Viele Jugendliche in Deutschland wissen nur wenig über die Natur. Ihnen fehle vielfach das Wissen über Zusammenhänge, sagte der Natursoziologe Rainer Brämer bei der Vorstellung des "Jugendreports Natur '06". So ahnen 54 Prozent der Schüler in Nordrhein-Westfalen nicht, dass Rosinen getrocknete Trauben sind. Zahlreiche Schüler wissen auch nicht, dass Sahne und Pudding aus natürlichen Rohstoffen hergestellt werden. Für die repräsentative Studie waren gut 2200 Schüler aller Schulformen der Klassen 6 und 9 in Nordrhein-Westfalen befragt worden.
Bio-Äpfel oder Tiefkühlspinat als Naturprodukte zu bezeichnen, kommt vielen Schülern nicht in den Sinn. Jugendlichen sei eine "übertriebene Waldmoral" eingepflanzt worden, sagte der Soziologe vom Marburger Universitäts-Institut für Erziehungswissenschaft. Es überwiege eine "bambihafte Verniedlichung der Natur" in den Köpfen, die sich in Leitsätzen wie "Tiere nicht stören", "Im Wald auf Wegen bleiben", "Pflanzen nicht beschädigen" oder "Nichts wegschmeißen" erschöpfe. Oft hielten Schüler die Natur für "immer gut" und jegliche Nutzung für schlecht. Natur diene ihnen hauptsächlich als "Kulisse für Feste und Sport".
Nie einen Käfer auf der Hand gehabt
"Jeder dritte Schüler im Alter zwischen 12 und 15 Jahren hatte noch nie einen Käfer oder Schmetterling auf der Hand", sagte Brämer. Das Forscherteam von der Universität Marburg hat festgestellt, dass Jugendliche in Stadt und Land gleichermaßen auf Distanz zur Natur gehen. Auch wenn es auf dem Land mehr Naturkontakte gebe, führe das nicht zwangsläufig zu mehr Wissen. "Sie leben alle hinter Glas. Sie sitzen im Auto oder vor dem Computer", sagte Brämer.
Bereits 2003 und 1997 hatte er größere Studien zur Natur-Erfahrung von Jugendlichen erstellt. Sie hatten unter anderem offen gelegt, dass viele Kinder Enten für gelb halten. Der neueste Jugendreport dokumentiere ein zunehmendes Verschwinden der Natur aus dem alltäglichen Horizont junger Menschen. Unklar sei, ob das Interesse an der Natur bei ihnen später doch noch erwachen wird.
Mehr Waldbesuche mit der Schule gefordert
Bei der Vorstellung der Studie kommentierte die Landesvorsitzende der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und NRW-Landtagsabgeordnete Marie-Luise Fasse: "Das Naturbild der Jugend ist schief." Sie regte mehr Besuche in Waldschulheimen an. Auch der Präsident des Deutschen Jagdschutz-Verbandes und ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister, Jochen Borchert (beide CDU), forderte, der Naturverniedlichung bei Kindern und Jugendlichen entgegenzutreten.