Bis zu welchem Alter darf eine Frau schwanger werden? Soll es eine Höchstgrenze für künstliche Befruchtungen und Eizellspenden geben? Die mit Vierlingen schwangere 65jährige Grundschullehrerin Annegret Raunigk zwingt uns Fragen auf, um die sich der Gesetzgeber bislang gedrückt hat. Es schien keinen Handlungsbedarf zu geben, und unter den Frauen, die für ihren drängenden Kinderwunsch ins Ausland pilgerten, war bislang auch keine Greisin, die angetreten ist, die Grenzen der Reproduktionsmedizin auszuloten.
Annegret Raunigk wird jedoch keine Ausnahme bleiben. In Zukunft werden sich viele Frauen ihren Kinderwunsch im höheren Alter erfüllen. Sie müssen nicht in die Ukraine pilgern, um sich von Ärzten, die für Geld alles tun, gespendete Eizellen einsetzen zu lassen, nein, sie können schon heute ganz legal in Deutschland schwanger werden, wann immer sie wollen. Möglich ist das dank eines Verfahrens zum Einfrieren von Eizellen, #link;: http://www.stern.de/gesundheit/social-freezing-wie-das-einfrieren-der-eizellen-funktioniert-2145739.html;"Egg Freezing"# genannt. Die Frauen lassen sich während ihrer fruchtbaren Lebensphase eigene Eizellen entnehmen und einfrieren.
#link;: http://www.stern.de/gesundheit/social-freezing-wie-das-einfrieren-der-eizellen-funktioniert-2145739.html;"Egg freezing"# ist seit einigen Jahren technisch so ausgereift, dass Fachleute die Schwangerschaftsraten ähnlich hoch einschätzen wie nach künstlicher Befruchtung mit frischen Eizellen. Die Frauen, die ihren Kinderwunsch so aufschieben, sind heute zwischen 30 und 40 Jahre alt. Ihre Eizellen sind wohl Jahrzehnte haltbar. Wenn sie 50, 60, ja 70 Jahre alt sind, könnten sie sich immer noch für eine Schwangerschaft entscheiden, denn ihre Gebärmutter wird dann, anders als die Eierstöcke, immer noch voll funktionsfähig sein.
Die Möglichkeiten an sich sind gut
Rechtlich gangbar ist in Deutschland seit kurzem ein weiterer Weg, nach der Menopause schwanger zu werden: die Embryonenspende. In den Tiefkühltruhen deutscher Reproduktionsmediziner lagern viele befruchtete Eizellen von Paaren, deren Kinderplanung abgeschlossen ist. Die Paare dürfen heute entscheiden, diese ohne finanzielle Gegenleistung anderen Paaren zu spenden, was in den USA längst gängig ist. Auch die Eizellspende als dritter Weg wird wohl irgendwann in Deutschland erlaubt sein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das deutsche Verbot bereits vor fünf Jahren in einem Grundsatzurteil infrage gestellt. Ein Staat, der die künstliche Befruchtung erlaube, die Eizellspende aber untersage, behandle Paare mit Kinderwunsch ungleich, so die Begründung.
Es ist gut, dass es diese Möglichkeiten heute gibt. Sie eröffnen im kinderarmen Deutschland mehr Paaren Chancen auf Elternglück, und die Risiken beider Techniken scheinen nach heutigem Stand der Wissenschaft überschaubar zu sein. Ältere Mütter sind überwiegend gut situiert, haben die beruflichen Kämpfe hinter sich und einen starken Kinderwunsch. Sie fördern ihre Kinder oft besser und widmen ihnen mehr Aufmerksamkeit als junge Mütter, sagen Psychologen. Auch im Sinne der Gleichberechtigung gibt es nichts Grundsätzliches dagegen einzuwenden, dass Frauen bald schon nach den Wechseljahren schwanger werden. Das Zentralorgan deutscher Feministinnen EMMA hat schon vor zwei Jahren klar Stellung bezogen: "Mutter werden mit 50plus" war eine Titelgeschichte, und die Autorin kommentiert: "Ja, wo ist das Problem?"
Claudia Wiesemann, Mitglied des Deutschen Ethikrates, begrüßte in einem Gespräch mit dem stern damals die neuen Chancen. Ältere Väter wie Ulrich Wickert oder Luis Trenker würden von der Gesellschaft bewundert, ältere Mütter verpönt. "Das ist sexistisch. Warum soll nicht auch eine fitte 60-jährige Frau mit einem 40-jährigen Mann ein Kind bekommen?" Falls sie unerwartet früh sterbe, müsse eben er die Verantwortung übernehmen, die die Gesellschaft so selbstverständlich den Müttern zuweist.
Wir brauchen eine Altersgrenze
Jetzt aber fordert die 65-jährige Singlefrau Annegret Raunigk sogar diese liberalsten Befürworter heraus. Sie macht deutlich, dass es eine Altersgrenze geben muss. Denn sie gefährdet nicht nur ihr eigenes Leben, was ihr keiner verbieten kann, sie setzt auch die Gesundheit der vier in ihr heranwachsenden Kinder in unverantwortbarer Weise aufs Spiel. Also muss wohl – leider – ein Gesetz her, das künftig das Höchstalter regelt, bis zu dem sich Frauen ihren Kinderwunsch erfüllen können. Solange es das nicht gibt, ist die Selbstverantwortung der Reproduktionsmediziner gefragt.
Die Reproduktionsmediziner, die sich im deutschen Netzwerk Embryonenspende zusammengeschlossen haben, gehen hier einen guten Weg, indem sie das Alter künftiger Mütter auf 45 Jahre, das der Väter auf 55 Jahre beschränken. Für ein künftiges Gesetz könnte Tschechien als Beispiel dienen: Empfängerinnen von Eizellspenden dürfen dort das 50. Lebensjahr noch nicht erreicht haben. Auch in einer aktuellen Forsa-Umfrage des stern sprachen sich 63 Prozent der 1002 Befragten für eine Altersgrenze aus, die Hälfte von ihnen sah sie beim 50. Lebensjahr.
Die Zeit drängt, die Politik muss sich diesen Fragen jetzt stellen - damit die Grundschullehrerin Annegret Raunigk eine Ausnahme bleibt.
Diese Woche exklusiv im stern: Porträt der ersten Frau der Welt, die jenseits der 60 schwanger wurde – vor 22 Jahren. Wie denkt Rosanne Della Corte, 83, heute darüber? Und wie ihr Sohn?