Herr Kishon, rund um Ihren Geburtstag wird es eine ganze Reihe von Veranstaltungen geben. Wird ihnen dieser ganze Trubel nicht manchmal zuviel?
Nun, es belastet mich, aber ich ertrage es gerne. Der Rummel ist groß und die Zeitungen sind voll mit Lobeshymnen über mein Lebenswerk. Es ist eine gute Werbung. Was ich aber bisher noch nicht wusste ist, dass man wohl 80 Jahre alt werden muss, um einen solchen Erfolg zu haben. Die Menschheit im Allgemeinen, in allen Religionen und in allen Sprachen, misst dem Geburtstag eine solch große Wichtigkeit bei, was ich einfach nicht verstehen kann. Vor einigen Jahren habe ich die Billard-Weltmeisterschaft gewonnen, das ist eine viel größere Leistung als geboren zu sein. Das war ja in erster Linie eine besondere Leistung meiner Eltern.
Dann ist auch der 80. Geburtstag nichts Besonderes für Sie?
Das Besondere ist, dass ich noch niemals 80 war. Es ist das erste Mal. Es ist sehr nett Geburtstag zu haben, aber die Zahl ist schon erschreckend. Sie ist so unwahrscheinlich und erscheint sehr unsympathisch.
Fünf Ihrer Filme kommen gerade in Deutschland in einer DVD-Jubiläumsbox heraus. Was können Ihre Filme gerade jungen Menschen noch geben?
Ich würde auch die Filme, die ich in jüngeren Jahren gedreht habe, wieder ganz genauso machen. Nehmen Sie den "Blaumilchkanal". Der Film ist total absurd, völlig unmöglich und doch möglich. Er ist ein Dokument mit dem Beweis über menschliche Dummheit. Und glauben Sie, dass sich daran über die Jahre etwas geändert hat? Man kann ihn als Kultfilm verstehen, denn er ist zeitlos. Wissen Sie wie man "Blaumilchkanal" in Israel nennt? "Unsere Titanic". Der Film lässt sich aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen. Man kann sagen, dass es ein sehr komischer Film mit vielen komischen Momenten ist. Man kann aber auch sagen, dass es eine mörderische Satire über Bürokratie ist. Solche Dinge geschehen in der ganzen Welt.
Sie sind auch mit ihren Filmen sehr erfolgreich gewesen. Warum gibt es nicht mehr Filme von ihnen?
Ich habe israelische Filme gedreht, die die ganze Welt interessierten. In jungen Jahren habe ich vier Filme gemacht, von denen gleich drei den Golden Globe gewonnen haben. Ich war ein echtes Wunderkind in Hollywood. Ich habe auch dort gelebt habe, bin aber rechtzeitig wieder geflohen.
Jubiläums-DVD-Edition
Der Satiriker Ephraim Kishon war neben seiner schriftstellerischen Arbeit auch als Regisseur von Filmen tätig. Mit diesen gewann er mehrere Preise wie Golden Globes und Golden Gate Awards und wurde auch zweimal für den Oscar nominiert. Anlässlich seines 80. Geburtstages ist eine Jubiläums-DVD-Edition seiner besten Filme aufgelegt worden. Die Box enthält die Filme "Der Blaumilchkanal" (1969), "Der Fuchs im Hühnerstall", "Ervinka" (1967), "Sallah - oder: Tausche Tochter gegen Wohnung" und "Schlaf gut, Wachtmeister" (1971). Als Special Features sind Kishon-Interviews und Hintergrundinfos zu jedem Film vorhanden, ein 16-seitiges Booklet enthält eine Filmographie.
Sie sind aus Hollywood geflohen?
Zumindest bin ich plötzlich und still abgereist. Allerdings wurde ich bei meiner Abreise von einer Reporterin in der Flughafenhalle abgefangen. Sie fragte mich warum ich weggehen würde, obwohl mir doch eine so große Zukunft in Hollywood bevorstünde. Ich sagte ihr: "Hollywood ist nichts für mich, denn es gibt hier nur drei Arten von Einwohnern: Ein Drittel ist Alkoholiker, ein Drittel sind Drogensüchtige und das letzte Drittel hat sich noch nicht entschieden." Ich habe viele Purzelbäume solcher Art gemacht. Manchmal bin ich erstaunt, wie ich alles überlebt habe.
Sie haben in ihrer Heimat Ungarn Bildhauerei studiert. Bedauern Sie manchmal, dass Sie Schriftsteller geworden sind?
Schreiben ist eine der langweiligsten Tätigkeiten überhaupt. Aber weil ich einen gewissen Erfolg mit meiner Schreiberei erreicht habe, kann ich Ihnen nicht, ohne ein Heuchler zu sein, sagen, dass ich es sehr bedauere. Allerdings ist es schon ein Bruch, wenn man über sieben Jahre die Bildhauerei auf hohem Niveau erlernt hat und plötzlich keine Zeit mehr dafür hat. Hier in meinem schönen Haus in Israel, habe ich ein Atelier, doch leider komme ich viel zu selten dazu, es zu nutzen. Das ist eins meiner größten Probleme, denn ich bin ein sehr neugieriger Mensch und ich möchte gern viel erleben und möchte viel machen. Aber da geht es mir wie wohl allen Menschen: Heutzutage hat niemand mehr Zeit. Der Tag müsste heute 48 Stunden dauern, aber das hat der liebe Gott leider nicht in Betracht gezogen.
Warum haben Sie gerade in Deutschland einen so großen Erfolg?
Diese Frage ist mir schon oft gestellt worden. Ich werde Sie daher ganz kurz beantworten: Ich habe deshalb so großen Erfolg, weil ich ein so guter Schriftsteller bin.
2003 ist mit "Der Glückspilz" Ihr letztes Buch in deutscher Sprache erschienen. Was können wir in Deutschland noch von Ihnen erwarten?
Diese Frage stellen Sie jemandem, der ein biblisches Alter erreicht hat. Also bitte Vorsicht! Es ist mit Sicherheit mein letzter Roman. Allerdings sage ich das auch mit Vorsicht, da ich dieses schon oft angekündigt habe. Die Frage kann aber nicht sein, ob ich noch für Deutschland schreibe - bei aller Ehre für diesen größten und erfolgreichsten Buchmarkt. Die Frage muss sein, ob ich überhaupt noch schreibe. „Der Glückspilz“, den ich als mein Lebenswerk beurteile, ist mein erstes sehr, sehr intimes Buch. Es ist auch mein letztes.
Sie haben in Ihrem Leben viel durchgemacht. Sie sind sowohl von den Nazis als auch vor den Kommunisten geflohen. Dennoch schreiben Sie Satire.
Nun, ich bin nicht, wie so viele andere, in den Lagern gewesen. Ich bin vorher geflohen und durch eine Serie von Wundern habe ich überlebt. Aber was ich durchgemacht habe, ist nichts dagegen, was meine Leute durchgemacht haben, die in den Vernichtungslagern waren. Ich habe nur den Eingang der Hölle erreicht, aber ich war nicht drin. Ich bin vor 55 Jahren nach Israel gekommen und habe Frieden mit mir und der Tatsache gefunden, dass die Welt nicht normal ist. Die Welt verfolgt einen, und ich weiß nicht warum.
Das Leben ist schlecht?
Das Leben ist alles. Es ist schrecklich und wunderbar zugleich, unerträglich und traumhaft. Das hängt davon ab, wie sie es anschauen. Die Momente eines jungen Liebespaares sind die allerschönsten. Aber wenn ein Junge in einem Autobus in Tel Aviv in die Luft gesprengt wird, macht das seine Eltern für den Rest ihres Lebens unglücklich. Die Natur ist ein großartiger Ort, der Mensch ist leider der Fleck auf dieser schönen Welt. Ich liebe die Welt und das Leben, aber es ist sehr schwer, die Menschen zu lieben.
Und dennoch schaffen Sie es immer wieder, das Amüsante an den Menschen hervorzuholen.
Ich habe es Dante überlassen, die Hölle zu beschreiben. Ich beschreibe eine andere Seite, die auch immer da ist. Nehmen wir noch einmal den "Blaumilchkanal": Alle Charaktere, die dort mitspielen, sind voll von menschlicher Schwäche. Habgier, Machtgier und Geldgier. Aber der Mensch ist nicht nur schlecht, sondern auch urkomisch. Ein Humorist sieht die Welt zwangsläufig auch immer von dieser Seite. Deswegen empfinde ich eine Tragödie, wie eine Hauptstadt durch ein ungeplantes Bauvorhaben ruiniert wird, ebenfalls als eine außergewöhnlich lustige Angelegenheit.
Sie leben seit 1982 in der Schweiz. Warum?
Ich habe in der Schweiz seit 22 Jahren ein wunderschönes Haus in Appenzell, wo ich mich ausruhe und die Stille suche. Aber ich bin kein Schweizer sondern Israeli, obwohl ich Schweizer sein könnte. Ich bin ein Israeli und ich zahle auch Steuern in Israel. Wissen Sie warum? Ich bin ein Überlebender des Holocaust und ich möchte nicht wieder ein Jude in Europa sein.
Sie haben mal gesagt, dass ihre Kinder nicht mehr wissen, was es bedeutet, Jude zu sein.
Ja, sie sind in Israel geboren und sprechen ihre Muttersprache, wie sie ihre Vorväter vor 3000 Jahren gesprochen haben. Und sie leben am selben Ort, wo ihre Vorväter gelebt haben. Es ist sehr schwer, sie davon zu überzeugen, dass dies etwas Besonderes ist und sie anderes sind, als andere Jugendliche irgendwo auf der Welt. Aber sie sind sehr gute Piloten. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass das verfolgte jüdische Volk eine sehr gute Luftwaffe hat. Ich entstamme der ersten Generation, die so etwas sagen kann.
Was empfinden Sie bei der Diskussion um das Holocaust-Mahnmal in Berlin?
Es ist mehr eine Demonstration moderner Kunst als eine Andeutung von Holocaust. Doch was ist das Zeichen für den Holocaust? Es ist sehr schwer, das Unbeschreibliche zu beschreiben. Ein Zeichen für den Holocaust ist etwa der Anblick einer Mutter, der mit bloßen Händen das Baby aus dem Mutterleib gerissen wird. Oder ein alter Jude, der mit einer Zahnbürste gezwungen ist, den Bürgersteig zu reinigen. In Israel haben wir als Symbol einen Vieh-Wagon, in den man die Menschen hineingetrieben hat. Also ihr in Deutschland mit gutem Willen gemachtes Denkmal spiegelt den Holocaust nicht wider. Natürlich hat es eine Bedeutung, aber es ist zu elegant und zu groß. Und die einfachen Leute, die verstehen es nicht.
In Deutschland haben viele das Gefühl, dass die Diskussion zu weit von den Menschen entfernt war.
Ja, das ist bestimmt so. Dennoch ist die Intention schön. Man will den Generationen, die es jetzt schon fast vergessen haben, die Erinnerung erhalten, dass so etwas wie der Holocaust jemals geschehen ist. Er ist unvergleichbar in der menschlichen Geschichte, was Aggressivität und Brutalität angeht.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem Heimatland Ungarn?
Ungarn ist das Land, in dem ich aufgewachsen bin. Bis ich 15 wurde, war ich überzeugter Ungar, bis ich überzeugt wurde, dass ich irre. Viele fragen, ob ich nun Ungar oder Israeli bin. Meine Muttersprache ist ungarisch, ich verstehe dort jedes Wort, jedes Murmeln. Doch wenn ich dort bin und ich in die Gesichter schaue, sind sie mir absolut fremd. Es ist ein solcher Widerspruch, denn ich bin in einem fremden Land, dessen Sprache ich perfekt spreche. Aber ich hege keine feindlichen Gefühle der jungen Generation gegenüber, da sie nicht verantwortlich für das sind, was damals geschehen ist. So ist mein Verhältnis zu Ungarn ein sehr gemischtes, sehr nah und doch sehr weit. Aber die Ungarn lieben meine Theaterstücke und meine Filme, sie drucken meine Bücher.
Herr Kishon gibt es noch Ziele, die Sie erreichen möchten?
Ich verweise nochmals auf mein biblisches Alter. Und dennoch, wichtig ist mir meine Frau, die ich vor anderthalb Jahren geheiratet habe. Sie ist eine Österreicherin. Man kann sie lieben, denn sie ist eine außerordentliche hübsche Frau und sie hat eine Eigenschaft, die ich mir nicht erklären kann: Sie liebt mich. Ich kann mein Leben heute nicht mehr von ihr trennen. Wir sind immer zusammen. Nicht weil wir es beschlossen haben, sondern weil es scheinbar ganz natürlich ist. Was ich mir für die Zukunft wünsche, habe ich auch schon einmal in einem Interview gesagt: Ich möchte nur gesund und reich sein. Es klingt wie ein Witz, aber es ist keiner. Ich habe entdeckt, was die wichtigste Sache im Leben ist, als ich einmal einen Nierenstein hatte. Da war die wichtigste Sache, keinen Nierenstein mehr zu haben. So sage ich ihnen heute: Ich möchte nur gesund und reich bleiben.