Einen knappen Monat kein Essen und Trinken, kein Sex, kein Rauchen - zumindest nicht, solange die Sonne scheint. Seit dem 16. Mai begehen Muslime aus aller Welt den Fastenmonat Ramadan. Noch bis zum 14. Juni wird tagsüber gefastet. Ramadan gilt als heiliger Monat im islamischen Mondkalender und dauert in der Regel 29 bis 30 Tage, von Beginn der Morgendämmerung (aktuell gegen 4 Uhr) bis zum Sonnenuntergang (etwa 21.15 Uhr). Erst im Anschluss wird das Fasten, oft gemeinsam mit Familie und Freunden, bei der sogenannten "Iftar", gebrochen. Viele Muslime wollen während des heiligen Monats zu innerer Ruhe finden und Gott näher kommen.
Der stern hat mit drei Muslimen gesprochen, die Ramadan in Deutschland feiern. Salih, 29, ist in Berlin aufgewachsen und lebt in der Gemeinde Villingen-Schwellingen (Baden-Württemberg). Er arbeitet in der Automobilbranche, hat türkische Wurzeln und fastet aus Überzeugung. Während des Fastens tankt er durch die Enthaltsamkeit Kraft. Der stern erreicht Salih in seiner Mittagspause. "Das trifft sich ganz gut", sagt der 29-Jährige am Telefon, "ich wollte gerade spazieren gehen."
Der stern protokolliert das Gespräch im Wortlaut:
Salih, 29, in der Automobilbranche aus Villingen-Schwenningen: "Der Ramadan bedeutet mir sehr viel und ist mir sehr wichtig"

"Da ich sowieso nichts essen darf, verbringe ich meine Mittagspause mit anderen Dingen. Wenn das Wetter gut ist, dann gehe ich gern spazieren - wenn nicht, bleibe ich einfach im Büro und lese etwas. So komme ich auf andere Gedanken und kann den Tag Revue passieren lassen.
Ich mache den Ramadan sozusagen von vorne bis hinten mit, also eigentlich ohne Ausnahmen. Nur wenn ich auf Dienstreise gehe und längere Strecken im Auto zurücklegen muss, setze ich das Fasten aus und hole es an einem anderen Tag nach. Ausnahmen, wie diese, sind im Ramadan erlaubt. Demnächst habe ich einen Termin beim Zahnarzt, auch da werde ich den Ramadan kurz unterbrechen und später nachholen. Wahrscheinlich an einem Wochenende nach dem Fastenmonat.
Mir bedeutet der Ramadan sehr viel, er ist mir sehr wichtig und ich lege großen Wert darauf. Einige meiner Kollegen konnten das leider nicht verstehen. Als der Fastenmonat begann, haben mich viele bemitleidet, dass ich nichts essen und trinken darf. Auch der ein oder andere Witz wurde auf meine Kosten gemacht. Von wegen: 'Salih, ich mache mal das Licht aus, dann kannst Du heimlich etwas essen.'" Diese Sprüche kränken mich, aber sie sind zum Glück nicht der Regelfall - die meisten finden eher interessant, was ich da mache.
Da ich den Ramadan aus religiöser und persönlicher Überzeugung feiere, fällt mir das Fasten auch gar nicht so schwer. Zugegeben: Die ersten zwei bis drei Tage sind hart, weil sich der Körper noch an die Enthaltsamkeit gewöhnen muss. Aber dann blende ich das Hungergefühl eigentlich komplett aus. Es stört mich nicht, wenn Kollegen neben mir etwas essen. Insgesamt ist es für mich sehr schön, diesen einen Monat im Jahr enthaltsam zu leben.
Warum? Man lebt ruhiger. Ich bin zwar kein Mediziner, aber ich glaube, dass der Körper dadurch effizienter arbeitet. Ich versuche während des Ramadans meine Energie auf das Wesentliche zu konzentrieren und lege zusätzlichen Wert darauf, wie es während des Fastenmonats gewünscht ist, schlechte Taten zu vermeiden. Kurz gesagt: Ich konzentriere mich auf die schönen Dinge im Leben. Das ist ein sehr erfüllendes Gefühl.
Außerdem kann ich mich den ganzen Tag auf das sogenannte 'Iftar', das Fastenbrechen, freuen. Nicht nur, weil ich dann etwas essen und trinken kann. Ich freue mich vor allem, mit meiner Frau - die ebenfalls Ramadan feiert - gemeinsam das Fasten zu brechen. Normalerweise esse ich in der Kantine, ebenso wie meine Frau an der Universität, an der sie arbeitet. Durch den Alltagsstress und die dadurch oft resultierenden unterschiedlichen Essgewohnheiten kommt es immer seltener vor, dass wir abends gemeinsam etwas essen. Während des Ramadans ist das anders. Wir kochen zusammen, laden Freunde und Familie ein und brechen gemeinsam das Fasten. Ein wirklich schönes Zusammenkommen, das im Alltag leider oft zu kurz kommt.
Auch ein tolles Gefühl: diese Wertschätzung für Lebensmittel. Durch den Umstand, dass ich fast den gesamten Tag über nichts zu mir nehme, entwickle ich ein ganz anderes Verhältnis zu Lebensmitteln. Ich merke, wie wichtig allein Wasser für den Körper ist und wie abhängig wir davon sind. Dieses Gefühl führt mir auch vor Augen, wie es ärmeren Menschen gehen muss, die kaum bis keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Das 'Iftar', also das Fastenbrechen, beginne ich daher meistens mit einem Glas Wasser. Oder ganz klassisch mit einer Dattel, so wie schon der Prophet Mohammed.
Damit ich tagsüber nicht vom Stuhl falle, stehen meine Frau und ich rechtzeitig vor dem Fastentag auf - also vor der Morgendämmerung, so gegen halb drei Uhr morgens. Dann essen wir, wenn wir vom 'Iftar' nicht immer noch satt sind, ein kleines Frühstück. Ich versuche dann vor allem viele Vitamine und Flüssigkeit zu mir zu nehmen - etwa, indem ich Früchte, Gurken oder Tomaten esse. Nach der kleinen Stärkung legen wir uns wieder schlafen. Da kann der Körper schon durcheinander kommen, aber es hilft.

Das große Highlight ist natürlich das Id al-Fitr. Das Fest des Fastenbrechens am Ende des Ramadan feiern wir im engsten Kreis der Familie und mit Freunden. Ich werde mir an diesen Tagen frei nehmen und nach Berlin zu meinen Eltern fahren. Es ist üblich, dass man sich zu diesem Anlass bei den ältesten in der Familie trifft - da meine Großeltern in der Türkei Ramadan feiern werden, sind das in diesem Jahr meine Eltern. Am Tag des Id al-Fitr werden mein Vater und ich früh aufstehen und in die Moschee gehen, um zu beten. Meine Frau und meine Mutter werden zu Hause bleiben und das Frühstück vorbereiten. Es wird türkischen Tee geben, viele Teigwaren und viel Süßes - nicht zuletzt ist das Id al-Fitr daher auch als Zuckerfest bekannt. Im Anschluss werden wir die Familie meiner Frau besuchen und dort Ramadan feiern. Wir werden den gesamten Tag essen und es uns gut gehen lassen. Sozusagen als Gemeinschaft. Es wird bestimmt schön und ich freue mich darauf.
Zwar habe ich als Kind, wenn ich Ramadan gefeiert habe, nie ein Problem mit den Fastenzeiten gehabt - ich wollte sogar unbedingt dabei sein, um meine Familie zu beeindrucken und es auszuprobieren. Aber ich kann auch die Sorge des Lehrerverbands verstehen. Nun, wo die Tage länger und heißer werden, wird das Fasten aus medizinischer Sicht natürlich gefährlicher. Allerdings sollte das Fasten jedem selbst überlassen sein. Ob und wie ihre Kinder fasten, liegt, finde ich, auch in der Verantwortung der Eltern. Ganz davon abgesehen, dass Kinder im Ramadan nicht fasten müssen: Wer unbedingt Lust hat, es auszuprobieren, kann auch einen Kompromiss eingehen. Etwa, indem man nur am Wochenende fastet oder nur einen halben Tag. Sozusagen zum Einstieg.
Natürlich wäre es toll, wenn der Ramadan auch in Deutschland in irgendeiner Weise - wie in der Türkei - als gesetzlicher Feiertag berücksichtigt werden würde. Etwa, wie Ostern bei den Christen. Es gibt ja auch viele deutsche Muslime, die Ramadan feiern. Aber das wird wohl ein Wunschtraum bleiben, weil ich glaube, dass viele Menschen in Deutschland mit den Feierlichkeiten zum Ramadan noch fremdeln. Schlimm finde ich das aber nicht. Ich freue mich jedes Jahr auf den Ramadan, der für mich ohnehin mehr als nur ein Feiertag ist."