Warum man sich als Bürger in die Politik einbringen sollte
Ihm bei der Arbeit zu folgen ist leicht. "Eigentlich bin ich überall präsent. Auf Facebook, Instagram, ich habe einen eigenen Blog und einen Newsletter", sagt Thorben Buschhüter. Der 47-Jährige sitzt für die SPD in der Hamburgischen Bürgerschaft und ist leidenschaftlicher Lokalpolitiker in seinem Wahlkreis Rahlstedt, dem mit rund 95.000 Einwohnern bevölkerungsstärksten Bezirk der Hansestadt. Er wolle die Menschen zum Mitmachen auffordern. Mit seiner digitalen Umtriebigkeit sei er keinesfalls allein. Kaum ein Politiker käme heute noch ohne Social Media aus. Mit Aussagen wie "In Deutschland gibt es keine Demokratie mehr" vermag er wenig anzufangen. Demokratie lebe von der Beteiligung, doch die gehe leider kontinuierlich zurück, stellt er mit Bedauern fest.
Was den Parteien fehle, seien neue, tatkräftige Mitglieder. Seit dreißig Jahren schwindet das politische Engagement der Deutschen. Die SPD hat im Vergleich zu 1990 nur noch halb so viele Mitglieder, die CDU und die FDP ebenfalls. Auch bei den Linken sieht es kaum besser aus. Nur die Mitgliederzahl der Grünen hat sich in den vergangenen der Dekaden mehr als verdoppelt. Zugleich sinkt die Wahlbeteiligung kontinuierlich, insbesondere bei Kommunalwahlen, selten liegt die Beteiligung über 30 Prozent. Häufige Kritik der von der Politik Enttäuschten: Was bringe es, einmal zu Wählen und danach keinen weiteren Einfluss auf politische Entscheidungen zu haben?
Wie Bürgerbeteiligung geht, zeigte "Die Wende" in der DDR
Das jedoch stimmt so nicht, jedenfalls nicht in den Ländern. Hier können sich die Bürger auch ohne Parteibuch in die Politik einmischen. Sie sollen es sogar. Das war nicht immer so. Bis 1989 gab es das Instrument des Bürgerbegehrens lediglich in Baden-Württemberg, bis zwei Ereignisse die direkte Demokratie in den Neunzigern schließlich vorantrieben: Die friedliche Revolution in der DDR mit ihren "Runden Tischen" und die sogenannte "Lokal Agenda 21" der Uno unter ihrem Motto "Global denken, lokal handeln". Die Idee: Viele kleine von den Bürgern selbst angestoßene Nachhaltigkeitsprojekte entfalten in Summe mehr Wucht, als ein, zwei große Maßnahmen auf nationaler Ebene.
Leider stellte sich der gewünschte Effekt bei der Nachhaltigkeit nicht ein, was jedoch blieb war die Bürgerbeteiligung in der Kommunalpolitik. Insbesondere bei Bauprojekten ist die Bürgerbeteiligung heute selbstverständlich geworden. Soll das Schwimmbad geschlossen, eine neue Kita eröffnet, Fläche für einen Gewerbeparkt freigegeben oder das Radwegenetz zu Lasten des Autoverkehrs ausgebaut werden? Soll sich die Stadt oder der Kreis vorrangig mit grüner Energie versorgen? Alles zukunftsweisende Projekte, bei denen heute die Bevölkerung schon in der Planungsphase einbezogen wird.
Ohne Bürger gehen Bauprojekte oft schief
Stadtentwicklung liefe reibungsloser mit "öffentlich-privater Partnerschaft" stellte eine Studie des Bundesumweltministeriums fest. Bekanntester Beleg dafür ist Stuttgart 21. Der 2010 aufgesetzte milliardenschwere Umbau des Stuttgarter Bahnhofes löste wütenden Proteste in der Bevölkerung aus. Montagsdemos, verhärtete Fronten, Polizeieinsätze mit Verletzten. Im März 2011 ließ die neu gewählte rot-grüne Landesregierung eine Volksabstimmung zu. Die Mehrheit der Befragten sprachen sich gegen einen Ausstieg des Landes beim Bauprojekt aus. Sehr zum Verdruss der Protestierenden. Doch die Entscheidung befriedete die angespannte Lage, auch wenn weiter gebaut wurde. Es ist eben etwas anderes, wenn gegen eine Regierung oder gegen den Willen der Mitbürger angegangenen wird.
Volksentscheid auf Bundesebene
Für Ralf -Uwe Beck war Stuttgart 21 eine Sternstunde der direkten Demokratie. Er ist Sprecher des Bundesvorstandes von "Mehr Demokratie". Der vor 35 Jahren gegründete Verein setzt sich überparteilich für mehr Bürgerbeteiligung ein. Rund 40 Volksbegehren und Initiativen hat der Verein mit organisiert, bei tausenden kommunalen Bürgerbegehren stand er beratend zur Seite. Das größte Ziel: Volksentscheide auf Bundesebene. Dabei komme es für den Thüringer gar nicht unbedingt darauf an, dass ein solches Begehren tatsächlich ins Ziel geführt wird. Ein Erfolg wäre es bereits, wenn es das Instrument überhaupt gäbe, um auf Bundespolitiker einen gewissen Druck ausüben zu können, wieder dichter an den Wählern zu arbeiten. "Volksbegehren auf Bundesebene werden niemals ein Schnellschussinstrument. Sie bedeuten sehr viel Arbeit", unterstreicht Beck.
Die beste direkte Demokratie gibt es in Bayern
Die besten Erfahrungen mit direkter Demokratie habe Bayern gesammelt, so Beck. 1995, sechs Jahre nach Schleswig-Holstein, führte das südlichste Bundesland die Direkte Demokratie auf Landesebene ein – auf Betreiben der Bürger. Mittlerweile gelten in Bayern sehr bürgerfreundliche Regeln für diese Art der Basisdemokratie und längst hat sich hier das Bürgerbegehren als gängiges Instrument in der Kommunalpolitik etabliert. Auf der Webseite der Bayrischen Landesregierung erleichtert sogar ein Formular mit Hilfetexten das Einreichen und Formulieren von Bürgerbegehren.
Den Datenerhebungen von "Mehr Demokratie" zufolge fanden 40 Prozent von den über 9000 seit 1956 angestoßenen Verfahren in Bayern und etwa zwölf Prozent in Baden-Württemberg statt. Die Plätze dahinter belegen Nordrhein-Westfalen mit 943, Schleswig-Holstein mit 591 und Hessen mit 524 Verfahren. Schlusslichter sind das Saarland und Bremen mit 17 beziehungsweise elf Verfahren.
Der Verein untersucht seit Jahren wie bürgerfreundlich die direkte Demokratie in den 16 Bundesländern geregelt ist und vergeben dafür Schulnoten. Eine Note für Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene, eine für Volksentscheide auf Landesebene und eine Gesamtnote. Das Saarland bildet in allen Bereichen das Schlusslicht. In der Gesamtnote führen Bayern, Bremen und Hamburg. Bei Bürgerentscheiden ist Thüringen leicht vor Bayern und Schleswig-Holstein. Bei den Volksentscheiden liegt Hamburg an der Spitze.
"In Thüringen genügen für einen Bürgerantrag 300 Unterschriften, in Sachsen müssen es fünf Prozent der Einwohner einer Stadt oder Kreises sein. In Dresden wären das schon 25.000 Unterschriften", weiß Beck. Zudem grenzen einige Bundesländer bestimmte Themen bei der Bürgerbeteiligung aus oder lassen nur festgelegte Themengebiete für die direkte Mitbestimmung zu. Für Ralf-Uwe Beck wäre schon viel gewonnen, es bundesweit bürgerfreundliche Regeln gäbe.