In deutschen Krankenhäusern sterben jedes Jahr Tausende Patientinnen und Patienten nur deshalb, weil ihre Behandlung nicht den höchsten Qualitätsstandards entspricht. Die am Donnerstag in Berlin vorgestellte Analyse einer Regierungskommission beziffert die Zahl der vermeidbaren Todesfälle allein im Bereich der Schlaganfälle auf rund 5000 pro Jahr. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht sich durch die Befunde in seinem Plan bestärkt, im Klinikbereich stärker auf Spezialisierung zu setzen.
"Die Krankenhausreform wird zehntausende Menschenleben retten pro Jahr", sagte Lauterbach in Berlin. "Qualität rettet Leben." Komplizierte Eingriffe sollten künftig "ausschließlich in spezialisierten Kliniken und durch sehr gut qualifizierte Mediziner erfolgen", sagte er. "Nicht jedes Haus muss auch jede medizinische Behandlung anbieten."
Nicht jede Klinik in der Lage, Behandlung auf höchstem Niveau anzubieten
Die Analyse kommt zu einem alarmierenden Kernbefund: Tausende Menschen könnten noch am Leben sein, wenn sie in einem besser ausgestatteten Krankenhaus behandelt worden wären. Der Leiter der Regierungskommission, Tom Bschor, sagte, die Analyse zeige, "dass im gegenwärtigen System Krebs- und Schlaganfall-Patientinnen und ‑Patienten früher sterben als nötig, weil zu viele Krankenhäuser diese Behandlungen durchführen". Nicht jede Klinik sei in der Lage, eine Behandlung auf höchstem Niveau anzubieten.
Für Schlaganfallpatienten etwa macht es der Studie zufolge eine deutlichen Unterschied, in welches Krankenhaus sie eingeliefert werden: In Kliniken mit einem spezialisierten Schlaganfallzentrum ("Stroke Unit") verstarben 23,9 Prozent der Patienten innerhalb eines Jahres nach dem Schlaganfall. In Kliniken ohne ein solches Zentrum waren es 30,4 Prozent. Nur etwa ein Viertel der deutschen Kliniken verfügt über eine solche "Stroke Unit".
Neben dem Bereich Schlaganfall richtet die Analyse den Fokus auf die Behandlung von Krebskrankheiten. So hätten etwa Brustkrebs-Patientinnen einen fast 25 Prozent höheren Überlebensvorteil bei Erstbehandlung in einem zertifizierten Spezialkrankenhaus, heißt es in der Analyse. Auch bei anderen Krebsarten ließ sich ein Überlebensvorteil nachweisen, wenn auch in geringerem Maße.
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Kommission weist auf dringenden Reformbedarf hin
Insgesamt könnten jährlich 20.404 Lebensjahre von Krebspatienten gerettet werden, würde die Behandlung in zertifizierten Häusern nach höchsten Standards stattfinden, schreibt die Kommission. Diese Kennzahl lasse sich nicht präzise in vermeidbare Todesfälle umrechnen, weil bei manchen Patienten das Leben nur um einige Monate, bei anderen um viele Jahre verlängert und bei dritten vielleicht Heilung erreicht werde.
Als Konsequenz aus ihren Befunden weist die Kommission auf dringenden Reformbedarf hin: Die gegenwärtige Situation, in der Kliniken oftmals alle Leistungen erbringen können, führe zu "Qualitätsdefiziten, einer erhöhten Morbidität und Mortalität, aber auch zu vergleichsweise hohen Kosten", schreibt sie.
Kommissionsleiter Bschor empfahl eine "Konzentration der Behandlungen auf erfahrene Kliniken, um flächendeckend und engmaschig eine exzellente Versorgung anzubieten". Genau dies ist auch einer der zentralen Punkte von Lauterbachs Reformplänen für das Krankenhauswesen, über die er seit Monaten mit den Ländern verhandelt.

Länder wehren sich gegen Krankenhausreform von Lauterbach
Lauterbach will ein grundsätzlich neues Finanzierungssystem für die Kliniken durchsetzen, von denen vielen in den roten Zahlen stecken. Zur Verbesserung der medizinischen Qualität setzt er auf Spezialisierung der Kliniken – und will künftig die Leistungsbilanz jeder einzelnen Klinik in der Behandlung bestimmter Krankheiten öffentlich zugänglich machen.
Aus den Ländern kommt Widerstand. Sie fürchten etwa die Schließung vieler kleiner Krankenhäuser, die für die Versorgung auf dem Land wichtig sind. Noch in diesem Monat wollen Bund und Länder zu einer weiteren Verhandlungsrunde zusammenkommen. Lauterbach strebt an, dann über die Sommerpause einen Entwurf für die Krankenhausreform auszuarbeiten.