Wer mit dem Auto unterwegs ist, vertraut in der Regel auf Navigationssoftware - mitunter auch, wenn diese der Straßenbeschilderung widerspricht. Das hat für manche Kommunen auch in Sachsen und Thüringen drastische Folgen und kann zu Verkehrschaos führen.
Jürgen Arlt kann davon ein Lied singen: Seit 2015 ist er Bürgermeister der kleinen Stadt Weißenberg in der Oberlausitz direkt an der Autobahn A4. Jahrelang litt die kleine 3.000 Einwohner-Kommune unter einem absurden Verkehrsaufkommen - direkt über den schick gepflasterten Marktplatz, vorbei am historischen Rathaus. "Wir hatten hier eine Seniorin, die hat da ganz akribisch mal selbst Verkehrszählungen gemacht. Die ist bis auf 3.000 Fahrzeuge am Tag gekommen, die auf dieser schmalen Straße gefahren sind", sagt der parteilose Arlt.
Wenn Lkw den Rathausgiebel rammen
Der Grund: Navigationssoftware wie Google Maps. Weil die Hauptzubringerstraße zur Autobahn, die B178, seit vielen Jahren nicht fertiggestellt ist und erst fünf Kilometer entfernt von der Autobahn beginnt, müssen Laster und Autos andere Wege nehmen.
Trotz einer existierenden Umfahrung leiten Google Maps & Co. den Verkehr dabei mitten durch das kleine Weißenberg. Und das hat Konsequenzen - zum Beispiel für das historische Rathaus. "Da sind mindestens vier oder fünf Lkws rangefahren und haben das Dach jedes Mal beschädigt", so Arlt. Auch Unfälle habe es aufgrund einer unübersichtlichen Kurve gegeben, Mauern wurden beschädigt. Hinzu komme, dass die Straße für Radfahrer aus Sicht des Bürgermeisters "unbefahrbar" geworden sei.
Werden Beschilderungen dauerhaft ignoriert, liegt es in der Verantwortung der zuständigen Behörden, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, erklärt das Landesamt für Straßenbau und Verkehr gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Konkret heißt das: Kontrollen, bauliche Anpassungen oder verkehrsrechtliche Änderungen wie Tempolimits wären nötig. Was in der Theorie einfach klingt, stößt praktisch aber auf Schwierigkeiten, weiß der Bürgermeister. Ein Tempolimit 20 auf einem Teil der befahrenen Staatsstraße sei an der zuständigen Verkehrsbehörde gescheitert. Und eine Einbahnstraßenregelung sei aufgrund von Rettungswegen und Müllabfuhr ungeeignet.
Zufallsanruf bringt Abhilfe
Von Google heißt es zu solchen Fällen auf Anfrage, das Unternehmen lade Nutzer dazu ein, Melde-Tools zu nutzen. "Öffentlichen Stellen und Institutionen steht das Geo Data Upload Tool zur Verfügung", sagte eine Google-Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur.

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Dass es diese Möglichkeit gibt, erfuhr Bürgermeister Arlt erst zufällig bei einem Telefonat mit einer Google-Mitarbeiterin. Nachdem er eine solche Meldung gemacht hatte, sei ein Google-Fahrzeug vor Ort die Strecke abgefahren. Seitdem habe sich das Problem zumindest gebessert, die Route werde seltener vorgeschlagen.
Nachweisliche Probleme mit einer "Fehlnutzung" von Straßen sind dem Thüringer Landesamt für Bau und Verkehr nicht bekannt. Den Verkehrsteilnehmern stehe grundsätzlich das gesamte öffentliche Straßennetz zur Verfügung.
Auch Oberdorla im Unstrut-Hainich-Kreis hat Probleme
Für die Bewohner von Oberdorla, einem Ortsteil der Gemeinde Vogtei im Unstrut-Hainich-Kreis, ist das eine schmerzhafte Erfahrung. Seit Jahren nutzen Autos und Laster die viel zu enge Mühlhäuser Straße im Ortsteil Oberdorla als Abkürzung, um das nahegelegene Mühlhausen zu umgehen.
Rund 3.000 Fahrzeuge sind es am Tag, sagt Thomas Golebniak, parteiloser Bürgermeister der Gemeinde. Die Straße ist dabei speziell in einer Kurve so eng, dass die Fahrzeuge teils über den Fußweg fahren - für Anwohner eine echte Gefahr. Seit rund eineinhalb Jahren kommt es zudem immer wieder zu Wasserrohrbrüchen - wegen des Verkehrs, ist Golebniak überzeugt. Hinzu kommen Schäden an Fassaden, Laternen, dem Fußweg. Viele der Durchfahrenden seien ortskundig. Doch auch Navigationssoftware leite Fahrzeuge immer wieder falsch im Ort. An anderer Stelle habe deshalb bereits die Beschilderung geändert werden müssen.
Licht am Horizont verspricht nun ein voraussichtlicher Kompromiss zwischen Gemeinde und Landesstraßenbaubehörde - denn es geht um eine Landesstraße. Denkbar sei demnach eine Einbahnstraßenregelung. Für die Gegenrichtung brauche es dann den Bau einer Umgehungsstraße. Ein Termin dazu soll im November stattfinden - denn die Straße und auch die darunter liegenden Leitungen sind dringend sanierungsbedürftig.
Golebniak hofft auf diese Lösung. Eine millionenschwere Erneuerung der Straße ohne Änderung der Verkehrsregelung wäre aus Sicht des Bürgermeisters "ein wirtschaftliches und psychologisches Verbrechen".