Nordic Walking Zwei Stöcke für ein Halleluja

Nordic Walking ist effektiver als Gehen ohne Stöcke, gelenkschonender als Joggen - und dabei ein fast genauso guter Kalorienkiller.

Der Mann ist 15 mal Deutscher Meister geworden, hat Bronze bei den Europameisterschaften gewonnen und an Olympischen Spielen teilgenommen. Heute geht der ehemalige Weltklasse-Marathonläufer Herbert Steffny am Stock. Genauer gesagt an zwei Stöcken. Den Sportler plagt kein Gebrechen, das ihm die Gehhilfen aufzwingt, denn der 50-Jährige ist immer noch topfit. Steffny benutzt die Stäbe, um gesund und leistungsfähig zu bleiben: Er schwört neben dem Laufen auf Nordic Walking.

Zunächst begann die Liaison des Laufprofis mit der Trendsportart wie viele langjährige Liebesbeziehungen: Er wollte von ihr nichts wissen. Als der Schwarzwälder vor einigen Jahren in Finnland Nordic Walker durch die Gegend ziehen sah, war er skeptisch. "Ich kannte normales Walken und fragte mich, weshalb man dafür auf einmal Stöcke brauchen sollte", sagt er. Dann nahm er die Stäbe selbst in die Hand. "Innerhalb einer Minute wusste ich: Das ist es."

Heute spricht der Lauflehrer, der auch Bundesaußenminister Joschka Fischer marathonreif trainiert hat, von der "perfekten Ganzkörpersportart für Untrainierte und Cracks, die optimal fit macht und dabei die Gelenke schont". In seiner Schule am Titisee bietet er deshalb neben den klassischen Lauf- und Walking-Seminaren auch Nordic-Walking-Kurse an.

Breitensport aus Finnland

Erfunden wurde die "entschleunigte" Bewegungsart in Finnland. Bereits in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts überbrückten dort Spitzenskilangläufer das Sommerhalbjahr mit Trainingseinheiten am Stock ohne Bretter unter den Füßen. Vor einigen Jahren brachte dann der finnische Hersteller Exel spezielle Walking-Stäbe auf den Markt, und aus dem Leistungstraining entwickelte sich ein entspannter Breitensport. Mittlerweile zählt gut eine Million Finnen zu den Anhängern des "sauvakävely", wie Nordic Walking dort genannt wird, Schüler und Rentner genauso wie Manager und Arbeitslose.

Ist Nordic Walking nur ein Sport für Alte, Fußkranke und Weicheier? Keineswegs! Klaus-Michael Braumann, Ärztlicher Leiter des Instituts für Sport- und Bewegungsmedizin an der Universität Hamburg, liefert Argumente, um Zweifler zu überzeugen: "Nordic Walking ist nicht nur eine Mode, sondern eine sinnvolle Belastungsart, von der der Körper extrem profitieren kann." Denn anders als beim Laufen oder Radfahren werden dabei die meisten der rund 700 Muskeln des Körpers beansprucht, aber die Gelenke durch den Stockeinsatz um 30 Prozent entlastet. "Die sanfte Bewegung bewirkt zudem, dass Bänder und Sehnen aufgrund der erhöhten Durchblutung elastischer und belastbarer und die Knochen fester werden", sagt Braumann.

Nordic Walking nützt aber auch dem Herz-Kreislauf-System und der Figur: Beim Gehen gerät der Puls in Schwung, aber nicht in extreme Bereiche. Gleichzeitig verbrennt der Körper trotz der im Vergleich zum Laufen deutlich geringeren Belastung immer noch reichlich Fett: Rund 500 Kilokalorien verbraucht er dabei pro Stunde, 250 mehr als beim normalen Walken, 100 weniger als beim Joggen. Nicht zuletzt streichelt der Sport die Seele: Wer sich regelmäßig in der Natur bewegt, ist ausgeglichener und psychisch belastbarer.

Braumann, einst selbst Marathonläufer, kommt zu dem Schluss: "Nordic Walking ist für jeden eine echte Alternative zum Laufen, aber besonders eignet es sich für Untrainierte, Übergewichtige und Menschen mit Vorschädigungen an Gelenken und Wirbelsäule." Auch die Krankenkassen haben die Vorteile beim Einsatz in Prävention und Therapie erkannt, deshalb erstatten sie oft zumindest einen Teil der Kosten für Seminare und Trainingstreffen.

Viel Geld müssen Aktive nicht in ihr Hobby investieren, denn Nordic Walker brauchen keine umfangreiche Ausrüstung. Unverzichtbar sind die Spezialstöcke mit ihren besonderen Schlaufen, die mit Klettverschlüssen wie Manschetten an den Händen befestigt werden. Zwischen 50 und 100 Euro kostet ein solches Paar. Wenig brauchbar sind Teleskopstöcke: Die passen zwar leicht ins Reisegepäck und können von Eltern und Kindern benutzt werden, sind aber zum Walken zu klapprig.

Bei den Stöcken nicht sparen

Von billigeren Exemplaren aus Aluminium rät Steffny ebenfalls ab: "Die können bei starker Belastung durchbiegen." Stattdessen empfiehlt er die teureren, aber nahezu unverwüstlichen Stäbe mit Carbonanteil, die Schläge besser dämpfen sollen. Sie sind zudem mit Kork- statt mit Gummigriffen ausgestattet.

Bei der Auswahl der Stäbe kommt es vor allem auf die richtige Länge an: Die wird mit der Formel "Körpergröße mal 0,72" ermittelt. Für den Einsatz auf Asphalt müssen auf die Metallspitzen zusätzlich "Katzenpfoten" gesteckt werden. Die griffigen Gummikissen geben Halt auf hartem Untergrund, wenn sich der Stock nicht in den Boden bohren kann.

Gutes Schuhwerk ist für die Fußarbeiter ebenso entscheidend. Die Hersteller haben auf den Trend reagiert und spezielle Walkingschuhe auf den Markt gebracht. "Die sind aber gar nicht unbedingt nötig", sagt Steffny. "Gute Joggingschuhe reichen auch. Wichtig ist, dass sie den Aufprall dämpfen, den Fuß führen und das Abrollen über die Zehen unterstützen."

Für die Geh-Technik gilt das Gleiche wie für die Ausrüstung: Es kommt nur auf wenige Dinge an, aber die müssen stimmen. "Nordic Walking ist nicht kompliziert. Wenn man das einmal richtig macht, hat man die Grundbewegung drauf", erklärt Steffny. Am Anfang sollte jedoch ein Erfahrener beim Stockeinsatz und der Gehkoordination Hilfestellung geben. "Ein Einführungswochenende reicht gewöhnlich aus", so der Walkinglehrer.

Und dann kann es losgehen: im Wald, auf der Straße, am See - fast überall, wo man will. Und auch so oft man will? Welche Belastung ist für Anfänger ideal? "Einsteiger sollten zunächst höchstens dreimal in der Woche 30 bis 60 Minuten walken", rät Steffny. "Entscheidend ist dabei nicht der Plan, sondern das Körpergefühl: Wer beim Gehen außer Atem ist, hat etwas falsch gemacht."

Auch Sportmediziner Braumann hält nichts von starren Vorschriften. "Eine goldene Regel für alle gibt es nicht, aber zwei- bis viermal pro Woche 45 Minuten lang walken ist in vielen Fällen optimal", sagt er. Auch trägeren Naturen macht der Mediziner Hoffnung: "Ein Trainingseffekt kann sich auch schon bei niedrigerer Belastung einstellen. Da gilt: Einmal immer besser als keinmal."

Torben Müller

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