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Streit um Stolpersteine Münchens Angst vor den Neonazis

Am Holocaust-Gedenktag wird an Millionen von Nazi-Opfern erinnert. Für sie gibt es viele Denkmäler. Um die kleinsten ist in München einen großer Streit entbrannt.
Von Malte Arnsperger

In der Einfahrt der Viktor-Scheffel-Straße 19 in München, wenige Zentimeter, oder einen Stein weit vom Trottoir entfernt, ist eine Messingtafel in den Boden eingelassen. Sie erinnert an den Kaufmann Heinrich Oestreicher, der hier bis 1939 wohnte und vier Jahre später im KZ Theresienstadt getötet wurde. In ganz Deutschland, in Italien, Polen, Ungarn liegen mehr als 38.000 dieser Gedenktafeln, meist gut sichtbar mitten auf dem Gehweg.

Stolpersteine hat sie deshalb der Kölner Künstler Gunter Demnig genannt, weil sie zum Innehalten und Nachdenken anregen sollen. Mittlerweile ist das Projekt international anerkannt, preisgekrönt und gilt als das größte dezentrale Denkmal der Welt. München allerdings verbietet die Denkmäler auf öffentlichem Grund. Der Grund: Pietät. Die Stadt fürchtet, dass Rassisten die Stolpersteine schänden könnten.

Zehn mal zehn Zentimeter große Messingtafeln

An die Gefahr der Schändung seiner Plaketten dachte Gunter Demnig wohl nicht, als er 1996 die ersten Stolpersteine in Berlin verlegte. Auf einer zehn mal zehn Zentimeter großen Messingtafel graviert der Künstler Name, Geburtstag und Todestag von Opfern des Nazi-Regimes ein, meist vor deren letzter freiwillig gewählten Wohnung befestigt er sie. Auf diese Weise bekamen namenlose Opfer ein persönliches Denkmal. Es erinnert Passanten daran, wie vor siebzig Jahren Menschen mitten aus ihrer Nachbarschaft gerissen wurden. 120 Euro kostet ein Stolperstein - inklusive Einbau durch den Künstler. Meist bezahlen Angehörige des Opfers oder Paten aus der Bürgerschaft. Anfangs gab es Widerstand in einigen Städten, etwa in Krefeld oder Leipzig. Augsburg und Pirmasens sperren sich immer noch.

Und München. Ausgerechnet die sogenannte "Hauptstadt der Bewegung" will nicht mitmachen. Hier hielt Adolf Hitler 1919 seine Rede im Hofbräuhaus, im "Braunen Haus" residierte die NSDAP, in München entstand und endete auf tragische Weise die Widerstandsbewegung "Weiße Rose". Es ist keineswegs so, dass die Stadt ihre NS-Vergangenheit verheimlicht. Es gibt den Platz der Opfer des Nationalsozialismus, das Stadtmuseum zeigt eine Dauerausstellung zu dem Thema, gerade entsteht das NS-Dokumentationszentrum.

Nicht Gedenksteine mit Füßen treten

Die Stolpersteine dürfen aber nicht dazu gehören. Münchens Stadtrat entschied 2004 mit großer Mehrheit, dass sie nicht auf öffentlichem Grund angebracht werden dürfen. Oberbürgermeister Christian Ude, SPD, gehört zu den entschiedensten Gegnern. Eines seiner Argumente: "Über die Stolpersteine geht der Alltagsverkehr im Wortsinn tagtäglich hinweg. Der Stadtrat will keine Form des Gedenkens, die im Alltag mit Füßen getreten wird." Ude und andere Gegner stützen sich vor allem auf die Ablehnung der israelitischen Gemeinde in München, namentlich auf deren Vorsitzende Charlotte Knobloch.

Die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden ist immer noch eine einflussreiche Persönlichkeit in ihrer Heimatstadt, in der sie Ehrenbürgerin ist. In München hat sie als Sechsjährige die "Reichspogromnacht" erlebt. Über das Thema Stolpersteine will sie eigentlich nicht mehr reden. Doch dann redet sie doch: "Ich habe als Kind erlebt, wie Menschen mit Füßen getreten wurden. Ich möchte nicht, dass ihr Gedenken im Straßenschmutz liegt."

Nazis werde es durch die Stolpersteine leicht gemacht, die Holocaust-Opfer zu verhöhnen, sagt Knobloch. Ihre Angst vor Schändungen ist nicht aus der Luft gegriffen. In Leipzig etwa wurden die Steine mit Farbe beschmiert, und die Opfer werden auf rechtsradikalen Internetseiten verhöhnt: "Es muss doch für jeden, der kein ausgemachter Freund der Juden ist, ein göttliches Geschenk sein, ungestraft mit Schuhen auf den Steinchen stehen zu können."

Nur auf Privatgrundstücken

Terry Swartzberg, 59, bittet seinen Gesprächspartner in ein Teehaus. Er ist ein Mann, der von seiner Hauptwidersacherin als die "von mir sehr geschätzte Glaubensgenossin Charlotte Knobloch" spricht. Der US-Amerikaner, der seit 27 Jahren in München lebt und eine PR-Agentur betreibt, schätzt die intellektuelle Auseinandersetzung. Beide Eigenschaften braucht er für sein Ehrenamt: Swartzberg ist Vorsitzender des Vereins "Stolpersteine für München". Er setzt sich seit Jahren dafür ein, dass auch Fußgänger in der bayerischen Hauptstadt über die Messingtafeln stolpern, bewusst daran vorbeigehen oder sogar kurz innehalten. "Vandalismus gibt es überall", sagt Swartzberg, "deshalb darf man doch nicht wegen solcher Einzelfälle das Gedenken aufgeben, das wäre ein Einknicken vor den Rechten. Ich finde die Stolpersteine dafür viel zu wichtig, denn ich will nicht, dass diese Leute vergessen werden".

Es gibt inzwischen 19 Stolpersteine in München. Einige kleben versteckt in den Einfahrten, wie etwa der Stein für Heinrich Oestreicher oder die drei Tafeln schräg gegenüber, welche an die ermordete Familie Weiss erinnern. Aber stets mussten sie auf privatem Grund eingelassen werden. Im Mai 2004, wenige Monate vor der Stadtratsentscheidung, hatten Angehörige von Sigrid und Paula Jordan einen Stolperstein für die beiden Holocaust-Opfer auf dem Gehweg in der Mauerkirchnerstraße anbringen lassen. Am Tag nach der Ratssitzung wurden sie von Stadtbediensteten wieder entfernt. Der Sohn der Getöteten nannte München darauf "die Hauptstadt der Bewegung gegen die Stolpersteine".

Die Tonlage ist harsch, die Situation verfahren. Das liegt auch an der Rolle von Charlotte Knobloch, deren ausdrücklichen Wunsch kaum jemand in Stadtverwaltung und Rat ignorieren würde. Dabei spricht sich selbst ihr Nachfolger im Zentralrat der Juden, Dieter Graumann, für die Stolpersteine aus: "Ich sehe in der Aktion eine bewegende Möglichkeit, die Erinnerung an die Verbrechen der Schoa in den Alltag zu transportieren." Terry Swartzberg zitiert mit beißender Ironie in der Stimme ein jüdisches Sprichwort: "Zwei Juden, drei Meinungen."

200 weitere Stolpersteine lagern im Keller

Dabei geht es bei der Diskussion nicht nur um Juden. Thomas Groth, ein homosexueller Versicherungskaufmann aus München, hat zwei Stolpersteine gespendet, die an zwei Homosexuelle, Horace Huber und Karl Siegl, erinnern sollen. Groth hat herausgefunden, dass sie im KZ Dachau ermordet wurden. Der 35-Jährige Groth sagt: "Ich wollte damit darauf hinweisen, dass es mehr als nur die Juden waren, denen diese schlimmen Dinge passiert sind. Es gab ja auch politische Gegner, Künstler, Lesben und Schwule, die vernichtet oder verfolgt wurden." Doch auch dafür gab es bisher keinen Platz. Die beiden von ihn gestifteten Tafeln lagern wie knapp 200 weitere im Keller des Stolperstein-Vereins.

Die Münchner Grünen wollen laut ihrem Chef Florian Roth nach der Kommunalwahl 2014 und dem Ende der Ära Ude das Stolperstein-Verbot kippen. Und auch wenn Terry Swartzberg und Thomas Groth dies begrüßen würden, sagt Groth: "Vielleicht muss es auch ein Mahnmal sein, dass München sich dagegen entscheidet. Denn auch das ist mutig und sollte respektiert werden. Jede Stadt sollte frei sein bei der Entscheidung. Denn "Gruppenzwang" hat genau zu den damaligen Ereignissen geführt."

Terry Swartzberg steht mit seiner Vorstandskollegin Janne Weinzierl vor dem Stolperstein für Heinrich Oestreicher. Es ist dunkel, der Stein liegt im Schatten der Straßenlampen. Die weißhaarige Janne Weinzierl sagt: "Den Stein müssen wir mal putzen, damit er wieder leuchtet."

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