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Krisen als Chance Corona, Klimakrise und Krieg: Die Suche nach dem Sinn in schweren Zeiten

Eine Frau steht angelehnt an einen Mann vor einem Haus.
Die Krisen dieser Tage beschäftigen viele Menschen. Nicht jeder muss in schweren Zeiten produktiv werden und das Beste draus machen.
© Kulli Kittus / Unsplash
Krisenstimmung ist mittlerweile fast Alltag. Während das bei vielen Menschen Überforderung und Ohnmacht auslöst, gibt es auch einen anderen Ansatz: Die Krise als Chance. Aber geht das überhaupt – und muss das sein?

“Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen“, sagte Johann Wolfgang von Goethe einmal. Was Deutschlands berühmter Dichter uns schon im 18. Jahrhundert sagen wollte: In jeder Herausforderung steckt auch eine Chance – oder so ähnlich.

Wir leben in einer Zeit, in der es an Krisen gewiss nicht mangelt. Der Klimawandel, die Coronavirus-Pandemie und der Ukraine-Krieg sind dabei die aktuell wohl präsentesten, nicht aber die einzigen. Wer sich auf der Welt umschaut, der kann – ein bisschen überspitzt formuliert – schnell in Endzeitstimmung bekommen. Durchaus verbreitet, vor allem bei jungen Menschen, ist dabei ein Gedanke: Die Erde brennt.

Junge Menschen leiden unter Krieg und Klimakrise

Verschiedene Studien konnten zeigen, dass die junge Generation zwischen 14 und 29 Jahren zunehmend unter Zukunftsängsten, Depressionen und Stress leidet. Experten führen das auch auf die unüberschaubare Weltlage zurück. Wie geht es weiter mit dem Krieg? Bekomme ich noch eine Rente? Und was passiert eigentlich mit unserem Planeten?

Alles Fragen, auf die wir noch keine Antworten gefunden haben. “Es ist völlig berechtigt und verständlich, jetzt Angst zu haben“, sagt Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité im Gespräch mit “Web.de“. Angst könne aber auch ein Antrieb sein, um etwas Produktives aus der Krise zu machen. Damit wären wir dann wieder bei der Chance, die in der Krise stecken soll.

Zugegeben, es ist nicht nur bei gesellschaftlichen Schieflagen mitunter schwierig, einen Nutzen daraus zu ziehen – sondern oft auch in der persönlichen Misere. Wer will schon mitten im Ehekrieg, kurz nach dem Jobverlust oder in der existenziellen Sinnkrise darüber nachdenken, wie genau einen diese Situation weiterbringen kann? Gewagte These: So gut wie niemand.

Sinnforscherin Tatjana Schnell über das Potenzial von Krisen

Trotzdem passiert es, dass wir uns in schweren Zeiten weiterentwickeln. Wenn um uns herum alles bröckelt, dann werden wir auf das Wesentliche zurückgeworfen. “Krisen haben das Potenzial, uns zu zeigen, worauf es wirklich ankommt, was man bewahren oder stärken sollte“, sagt auch Tatjana Schnell, Sinnforscherin an der Universität Innsbruck im Gespräch mit stern.de.

Sie ist überzeugt davon, dass viele Menschen durch die Krisen unserer Zeit merken, was für sie im Leben wirklich zählt: “Wo Schatten ist, ist auch Licht. Der Lockdown hat uns den Wert von Freiheit vor Augen geführt, der Ukraine-Krieg zeigt uns jetzt den Wert der Demokratie.“ Also sind Krisen doch Wachstumsbeschleuniger?

Nicht unbedingt, sagt die Sinnforscherin. Es gebe viele Menschen, die Krisen einfach aussitzen. Wer aber ohnehin dazu neigt, sein Leben aktiv und sinnvoll zu gestalten, der werde durch Herausforderungen angetrieben. “Es ist vielleicht sogar einfacher, in Krisenzeiten einen Sinn in seinem Leben zu finden“, so Schnells Fazit.

Definition: Was genau ist eigentlich eine Krise?

Um diesen Sinn überhaupt finden zu können, müssen wir zunächst klären, was genau eine Krise eigentlich ausmacht. Der Philosoph Nikil Mukerji von der Ludwig-Maximilians-Universität in München hat im Gespräch mit dem “Bayerischen Rundfunk“ drei Arten von Krisen identifiziert: Lebenskrise, individuelle Krise und zwischenmenschliche Krise.

Der Ursprung aller drei Formen besteht demnach darin, dass etwas “subjektiv Unvorhergesehenes“ einen Schaden verursacht, der wiederum Handlungsbedarf erfordert. Das Wort Krise stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt so viel wie “schwierige Lage“. Diese kann entweder durch den Verlust wichtiger Ressourcen entstehen, zum Beispiel Gesundheit, Geld oder Frieden. 

Wie wird aus der Krise nun eine Chance?

Wie kann aus einer Krise also eine Chance werden? Im ersten Moment kann es uns helfen, wenn wir uns auf unsere Ressourcen und Stärken besinnen. Zu wissen, was wir zu leisten im Stande sind und welche Menschen und Strukturen uns Sicherheit geben können, wenn wir das Gefühl haben, dass alles um uns herum zusammenbricht – das ist wirklich Gold wert.

Abgesehen davon können wir unseren eigenen Handlungsspielraum abchecken. Etwa, indem wir prüfen, was wir wirklich an der Situation ändern können – und es angehen. Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg können das zum Beispiel Spenden sein, im Zuge der Klimakrise vielleicht eine nachhaltigere Lebensweise. Das stärkt unsere Selbstwirksamkeit, die uns wiederum widerstandsfähiger werden lässt.

"Es gibt viel Sinnloses in dieser Welt"

Und was, wenn einem alles sinnlos erscheint? Dann ist das erstmal auch in Ordnung. Selbst Sinnforscherin Tatjana Schnell sagt im Interview mit stern.de: “Ich persönlich denke, es gibt viel Sinnloses in dieser Welt.“ Studien konnten sogar zeigen, dass es ungesund ist, in wirklich jeder Lebenssituation nach einem höheren Sinn zu suchen. Hier trifft das gleiche Prinzip zu, wie bei toxischer Positivität: Zu viel Optimismus kann schnell nach hinten losgehen.

Ein gesunder Umgang mit Krisen ist am Ende eine subjektive Angelegenheit. Manche werden von der Veränderung angetrieben, selbst das eigene Leben zu hinterfragen – andere lassen die Krise tatenlos vorbeiziehen. Mit Scheuklappen sollten wir laut Sinnforscherin Schnell allerdings nicht durch die Welt laufen: “Es ist immer eine Gratwanderung zwischen dem Streben nach Sinnerleben und dem Bewusstsein dafür, dass es Dinge gibt, die sinnlos sind, ungerecht oder absurd – und die man besser anpackt, als sie positiv umzubewerten.“

Quelle: Sinnforscherin Tatjana Schnell, Stern Jugendstudie, Web.de, Artikel, Bayerischer Rundfunk, Artikel

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