Aufarbeitung der NS-Zeit Die dunkle Seite der DLRG

Zwischen Idealismus und NS-Ideologie - Die DLRG legt eine Studie zur eigenen Vergangenheit vor. (Archivbild) Foto: Sebastian Gol
Zwischen Idealismus und NS-Ideologie - Die DLRG legt eine Studie zur eigenen Vergangenheit vor. (Archivbild) Foto
© Sebastian Gollnow/dpa
Humanitärer Anspruch oder willige Helferin des NS-Regimes? Die DLRG legt erstmals eine fundierte Aufarbeitung ihrer Vergangenheit in der Nazi-Zeit vor. DLRG-Präsidentin Ute Vogt sagt eines ganz klar.

Franz Breithaupt, geboren 1880, leitete zu Beginn der 1930er Jahre eine Mälzerei, bevor er Karriere im NS-Staat machte. Er wurde persönlicher Adjutant von SS-Chef Heinrich Himmler, wurde rasch befördert und war Beisitzer des berüchtigten Volksgerichtshofs, wo er für Todesurteile gegen Widerstandskämpfer der "Weißen Rose" mitverantwortlich war, darunter die Geschwister Scholl. Er war die "dunkle Seite der DLRG", deren "Führer" er von 1942 bis 1945 war, wie es in einer neuen Studie zur Geschichte der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft zwischen 1925 und 1945 heißt.

Für die DLRG sah Breithaupt den Erkenntnissen zufolge "immer neue kriegswichtige Aufgaben", er pries die ideologische Ausrichtung der Organisation im NS-Staat und forderte "mutige Kerle, die sich vor dem Tod nicht fürchten". Und: "Als Richter war er maßlos", sagte Kerstin Teicher, Mitautorin der Studie "Zwischen Idealismus und NS-Ideologie". Hunderte Todesurteile soll er bestätigt haben, in den letzten Kriegstagen wurde er von SS-Männern ermordet.

Mit der Studie legte die DLRG erstmals eine fundierte Untersuchung ihrer Arbeit während der Nazi-Herrschaft vor. 

"Fähnchen im Wind" der Nazis

Das Ergebnis: Selbst in dieser Zeit setzte sich die Organisation aus der Sicht der Historikerin "massiv" für Lebensrettung ein - einerseits. Anderseits war die DLRG "schon ein Fähnchen im Wind" der nationalsozialistischen Machthaber, wie Teicher sagte. 

Denn in der NS-Zeit wurden demnach jüdische Menschen ausgegrenzt, die DLRG arbeitete mit NS-Organisationen zusammen und wurde gleichgeschaltet. In der Studie heißt es, die Organisation habe sich im Frühjahr 1933 geräuschlos auf den Weg gemacht, eine "Dienerin des totalitären NS-Staates" zu werden.

Mit der Aufarbeitung beauftragte das DLRG-Präsidium ein Autorenteam, das den Angaben zufolge über 3.000 Quellen aus der Zeit von 1925 bis 1945 erschloss. Bei der Recherche entdeckten die Autoren Hunderte bislang unbekannte Fotos sowie einige Film- und Radioaufnahmen. Heute betont die Organisation, für Diskriminierung, Rassismus oder Antisemitismus gebe es keinen Raum, eine Zusammenarbeit mit Parteien oder Organisationen, die die Demokratie bedrohen, sei ausgeschlossen. DLRG-Präsidentin Ute Vogt sagte, wer in sozialen Medien menschenverachtende Posts veröffentliche und ein DLRG-Amt bekleide, werde aufgefordert, dieses ruhen zu lassen.

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Nahtlos in NS-Staat eingefügt

Die Autoren der Studie schreiben, die DLRG habe sich nach demokratischen Anfängen nahtlos in den totalitären, nationalsozialistischen Staat eingefügt. Der Vorteil: Die Ausbildungs- und Mitgliederzahlen stiegen. Bis 1943 stieg die Zahl der ausgebildeten Rettungsschwimmer demnach auf fast eine Million - zu verdanken war dies allerdings vor allem Kursen bei Wehrmacht, Polizei und den NS-Organisationen. 1928 waren es noch rund 30.000 Prüfungen.

Der Befund zur DLRG als Organisation sei eindeutig, schreiben die Autoren: "Sie war eine willige Dienerin des NS-Staates, sie hat zu Beginn keinen Widerstand gegen die Vereinnahmung geleistet, später alles Geforderte umgesetzt und schließlich in die Kriegsbegeisterung eingestimmt. Ihr Verbot 1945 durch die Alliierten war insofern nur folgerichtig."

Selbst die "hochgelobte DLRG-Kameradschaft" habe jüdische Menschen nicht nachweisbar vor Ausschluss und Diskriminierung geschützt, sagte die Historikerin Teicher. Es gebe aber immerhin keinen Hinweis darauf, dass jüdische Menschen nicht vor dem Ertrinken gerettet worden seien. 

"Kein Unrechtsbewusstsein"

Enttäuschend nannte sie es, dass die DLRG-Vertreter nach dem Krieg wenig Zivilcourage gezeigt und keine Verantwortung übernommen hätten: "Sie haben kein Unrechtsbewusstsein gehabt." Stattdessen wurde laut Studie in der Selbstdarstellung der DLRG "der Mythos einer "heilen DLRG-Welt" inmitten der NS-Diktatur auch nach 1945 fortgeschrieben".

Die Aufarbeitung soll auch eine Warnung sein: "Die Arbeit der Autoren zeigt eindrucksvoll, dass sich die Verantwortung einer großen Gemeinschaft wie der unseren nicht auf eine ehrenwerte Aufgabe wie die Rettung am und im Wasser begrenzen lässt", betonte DLRG-Präsidentin Vogt. Es gebe eine große Diskrepanz zwischen dem "humanitären Anspruch und dem Dienst an einem solchen Regime", das sei besonders erschreckend. 

Gut aber aus Teichers Sicht: Das Porträt Breithaupts hänge in der DLRG-Zentrale schon lange nicht mehr.

dpa