Schuhe. Es gibt kaum ein Thema, über das man mit Läufern trefflicher streiten könnte. Hinter uns liegt eine lange, lange Zeit, in der die Sohlen der Laufschuhe immer dicker wurden. Möglichst viel Dämpfung und Stützung sollte den Fuß vor Schaden schützen. Die Werbung machte uns glauben, dass wir nur mit solchen Hightech-Tretern gute Läufer sein können. Und wer sie nicht trägt, in ein paar Jahren schwere Arthrose hat. Denn Laufen auf Asphalt sei saugefährlich. Millionen trabten deswegen auf Laufbändern zur Schau vor Schuhverkäufern. Wir ließen uns per Schnelldiagnose mit hochgekrempelten Hosenbeinen mitten im Kaufhaus zu Pronierern und Suplinierern erklären. Das klang nach weiter Welt und großer Laufkunst.
Am Ende gingen wir dankbar mit teuren Laufschuhen nach Hause, deren Sohlen Namen hatten, die man nicht aussprechen konnte. Und die in Wahrheit reine Phantasiebegriffe waren. Meist gab es noch ein paar Einlagen dazu. Wir hielten uns so ausgerüstet fit für neue Bestzeiten. Hofften auf weniger Schmerzen und Verletzungen. Schöne neue Laufwelt.
Das habe ich auch alles mitgemacht. Und nicht einen Moment an dem Segen der Laufschuh-Entwicklung gezweifelt. Bis ich vor sieben Jahren Matthias Marquardt für ein Interview traf. Der junge Arzt und Lauftrainer erzählte mir mit ansteckender Begeisterung, wie schlecht solche Schuhe für die Füße seien. Sein Argument: Die Füße werden in ein starres Korsett gezwängt, ihre Bewegung unnatürlich verändert, Fehlbelastungen seien damit vorprogrammiert. Dann zeigte mir einen 300 Euro teuren Schuh, bei dem er die Sohle vermessen hatte. Sie war so dick, dass der Fuß darin wie in einem hochhackigen Damenschuh steckte. Er fragte: "Glauben Sie, so kann man gesund laufen?"
Nein, war natürlich meine Antwort. Und damit hatte er den Zweifel gesät. Meine Füße und vor allem die Knöchel machten mir schon seit Jahre nur Probleme. Ständig knickte ich um, hatte sogar einen Bänderriss und immer irgendwelche Überdehnungen. Was, wenn ich das Problem hatte, weil ich mit den dicken Sohlen meine Füße "stumm" gestellt hatte? Wenn sie den Untergrund und seine Unebenheiten einfach nicht mehr spüren konnten? Die Nervenzellen nicht in der Lage waren, wichtige Warnungen an mein Gehirn zu schicken?
Also ging ich wieder in den Schuhladen. Suchte mir ein paar Schuhe mit dünner Sohle. Die außerdem noch voller kleiner Kerben waren und dadurch in alle Richtungen voll beweglich. Ich ignorierte den Verkäufer, der mir sagte: "Damit können Sie nicht joggen, davon bekommen Sie nur Arthrose."
Totaler Quatsch, wie ich heute weiß. Das Gegenteil ist wahr. Es gibt nicht eine Studie, in der ein Zusammenhang zwischen Laufen und Gelenkverschleiß nachgewiesen werden konnte. Vielmehr brauchen unsere Knochen die kleinen Schläge, die sie beim Joggen bekommen. Sie werden dadurch fester, der perfekte Schutz vor Osteoporose. Und unsere Knorpel sind wie kleine Schwämme. Da sie nicht mit Blutgefässen durchzogen sind, müssen sie durch Bewegung ausgedrückt werden. Sonst trocknen sie aus und werden spröde.
Es gibt übrigens auch keine Studie, die nachweisen konnte, dass stark gepolsterte Laufschuh vor Verletzungen schützen. Derzeit setzt sich unter Wissenschaftlern und Medizinern eine gegenteilige Meinung durch. Bei vielen Verletzungen und Überlastungserkrankungen vermuten sie die Schuhe als Hauptauslöser. Dasselbe gilt für Einlagen. Es gibt sogar Mediziner, die ein Verbot des Verkaufs von Einlagen in Sportgeschäften fordern. Ihr Argument: Einlagen verändern den komplette Bewegungsablauf und die Statik eines Körpers. Um die richtigen zu verordnen, muss man den ganzen Menschen sehen. Und nicht nur die Füße oder die Waden. Denn richtet man mit Einlagen eine Fußsohle neu aus, spürt man das im schlimmste Fall im Rücken. Einlagen sind nicht harmlos. Deswegen sollten sie auch nur von Sportmedizinern, am besten mit Lauferfahrung, verordnet werden.
Mehr Freiheit für die Füße. Heute sind die Läden zum Glück voll mit Schuhe, die dieses Konzept verfolgen. Die Sohlen sind dünn und beweglich. Vor sieben Jahren wagte ich den Wechsel. Aber nicht von einem Tag auf den anderen. Davor hatte mich Matthias Marquardt gewarnt: "Lassen Sie es langsam angehen, ihre Füße haben viel verlernt." Recht hatte er. Ich trug die Schuhe erst nur ein paar Stunden am Tag. Abends hatte ich dann richtig Muskelkater. Nach ein paar Wochen wagte ich dann die erste Laufrunde. Ein Kilometer. Dann steigerte ich mich langsam. Heute liebe ich meine dünnen Laufschuhe. Ich knicke fast nicht mehr um. In den letzten Jahren hatte ich nicht eine ernsthafte Verletzung. Das ist meine schöne neue Laufwelt.
So finden Sie den richtigen Schuh, die wichtigsten Tipps im Video.