Identität zu schützen. Er fürchtet durch seine offene Schilderung, die niemanden ungewollt verletzen oder diskreditieren soll, berufliche Konsequenzen.