Reisebericht "Nirgendwo sonst" Parallelen zwischen Myanmar und der DDR

Von Judith Lövenich
Mit einem Regime-freundlichen Artikel über Myanmar hat Alice Schwarzer für Aufregung gesorgt. Eine ganz andere Perspektive liefert die Autorin Christiane Neudecker. In ihrem Buch "Nirgendwo sonst" lässt sie einen fiktiven Helden durch das Land reisen - und stellt es mit allen Schönheiten und Schattenseiten dar.

Burma, Birma, Myanmar - Militärjunta. Es sind nur einige Schlagworte, die nach dem Zyklon Nargis ins öffentliche Bewusstsein gedrungen sind. Es ist das Land, über das man fast nichts weiß, in das kaum jemand reist, das sich hermetisch abriegelt - der schwarze Fleck auf der Landkarte Asiens. Doch es gibt auch Leute, die nach Myanmar gefahren sind und die als Touristen ein wunderschönes Land mit warmherzigen Menschen erlebt haben - aber auch die Allgegenwart der Militärjunta.

Anders als Alice Schwarzer

Alice Schwarzer schrieb gerade in der "FAZ" einen emotionalen Bericht über die Schönheit des Landes, die sie bei zahlreichen Reisen erlebt hat. Sie schreibt aber auch, das Militärregime sei das "kleinere Übel" im Vergleich zu einer ausländischen Intervention, die nur eigene Interessen verfolge und legt nahe, dass sich die Generäle zu Recht die politische Instrumentalisierung der humanitären Hilfe verbäten. Dieser Artikel hat für viel Wirbel gesorgt - die Diskussion gipfelte in einem offenen Brief des "Spiegel"-Autors Matthias Matussek an Schwarzer, in dem er sie auffordert, aus der Jury des Henri-Nannen-Preises auszuscheiden.

Einen etwas anderen Reisebericht hat Christiane Neudecker geschrieben und zieht daraus deutlich andere Schlüsse über die aktuelle Situation. Neudecker arbeitet als Regisseurin in Berlin, mit "In der Stille ein Klang" schrieb sie einen ersten preisgekrönten Erzählband. Eine Reise nach Myanmar inspirierte sie zu ihrem ersten Roman "Nirgendwo sonst", der im Frühjahr 2008 erschien.

Als Neudecker 2003 als Rucksacktouristin nach Myanmar einreiste, waren zeitgleich mit ihr 136 Touristen in dem Land, das doppelt so groß ist wie Deutschland und in dem 54 Millionen Menschen leben. In "Nirgendwo sonst" schickt sie eine namenlose männliche Hauptfigur auf die Spuren ihrer eigenen Reise. Eine Reise hinter die schöne Fassade Myanmars, bei der auch die Fassade der Romancharaktere Risse bekommt.

"Für den Zustand des Landes gibt es kaum Worte"

Ihr Buch hat sie im September 2007 fertig gestellt, zeitgleich mit dem friedlichen Protest zahlreicher Mönche gegen das Militärregime. Die grausamen Bilder der Niederschlagung dieses Aufstandes gingen damals um die Welt. Diese Ereignisse lassen Neudeckers Roman in einem anderen Licht erscheinen. Im Nachwort ihres Buches schreibt sie: "Für den aktuellen Zustand des Landes gibt es kaum Worte." Wenn sie heute von Myanmar spricht, stockt ihr Redefluss immer wieder.

Parallelen zur DDR

Dabei ist "Nirgendwo sonst" eigentlich ein Plädoyer für die Hoffnung. Hoffnung auf eine Öffnung des Landes, darauf, dass Touristen - insbesondere Rucksackreisende - einen Beitrag dazu leisten können, dass die Einheimischen sehen: "Die Welt interessiert sich für uns". Nicht ohne Grund gibt Neudecker ihrem Backpacker eine fiktive DDR-Vergangenheit. Einem Einheimischen legt sie Fragen in den Mund: "Was habt ihr getan, wie kommt es, dass ihr frei seid, wie kann es sein, dass du jetzt hier bist in unserem Land" - und schlussendlich: "Was kann ich tun?" Neudecker erklärt: "Ich habe viele Aspekte der DDR in diesem fremden Land widergespiegelt gesehen. Die konstante Kontrolle, die konstante Überwachung, die konstante Unruhe in den Menschen."

Buch-Tipp

"Nirgendwo Sonst" von Christiane Neudecker
Luchterhand Literaturverlag
272 Seiten, 17,95 Euro

Auch Christiane Neudeckers Hotelzimmer ist während ihrer Reise durchsucht worden, genau wie das ihres Buchcharakters. In Myanmar zu sein, bedeutet, kein Handynetz zu haben, die Webportale für E-Mail-Programme sind gesperrt, private Übernachtungen sind verboten. Viele Gebiete, insbesondere an den Grenzen des Landes, dürfen Touristen nicht bereisen. So kommt es zu einer klassischen Touristenroute, die sich an einigen Hauptattraktionen orientiert.

Die schöne Fassade für die Touristen

"Es gibt eine Art Rundtour, die fast alle Touristen machen", sagt Neudecker. Von Yangon zum Inle See, weiter nach Mandalay, Bagan und wieder zurück nach Yangon - oder umgekehrt. So entsteht das Bild des Landes mit den goldenen Pagodendächern, wunderschönen Landschaften und lächelnden Menschen. "Sie reisen mit einem vom Staat gestellten Reiseführer und werden von staatlichem Hotel zu staatlichem Hotel in staatlichen Bussen chauffiert." Da müsse man nicht glauben, sagt Neudecker, "dass man eine Brechung der Fassade erreicht."

Neudeckers Romanfiguren jedoch gelingt diese Brechung. Dabei beschreibt sie keine Helden. Sie schreibt Geschichten von jungen Menschen auf der Suche nach Wahrheit - über das Land, über sich selbst -, die "teilweise sogar sehr naiv", wie sie selbst sagt, durch Myanmar reisen. Sie sind fehlbar, teilweise sogar unsympathisch, doch gerade das macht sie lebendig. Gedankensplitterhaft eingeschobene englische Sätze - Sprache der Touristen untereinander und mit den Einheimischen - machen die Reise authentisch, die Ängste und Vorurteile, mit denen die Charaktere kämpfen, holen Myanmar nah an den Leser heran.

Den Hauptcharakter etwa befällt panische Angst, wenn er abseits der Wege reist. Ihm springen bruchstückhafte Sätze von Formularen ins Gedächtnis, die er bei seiner Einreise unterschrieben hat. "I will not engage in any activities irrelevant to the purpose of entry. - Legal action will be taken. - I shall not interfere in the internal affairs." ("Ich werde keine Aktionen unternehmen, die irrelevant für den Zweck meiner Einreise sind - Rechtliche Schritte werden eingeleitet. - Ich darf nicht in interne Angelegenheiten eingreifen.")

Trojanische Pferde für Myanmar

Neudeckers These: In einem Regime, das sich abschottet und seinen Bürgern den Kontakt nach außen verbietet, sind die Rucksacktouristen die einzigen, die sich auf die Suche nach der Realität machen. Sie sind wie "trojanische Pferde" für Myanmar. "Der Vergleich ist nicht von mir", so die Autorin. "Das hat mir wirklich jemand so gesagt."

So lässt sie ihren Reisenden einen Mister Khin treffen. Einen Mann, der als Bergführer arbeitet und trotz mehrfacher Verhaftungen den Mut hat, offen mit den Backpackern zu sprechen. Mister Khin stellt den Reisenden vor eine Entscheidung: Er "weiß, dass er jetzt nach der Folter fragen sollte, von der er gelesen hat. Nach der Verschleppung von Frauen, dem Rauschgifthandel, Export von Rohopium, Vergewaltigungen im Karen-Staat, verschwindenden Menschen. Ist das alles wahr, müsste er fragen." Am Ende steht eine Bitte Mister Khins: "At least tell your friends" - "Erzähl wenigstens deinen Freunden davon".

"Man muss sehr vorsichtig sein"

Ist dieser Satz wirklich so gefallen - war das Neudeckers Motivation, ein Buch über Myanmar zu schreiben? "Ja", sagt sie zögernd. "Aber man muss sehr vorsichtig sein, weil ich niemanden in Gefahr bringen darf. Sagen wir so: Ich bin mehreren Leuten begegnet, die in ihrer eigenen Form versuchten, ihren Beitrag zu leisten."

Seit 2003 ist sehr viel passiert, das Land wurde offener, immer mehr Touristen fuhren nach Myanmar. Die Bevölkerung hat sich bewegt - bis hin zu der versuchten Revolution im Herbst 2007. Doch nach der Niederschlagung dieser Proteste bleibt nicht viel von der Hoffnung, die sie in "Nirgendwo sonst" heraufbeschwört. Die aktuelle Situation kommentiert Neudecker: "Lieber die eigene Bevölkerung sterben zu lassen, als das Land zu öffnen, das ist ein so unfassbarer Gedanke, den kann man gar nicht nachvollziehen".

Es bleibt ein kleiner Hoffnungsschimmer: dass die kurze Welle der Aufmerksamkeit nicht wieder so schnell abebbt wie im Herbst 2007, dass klar wird, dass die Situation dort immer schlimmer wird. Wie das gelingen kann? Vielleicht durch Geschichten, die die goldene Fassade von Myanmar durchbrechen.